Auf Stimmenfang beim Rockfestival

Wenn es auf die Wahl zugeht, stehen die Parteien mit ihren Wahlkampfständen in den Innenstädten und suchen die Nähe zum Volk. Schon hier gehen viele einfach vorbei, sei es aus Zeitmangel oder aus Desinteresse. Was aber, wenn Wahlkampf und Rockfestival aufeinandertreffen? Genau das hat sich die pflichtlektüre beim diesjährigen Rock-in-den-Ruinen-Festival angeschaut.

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Beeindruckende Festivalkulisse auf der ehemaligen Zeche Phoenix West. Fotos: Paul Crone.

Der kleine rote Pavillon sieht ein wenig verloren aus auf dem riesigen Schotterplatz vor der ehemaligen Zeche Phoenix West. Hinter dem Mischerzelt und der dazugehörigen Bühne haben sich die Jungsozialisten der SPD aus Dortmund-Hörde in Position gebracht. Wir treffen auf Alina Rath, die örtliche Vorsitzende der Juso-AG. Außenstehende erkennen Alinas Anliegen heute leicht an ihrem T-Shirt: Sie trägt ein grelles rotes SPD-Shirt, gleichzeitig die dominierende Farbe am Stand.

„Ich habe heute eine 16-Stunden-Schicht“, sagt Alina, die an der RUB Geschichte und Deutsch auf Lehramt studiert. Sie steckt sich wieder ihre Ohrstöpsel in die Ohren, dann fängt eine Band auf der Bühne an zu spielen. Heute haben die Jusos einiges vor: Es ist Wahlkampf. Das Festival Ende April trifft sich im Hinblick auf die bevorstehende Landtagswahl in NRW am 13. Mai bestens.

Mit Zurückhaltung vorgehen

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Als Organisatorin war Alina eine der ersten auf dem Festivalgelände. Im Hintergrund fangen so langsam die Bands an zu spielen.

Es ist alles angerichtet: Bewaffnet mit Give-Aways wie Flyer, Feuerzeugen, Knicklichtern und Kondomen gehen die Jusos auf Stimmenfang, sollte man denken. Doch so einfach ist das nicht: die meisten Besucher wollen nur die Musik genießen und haben keine Augen für Wahlkampf. Deswegen geht man zurückhaltend vor, erklärt Alina Rath: „Wir drängen uns nicht auf“. Sie weiß, dass die wenigsten hier gekommen sind, um über Politik zu diskutieren, aber die Möglichkeit dazu ist gegeben. Meistens weiß Alina dann, mit wem sie es zu tun hat: „Es kommen sowieso eher Leute vorbei, die sowieso schon mit uns sympathisieren. Dass welche kommen, die komplett offen sind, ist selten“.

Schnell stellt sich die Frage: Warum überhaupt Wahlkampf auf diesem Festival? Dass die Partei überhaupt Präsenz zeigt, liegt daran, dass die SPD die Schirmherrschaft über das Festival hat. Früher haben die Jusos aus Dortmund-Hörde das Festival auch noch selbst organisiert, mittlerweile wurde ein lokaler Veranstalter hinzugezogen, weil die Arbeit ehrenamtlich nicht mehr zu stemmen gewesen wäre. Diese historische Verbindung zwischen Partei und Festival erklärt dann auch die Präsenz der SPD’ler auf dem Gelände, auch wenn klar ist, dass politisch nicht so viel zu erreichen ist, auf dem Festival. Alina meint dazu: „Ich denke es ist nach wie vor wichtig, einfach Präsenz zu zeigen“. Wenn Redebedarf besteht, sind Alina und ihre Kollegen da. Etwas anderes kann und will der Wahlkampf in diesem Fall auch gar nicht leisten.

Programm irgendwo zwischen Rock, Punk und Metal

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Schwarz ist die dominierende Farbe, während sich das Gelände immer mehr füllt.

Nach und nach füllt sich das Gelände. Mittlerweile haben die Newcomer-Bands das Feld für etabliertere Gruppen geräumt. Headliner sind am späten Abend die britischen Metalhelden Saxon und der Dortmunder Lokalmatador Philip Boa mit seiner Band Voodoo Club. Das Programm bietet eine gute Mischung und fächert sich auf zwischen Rock, Punk und Metal. Gerade wenn die eher härteren Töne angeschlagen werden, gibt Alina zu: „Mein Fall ist die Musik jetzt nicht gerade“.

Je mehr sich das Gelände allmählich füllt, wird eines deutlich: Am meisten unterscheiden sich Alina und ihre Juso-Kollegen farblich von den übrigen Festivalgängern. Die Festivalbesucher tragen Schwarz, die roten T-Shirts der Jusos stechen deutlich aus der Masse heraus. Je mehr Leute auf dem Gelände sind, desto mehr kommen auch wegen der Give-Aways am Stand vorbei. Die politischen Diskussionen bleiben bisher meistens aus, verständlich bei der Lautstärke. Den meisten Besuchern merkt man an, dass ihnen der ungewöhnlich platzierte Wahlkampf suspekt ist. „Clever, da nutzt man so was gleich für den Wahlkampf“, sagt ein Besucher leicht ironisch im Vorbeigehen. Lediglich vereinzelt stecken Jusos und Besucher die Köpfe zusammen und versuchen über die Musik hinweg zu diskutieren. Während der ruhigeren Umbaupausen fällt das deutlich leichter.

„( )RW von Morgen“

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Die anfangs noch sabotierte Aktion der NRW-Jusos mitsamt dem Slogan "( )RW von Morgen".

Nachmittags trifft dann die Verstärkung von den NRW-Jusos ein. Die haben zusätzliche Materialien dabei, um den Stand herauszuputzen: Fahnen und große rote Buchstaben werden am Stand positioniert, sie Formen den Slogan „NRW von morgen“. Noch während des Aufbaus schleicht sich ein sichtlich betrunkener Mann an und stiehlt das „N“ von „NRW“ und versteckt es an einem nahegelegen Stand. Als politisches Statement versteht Alina diese Geste nicht, generell lässt sie sich davon auch nicht aus der Ruhe bringen: „Der war so betrunken, da kam nicht mehr viel“. Ein Einzelfall, sagt Alina: „Generell sind die Rocker hier super nett“.

Später wird das Festival 10.000 Besucher angelockt haben, wobei das gute Wetter eine sehr große Rolle gespielt haben wird. Die ersten sichtbaren Auswirkungen der Sonneneinstrahlung bemerkt man jetzt auch auf Alinas Wangen, ein leichter Sonnenbrand zeichnet sich ab. „Sonnencreme wäre eine gute Idee gewesen“, gibt Alina zu.

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Zuflucht vor der Sonne sucht Alina unter dem Pavillon. Kalte Getränke inklusive.

Gegen Abend kommt dann der politische Hauptact, direkt vor den musikalischen. Ein längeres Grußwort von Oberbürgermeister Ullrich Sierau erzürnt einen Besucher so sehr, dass ein Stein in Richtung Bühne fliegt. Das bleibt aber auch der einzig brenzlige Moment an diesem Tag, die Stimmung am Stand ist angenehm, im Laufe des Abends suchen dann auch mehr Leute das Gespräch. „Man konnte sicherlich mit Leuten diskutieren, die entweder gar nicht politikinteressiert sind oder zumindest nicht unbedingt SPD-Wähler sind“, sagt Alina. „Ob man die jetzt überzeugen konnte, kann ich nicht sagen“.

Give-Aways statt komplexer Botschaften

Zu überzeugen scheinen dann jedoch die Knicklichter, die innerhalb kurzer Zeit an das Publikum verteilt sind. Mit Give-Aways ist es auf Rockfestivals immer noch einfacher, als mit komplexen politischen Botschaften. Kein Wunder, denn die Arbeit bei Rock in den Ruinen ist quasi wie der Stimmenfang in der Fußgängerzone, nur unter erschwerten Bedingungen: „Wenn die Leute sich zumindest mal unser Statement anhören, ist schon viel gewonnen“, sagt Alina. Dafür, dass Wahlkampf so gar nicht auf ein Rock- und Metal-Festival passt, haben sich die Jusos bei Rock-in-den-Ruinen aber sicherlich gut geschlagen. Nicht mehr und nicht weniger.

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