Multiple-Choice: Verwirrung um Minuspunkte

Multiple-Choice-Klausuren gehören von Anfang an zum Studium dazu. Bei Professoren sind sie beliebt, weil sie bei der Korrektur Zeit sparen. Diese Ersparnis kommt den Dozenten besonders bei der gestiegenen Zahl der Klausuren pro Semester entgegen. Doch Multiple-Choice-Klausuren können auch problematisch sein: So gibt es immer wieder Streitereien wegen Minuspunkten in den Klausuren. Dabei ist die Rechtslage eindeutig, sie sind verboten. Wie die Hochschulen in NRW damit umgehen und was Studierende beachten müssen –  eine Annäherung an einen aktuellen Streitpunkt im Hochschulrecht.

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Minuspunkte bei Multiple-Choice sind verboten. Foto: Paul Crone; Teaserfoto: flickr.com/albertogb123

Vereinzelt gibt es sie noch: Klausuren mit sogenannter Malus-Punkte-Regelung. Doch sucht man sie, verstecken sie sich gut – in einem Dschungel aus Gerüchten, Unklarheiten und rechtlichem Wirrwarr. Sicher ist: Sie gehören zu einer gefährdeten Art an den nordrhein-westfälischen Universitäten. Denn die Rechtslage ist schon seit Dezember 2008 eindeutig: Damals urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster, dass ein Bewertungsverfahren insoweit rechtsfehlerhaft sei, wenn „für eine falsche Antwort Punkte abgezogen werden, die durch eine richtige Antwort erreicht worden sind“. Ein Prüfungsverfahren, das so gestaltet sei, könne keine „Aussagen darüber gewinnen, welche berufsbezogenen Kenntnisse der Prüfling hat“.

Problematisch sind also Klausuren, bei denen einzelne Fragen mit weniger als null Punkten bewertet werden können. Eine falsche Antwort kann somit eine richtige Antwort bei einer anderen Frage im Nachhinein entwerten. Doch wie findet die Rechtslage Anwendung an den Universitäten und wie können Studenten sich darauf berufen?

Komplizierte Voraussetzungen

Dafür müssen im Vorhinein mehrere Prämissen erfüllt sein.

  1. Die Malus-Punkte-Regel fand Anwendung in der Klausur.
  2. Die Klausur wurde nicht bestanden.
  3. Das Nichtbestehen der Klausur schränkt den Studenten in seiner freien Berufswahl ein, weil die Klausur endgültig nicht bestanden wurde und somit ein Ausscheiden aus dem Studiengang droht.
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Dr. Christian Birnbaum ist mit der Thematik bestens vertraut. Er selbst hat 2008 das Verfahren zum Malus-Punkte-Urteil geführt. Foto: privat.

Es muss also zuallererst vor der Beschwerde zum Schadensfall gekommen sein, erklärt Dr. Christian Birnbaum, Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht aus Köln: „Ich kann mich nicht gegen die Klausur wehren, ohne das Klausurergebnis zu kennen, sondern ich muss in der Tat durchgefallen sein“. Es reicht auch nicht als Klagegrund, wenn man die Klausur noch wiederholen kann oder bestanden hat und nur ein schlechtes Ergebnis aufbessern will. Gleichzeitig muss der Student bedenken, dass die Prozesskosten vorgestreckt werden müssen.

Der Widerstand gegen die Klausuren an Unis der UAMR ist gering: Laut dem Justiziariat der Ruhr-Universität Bochum liegen derzeit keinerlei Klagen oder Streitigkeiten wegen Klausuren mit Malus-Punkte-Regel vor. Die TU Dortmund vermeldet ebenfalls keine solchen Klagen. Dort werde aber auch mit einer internen Regelung gegen die Klausuren vorgegangen. Laut Pressestelle der TU „geht die Hochschulleitung davon aus, dass alle Hochschullehrer rechtskonform handeln“.

Eigeninitiative gefordert – Klagen dann aussichtsreich

Wer mit einer Klausur dennoch alle oben genannten Voraussetzungen erfüllt, muss selbst tätig werden, erklärt Anwalt Birnbaum: „Wenn ein Student keinen Widerspruch einlegt und keine Klage erhebt, dann wird es ihm nichts bringen, dass das Verfahren rechtswidrig ist. Es bringt nur demjenigen etwas, der die Schritte einleitet.“ Oder kurz auf den Punkt gebracht: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“

Asta-Referent Johannes Blömeke diskutiert seit Wochen mit dem Institut. Fotos: Lara Enste

Die Regelung aus dem Urteil, meint Johannes Blömeke, würde an der TU intern geklärt. Einer Klage würde damit entgegengewirkt. Foto: Lara Enste, Archiv.

Johannes Blömeke, AStA-Referent für Lehre an der TU Dortmund, rät in diesem Fall Folgendes:Wenn ich bemerke, dass solche Klausuren bei mir geschrieben werden, sollte ich am besten mit der Fachschaft oder dem AStA reden“. Die nächsten Schritte sind dann Widersprüche beim Prüfungsausschuss oder das Gespräch mit dem Klausursteller. Sollte sich dabei keine Lösung finden lassen, bleibt ultimativ das letzte Mittel: die Klage. Die muss vom Geschädigten selbst durchgeführt werden.

Studenten, die dieses letzte Mittel dann trotz aller Hürden nutzen, um gegen ihre Klausuren vorzugehen, hätten vor den NRW-Verwaltungsgerichten Aussicht auf Erfolg. Denn, so erklärt Anwalt Birnbaum: „Was vom Oberverwaltungsgericht Münster kommt (Anm. d. Redaktion: Wie das Urteil von 2008 zur Malus-Punkte-Regel), hat Bindungswirkung für die Verwaltungsgerichte“. Trotzdem rät Birnbaum im Zweifel dazu, sich fachmännische Hilfe zu holen: „Ich erwarte von keinem Studenten, dass er die Grundzüge der prüfungsrechtlichen Rechtsprechung seines Verwaltungsgerichtes und des OVG Münsters kennt. Im Zweifel müssen sie zum Fachmann.“

Interne Weisungen gegen die Verwirrung

Letztlich ist es am Unkompliziertesten für alle – Studierende und Dozenten – wenn interne Weisungen existieren: Dort zeigt sich, dass Hochschulen das Problem auch erkennen und endgültig regeln können. So teilte die Pressestelle der TU Dortmund mit: „Die Fakultäten wurden darüber informiert, dass bei der Durchführung von Multiple-Choice-Klausuren bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten sind. […]Prüfer, die Multiple-Choice-Klausuren erstellen, können sich hinsichtlich der prüfungsrechtlichen Besonderheiten bei der Ausgestaltung dieser Klausuren an das Dezernat Studierendenservice wenden.“ Dort werde auf entsprechende Anfragen regelmäßig auf das Urteil des OVG Münster und die rechtliche Unzulässigkeit der Vergabe von Minuspunkten für falsch beantwortete Aufgaben hingewiesen.  Auch an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gab das Rektorat so eine klare Anweisung:

Solche Regelungen sollen also die letzten Klausuren mit Malus-Punkte-Regel eliminieren. Dass diese überhaupt noch geschrieben werden, ist zwar selten, „liegt dann aber vielleicht auch an der Sturheit der einzelnen Prüfer“, mutmaßt Johannes Blömeke. Oder wie Anwalt Birnbaum es ausdrückt: „Es gibt bei Multiple-Choice erhebliche Unsicherheiten, einen hohen Ratefaktor. Wissenschaftler haben errechnet, dass ein gut trainierter Schimpanse mit einer Wahrscheinlichkeit von 7% das Physikum für Mediziner bestehen könnte – den schriftlichen Teil.“ Der Ratefaktor muss also minimiert werden. Die Malus-Punkte-Regel ist dafür aber nicht geeignet – das steht rechtlich fest.

3 Comments

  • me sagt:

    Konsequenz ist: keine Multiple-Choice-Klausuren mehr in vielen Studiengängen.

    Ich empfehle mal die PO für verschiedene Studiengänge für dieses Thema zu lesen.

    Die Vorgaben sind derartig unsinnig, und es daher unmöglich ist eine SINNVOLLE und gleichzeitig konforme Multiple-Choice Klausur zu stellen. Die aktuelle Interpretation besteht auf der falschen Annahme dass alle Fragen genau gleich schwer wären, und daher ein 08-15-Punkteschema zur Benotung angelegt werden könnte.

    Lösung: statt MC jetzt Textfragen: „Begründen Sie warum A besser ist als B.“

    Der Student darf nun 100x so viel schreiben, für die gleiche Frage.

    Toll. Da haben sich Leute mit den Klagen richtig dumm ins eigene Bein geschossen.

  • Nietzsche sagt:

    Der Autor irrt. Die Rechtslage ist nicht eindeutig. Kein Prüfungsverfahren ist ohne Mängel. Kein Urteil ist objektiv, sondern allenfalls so objektiv wie möglich. Das interessiert die Richter aber überhaupt nicht. Juristen sind grundsätzlich nicht an solchen Fragen interessiert – leider. Sie interessiert nur, ob sich etwas angreifen lässt oder nicht. Ein Verfahren aber, das aber mit Wahrscheinlichkeiten handelt und genau angibt, wie bewertet wird, ist für Juristen ein Leckerbissen, in den man mit Wonne hineinhacken kann. Für ein vernünftiges Vorgehen ist aber nicht die Frage interessant, ob sich etwas juristisch angreifen lässt oder nicht, sondern die Frage, ob das Multiple-Choice-Bewertungsverfahren wirklich schlechter oder besser als andere Verfahren ist. Diese Frage haben sich die Richter aber nicht gestellt. Bei offenen Prüfungsfragen mit freien Antworten wird auch bewertet. Hier werden auch positive und negative Antwortteile verrechnet – nur nicht offiziell. Es bleibt im Dunkeln und wo keiner ist, der genau nachfragt, wie eigentlich offene Antworten bewertet werden, ist auch kein Richter. Die Wartezeit auf Verfahren vor dem Verwaltungsgerichten sind oft deshalb so lang, weil die Richter durch oberflächliches Denken das Recht kompliziert machen. Der Grundgedanke, ein möglichst gerechtes Urteil erzielen zu wollen, ist doch in dem kritisierten Multiple-Choice-Bewertungsverfahren bei tieferem Einblick eindeutig zu erkennen. Man erzielt daher mit solchen Verfahren auch ganz normale Notendurchschnitte in Klausuren, spart aber Zeit, die man sinnvoll anders, z. B. zum Nutzen der Schüler und Studenten, verwenden könnte. Ich ziehe den Hut vor Juristen, die sich einem Gebiet widmen, wo sie große Ungerechtigkeit vermuten, vor Juristen, die Mut zeigen. Aber vor 08-15-Juristen, die nur das übliche Schablonendenken drauf haben und nicht erkennen können, wie weit bereits die Urteile zweier Menschen über eine dritte vorneinander abweichen und dass gemessen daran, die formalen Verfahren nur eine geringe Ungerechtigkeit erzeugen, habe ich keine Achtung. Im Grunde könnte man sie auch entlassen, weil sie sich an Unwesentlichkeiten aufgehalten haben und entsprechend Wesentliches nicht bemerkt haben.

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