Nach dem Abi: Sofort Studieren oder Siesta?

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Was mache ich nach dem Abitur? Ein freies Soziales Jahr, ein Jahr Work and Travel oder vielleicht auch gar nichts – oder gehe ich direkt an die Uni? Was ist besser – im Lernstress bleiben oder sich erstmal davon erholen?

Arbeiten können wir noch lange genug,

findet Sophie Schädel.

Ich selbst habe direkt nach dem Abi mein Studium angefangen. Mit 18, gerade die Schule hinter mir, bin ich ausgezogen, habe gelernt einen Staubsauger zu bedienen (so weit, so sinnvoll), und habe mir das Studium so vorgestellt, wie unsere Eltern es uns immer beschreiben: Die Uni lief nebenbei, während man den Großteil des Tages mit wilden Feiern und exzessivem Ausschlafen beschäftigt war. Heute ist Studieren anstrengender, verschulter, lässt weniger Freiräume. Hätte ich das gewusst, hätte ich trotzdem studiert – aber mir vorher ein Jahr Ruhe gegönnt zwischen Klassenarbeiten und Klausuren.

Findet erst euch selbst und dann den passenden Studiengang

Die ersten Monate nach dem Abitur wollen sich viele selbst finden und gönnen sich bewusst eine Zeit des Nichtstuns. Dann können sie mit etwas Lebenserfahrung und gefundenem Selbst ins Studium starten. Vielleicht sind das auch die Menschen, die nicht Hals über Kopf einen Studiengang wählen und ihn später drei Mal wechseln müssen.

Wer das Studium ohne ein Jahr auszusetzen und nach Regelstudienzeit durchzieht, ist genau der Mitarbeiter, den kein Unternehmen haben will: Im Leben nur Schule und Uni gesehen, unter Umständen noch nie gearbeitet. Das Resultat: Wir müssen erst unbezahlte Praktika ableisten, um uns für den eigentlichen Arbeitsmarkt zu qualifizieren.

Das Leben ist zu lang, um sich nicht etwas Zeit zu lassen

„Das Leben ist zu kurz, um Benzinpreise zu vergleichen“, behauptet die Werbung. Umgekehrt sage ich: Das Leben ist zu lang, um sich nicht etwas Zeit zu lassen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland beträgt 80,89 Jahre. Ein Jahr ist also 1,2 Prozent eures gesamten Lebens. Wer in diesen 1,2 Prozent eine Weltreise macht, im Hospiz arbeitet oder sich einfach die Sonne auf den Bauch scheinen lässt, um über die Sonne, den Bauch, den Gott und die Welt zu philosophieren, der wird von diesem Jahr noch sein Leben lang zehren. Mal ganz ehrlich: Wer erzählt schon seinen Enkeln stolz: „Eure Oma ist damals direkt mit 18 an die Uni gegangen?“

Bald liegt das Rentenalter bei 67 Jahren, also könnt ihr selbst mit einem Jahr Auszeit ganze 60 Jahre Schule, Studium und Job genießen und euch in ein Burnout arbeiten. Warum sollten wir uns jetzt schon beeilen mit einem Leben, das doch noch so viele Jahrzehnte dauert? Und sollte es schneller zu Ende gehen: Wohl niemand wird bei einem Verkehrsunfall als letzten Gedanken haben: „Verdammt, hätte ich doch nur schon mit 18 angefangen zu studieren, dann hätte ich jetzt wenigstens den Bachelor!“

Durch eine Auszeit werden wichtige Entscheidungen nur vertagt,

findet Richard Brandt.

Durch die Schule sind wir es bereits gewohnt, für Klausuren zu lernen, Hausarbeiten zu schreiben und Referate vorzubereiten. Es ist völlig logisch, dass viele davon erstmal genug haben und sich deshalb eine Auszeit gönnen wollen. Für den Moment klingt das natürlich alles super. Die Ernüchterung folgt spätestens, wenn es im anschließenden Studium oder in der Ausbildung wieder heißt: Morgen schreiben wir eine Klausur. Plötzlich werden die Schulkenntnisse wieder gebraucht. Wer direkt nach dem Abitur seinen beruflichen Weg weitergeht, hat es hier deutlich leichter. Vieles ist noch frisch im Gedächtnis und muss nicht mühsam wieder angeeignet werden. Die Auszeit vom Lernen macht sich sonst schnell bemerkbar.

Wer gar nicht mit dem Stoff zurechtkommt, könnte letzten Endes vielleicht über den Abbruch seines Studiums oder seiner Ausbildung nachdenken. Mit 18 oder 19 Jahren ist das sicherlich kein Weltuntergang. Ein Student mit Mitte 20 könnte da schon größere Probleme haben – vor allem bei der viel jüngeren Konkurrenz.

Bei der Berufswahl  helfen nur praktische Erfahrung

Für mindestens genauso viele Abiturienten dient die Auszeit zum Nachdenken über die eigene Zukunft: Was möchte ich im Leben erreichen? Wo möchte ich später arbeiten? Welche Ziele habe ich? Vielen fällt die Entscheidung, sich auf einen Werdegang festzulegen, schwer. Durch ein weiteres Jahr erhoffen sie sich mehr Klarheit über das, was sie wirklich werden wollen. In der Realität wird diese Entscheidung jedoch nur vertagt. Wer mit 18 Jahren sein Abitur ablegt und noch nicht weiß, in welche Richtung er gehen möchte, wird es höchstwahrscheinlich mit 19 Jahren auch nicht wissen – egal, ob er ein Soziales Jahr, Urlaub oder sonst irgendetwas gemacht hat.

Bei der Entscheidung, welcher Beruf für einen infrage kommt, helfen nach wie vor nur praktische Erfahrungen. Praktika oder Minijobs sind unerlässlich. Und die sollten möglichst schon während der Schulzeit absolviert werden. Damit erübrigt sich später das lange Grübeln über die richtige Berufswahl.

Weitermachen zeigt Ehrgeiz und Zielstrebigkeit

Aber ein Jahr im Ausland macht sich doch gut in meinem Lebenslauf. Deswegen ist es doch kein verschwendetes Jahr. Ja, das tut es. Umso besser ist es natürlich, wenn das Jahr einen gewissen Zweck erfüllt. Wer beispielsweise Spanisch studiert und während des Studiums ein Jahr in Spanien arbeitet, zeigt, dass das Jahr einem ganz klaren Ziel folgt. Bei einer Bewerbung ist das sicherlich ein noch viel größerer Pluspunkt. Wer seine berufliche Laufbahn direkt nach dem Abitur fortsetzt, zeigt schon allein durch diese Entscheidung Ehrgeiz und eine klare Vorstellung davon, was er im Leben erreichen möchte – bei Arbeitgebern gern gesehene Eigenschaften.

Und wem es am Ende des Tages wirklich nur um die Auszeit an sich geht, dem sei gesagt: Es gibt ja auch noch Urlaubstage und Semesterferien.

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann 
Teaserfoto: flickr.com/Marco Verch

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