Weihnachten in der Sozialwohnung

Allein in einer Großstadt: Dennis ist im Februar 2012 von Hannover nach Dortmund gekommen. Es war eine Flucht aus einem Leben voller Drogen und Gewalt. Teaserfoto/Fotos: Daniel Moßbrucker

Allein in einer Großstadt: Dennis ist im Februar 2012 von Hannover nach Dortmund gekommen. Es war eine Flucht aus einem Leben voller Drogen und Gewalt. Teaserfoto/Fotos: Daniel Moßbrucker

Beim Gedanken an Weihnachten verstummt Dennis. Der 23-Jährige ist ein eloquenter Typ und spricht klar über sein chaotisches Leben. Doch nun versteckt er seinen Stoppelbart im weiß-grau gestreiften Schal. Weihnachten“, sagt er schließlich, macht mir dieses Jahr Angst.“ Es wird das erste Mal sein, dass Dennis den Heiligen Abend alleine in seiner Sozialwohnung verbringen muss. Ohne Baum, ohne Kerzen, ohne Kekse. Er gehört zu den Menschen, für die die Weihnachtszeit die traurigste Phase im Jahr ist.

Allein in Dortmund leben schätzungsweise 400 bis 600 Obdachlose. Zu 80 Prozent sind es Männer. Sie schlafen in Parks, U-Bahn-Stationen oder alten Fabrikhallen – auch bei Temperaturen weit unter null Grad Celsius. Sie sind ganz unten. „Wohnungslose“ Menschen besitzen auch keine feste Bleibe, haben in der Regel aber Schlafplätze bei Bekannten oder sozialen Einrichtungen. In Deutschland fallen 248.000 Menschen unter diesen Begriff, wie die Nationale Arbeitskonferenz kürzlich mitteilte. Tendenz steigend.

Dennis hat beide Formen trotz seiner erst 23 Jahre schon erlebt. Er ist in Hannover aufgewachsen und kam erst im Frühjahr 2012 ins Ruhrgebiet. In den vergangenen vier Jahren hat er vier Mal seine Wohnung verloren, schlief zwischenzeitlich auf der Straße oder bei Bekannten. Es war der Tiefpunkt eines gewaltvollen Lebens, dessen Sinn darin bestand, Drogen zu beschaffen.

Vater stirbt an Heroin

Blick ins Leere: Im Teenageralter wählt Dennis den falschen Weg und rutscht ins Drogenmilieu ab.

Blick ins Leere: Im Teenageralter wählt Dennis den falschen Weg und rutscht ins Drogenmilieu ab.

Der erste Schock ist der Tod seines Vaters. Er stirbt an einer Überdosis Heroin. Dennis‘ Mutter heiratet erneut, doch sein neuer Stiefvater ist ebenfalls tief ins Drogenmilieu verstrickt. Er funktioniert die Wohnung im Problemviertel Vahrenheide in einen illegalen Marihuana-Shop um. Täglich kommen mehrere Dutzend Junkies in die Wohnung. „Mit 14 habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin geflüchtet“, sagt Dennis. Er zieht bei seiner Tante ein, um sich dort auf seinen Realschulabschluss zu konzentrieren.

Es ist die Zeit, in der die Noten schlechter werden und Dennis erste Kontakte mit Drogen hat. Sein Traum, der „Q-Vermerk“, mit dem er das Abitur machen dürfte, droht im Dunst der Drogen zu platzen. „Ich hätte in dieser Phase einen familiären Background gebraucht. Aber es gab nur Drogen und Gewalt“, erinnert sich Dennis. Bei seiner Tante hat er zwar Ruhe, aber auch sie hat eigene Probleme in ihrem Leben. Dennis schafft die Qualifikation fürs Gymnasium schließlich nicht. Mit 18 muss er bei seiner Tante ausziehen.

35.000 Euro Schulden und 1000 Sozialstunden

Dennis zieht in seine erste eigene Wohnung – es ist der Fehler seines Lebens. „Der Haushalt und die ganzen Formalitäten haben mich total überfordert. Und dazu kam noch der Stress mit den Gerichten“, erzählt Dennis. Er schließt teure Handyverträge ab, zahlt keine Miete, begeht Diebstähle und handelt mit Drogen. Er kifft täglich. Die Gerichtsverhandlungen nimmt er durch seine Sucht nur verschwommen wahr. Doch die Bilanz seines Lebens ist erschütternd klar: Dennis hat 35.000 Euro Schulden, muss über 1000 Sozialstunden ableisten und hat außer einer abgebrochenen Malerlehre nichts vorzuweisen.

Im Februar 2012 flüchtet er aus Hannover. Erst Köln, dann Frankfurt, München. Tageweise erkundigt er sich nach Bleiben. Schließlich landet er bei der Dortmunder Bahnhofsmission. „Die haben mich toll empfangen“, erinnert sich Dennis. Dortmund gefällt ihm. Ihm wurde eine Wohnung in der Münsterstraße vermittelt und das Sozialamt ist einfach zu erreichen. Das ist wichtig für Menschen wie ihn. Wenn er keine Hilfe bekäme, wäre die Gefahr eines Rückfalls in alte Zeiten groß. Er hat sein Leben mittlerweile einigermaßen im Griff. Seine Sozialstunden arbeitet er wacker ab, er kifft selten und trinkt kaum noch Alkohol.

„Weihnachten ist emotional brutal“

Im Dienst für Bedürftige: Werner Lauterborn ist seit 13 Jahren Vorsitzender des Vereins "Gasthaus statt Bank". Die Weihnachtszeit empfindet er für die Gäste als "emotional brutal".

Im Dienst für Bedürftige: Werner Lauterborn ist seit 13 Jahren Vorsitzender des Vereins "Gasthaus statt Bank". Die Weihnachtszeit empfindet er für die Gäste als "emotional brutal".

Struktur in sein Leben bringt unter anderem der Verein „Gasthaus statt Bank“, bei dem es an 365 Tagen Frühstück gibt. Dennis ist täglich einer von 300 Bedürftigen. Auch am 25. Dezember wird er ins Heim an der Rheinischen Straße kommen, weil es dann Gänsebraten mit Rotkohl und Klößen geben wird. „An Weihnachten wollen wir unseren Gästen etwas Besonderes bieten, um sie aus der Vereinsamung zu holen“, erläutert Werner Lauterborn.

Der 69-Jährige ist seit 13 Jahren Vorsitzender im „Gasthaus“. Wenn Lauterborn mit weißem Vollbart und Lederjacke den Aufenthaltsraum betritt, lächeln die Leute und schütteln ihm die Hand. Einige kommen ins Gasthaus, seitdem es im April 1995 gegründet wurde. Die Schicksale der Menschen kennt Lauterborn wie kein Zweiter. „Weihnachten ist für viele das Fest der Familie. Sie rufen dann zu Hause an und suchen die Nähe zu ihren Liebsten“, erzählt Lauterborn. „Wenn dann ein 60-Jähriger Mann weinend zu uns kommt, weil er wieder verstoßen wurde, ist das emotional brutal.“

Sie hocken in Sozialwohnungen, Gartenlauben oder Fabrikhallen

Die über 100 Helfer im Gasthaus versuchen, die Adventszeit auch für die Untersten der Gesellschaft angenehm zu machen. Auf den Tischen brennen Kerzen, es gibt Gebäck und über 500 „Weihnachtstüten“ werden verteilt. Es gibt Gottesdienste und Adventssingen. Und doch sind die Bedürftigen – Obdachlose, Wohnungslose und Hartz IV-Bezieher – am 24. Dezember allein. Dann ist das „Gasthaus“ abends geschlossen.

Während die Welt unterm Tannenbaum feiert, hocken sie in Sozialwohnungen, Gartenlauben oder Fabrikhallen. „Wenn ich an Heiligabend Gäste von uns treffe, kann ich ihnen keine ‚Frohe Weihnacht‘ wünschen. Sie sind so einsam und traurig, dass ich hoffe, sie am nächsten Tag wieder zu sehen.“

Ein bescheidener Weihnachtswunsch

Auf dem richtigen Weg: Dennis hat die Hoffnung, bald eine Ausbildung beginnen zu können - um sich im kommenden Jahr auch einen Weihnachtsbaum leisten zu können.

Auf dem Weg: Dennis hat die Hoffnung, bald eine Ausbildung beginnen zu können - um sich 2013 einen Weihnachtsbaum leisten zu können.

Dennis hat Angst vor diesem Tag. Es ist das erste Mal, dass er Weihnachten allein verbringen wird. „Ich habe überlegt, über die Feiertage zu meinem Onkel zu fahren. Aber er hat gerade eine 17-jährige Haftstrafe abgesessen und genug eigene Probleme“, sagt Dennis. Er sehnt sich nach seiner Familie. Aber sein Vater ist tot, sein Bruder sitzt in Haft und bei seiner Mutter weilt der verhasste Stiefvater. Er wird allein sein.

An das Christkind glaubt er längst nicht mehr, aber Dennis hat einen (bescheidenen) Weihnachtswunsch: „Ich wünsche mir, so wie früher den Baum zu schmücken, meine Familie zu sehen und dabei einen eisgekühlten Whisky zu trinken.“

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