Lieber mit Tüte über dem Kopf?

Fast zwei Jahre, 3700 Bewerbungen und eine Menge Edding zum Schwärzen waren nötig. Im Mai schließlich hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Fazit zu ihrem Pilotprojekt der anonymen Bewerbungen vorgestellt. Tenor: Endlich sei ein Ende von beruflicher Diskriminierung in Sicht. Aber sorgen anonyme Bewerbungen wirklich für Chancengleichheit? pflichtlektüre schaut genauer hin.

Ein Beitrag von Haluka Maier-Borst

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Beispiel für eine anonyme Bewerbung: Geschwärzt mit allem, was der Edding hergibt. Quelle: Bundes-Antidiskriminierungsstelle

Ein Heilmittel gegen Diskriminierung im Job – das soll die anonyme Bewerbung sein. Vor zwei Jahren war dazu ein Pilotprojekt durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestartet worden. Deutsche Post, Deutsche Telekom, L’Oréal, Mydays, Procter & Gamble und das Bundesfamilienministerium beteiligten sich am Versuch. Anstatt des üblichen Prozedere wurden bei neun echten Bewerbungsverfahren die Unterlagen der Bewerber komplett anonymisiert. Zählen sollte einzig die Qualität und nicht mehr Alter, Geschlecht oder Herkunft der Bewerber. Nun vor zwei Monaten wurde Bilanz gezogen. Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärte erfreut gegenüber Spiegel-Online: „Tatsächlich herrschte bei dem Bewerbungsverfahren Chancengleichheit im Rennen um ein Vorstellungsgespräch.“ Auch Arbeitgeber und Politiker waren euphorisch, denn: Das Verfahren habe ja bestens funktioniert. Naja fast.

Achtung vor Trugschlüssen

Annabelle Krause vom „Institut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA) gibt sich deutlich vorsichtiger, wenn es um den Pilotversuch geht, den sie als Wissenschaftlerin betreut hat. „Die Daten, die uns die einzelnen Unternehmen gegeben haben, waren sehr unterschiedlich. Wir konnten sie deshalb nicht einfach alle zusammen untersuchen“, erklärt die ehemalige RUB-Studentin. Hinzu kommt, dass die teilnehmenden Unternehmen die Anonymisierung unterschiedlich durchgeführt haben. Mal wurden in normalen Bewerbungsunterlagen schlichtweg alle  „verräterischen“ Angaben geschwärzt. Mal hatte das Unternehmen spezielle Bögen entwickelt, die keinen Rückschluss auf Alter, Geschlecht und Herkunft erlauben sollten. Von vollständiger Chancengleichheit mag Annabelle Krause daher nicht reden, wenn es um den Effekt der anonymen Bewerbungen geht. „Man kann aber sagen, dass sich die Chancen, zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, angeglichen haben.“ Ein kleiner Schritt gegen Diskriminierung im Job.

Eingeladen ist nur die halbe Miete

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Der sichere Look für das Bewerbungsgespräch. Foto: pflichtlektüre

Ein weiterer Haken von anonymen Bewerbungen fehlt in der IZA-Studie. Es geht um die zweite große Hürde bis zum Job: das Bewerbungsgespräch.

Denn so anonym ein Bewerbungsverfahren auch sein mag, zum Gespräch mit Chef oder Personaler kann niemand verpixelt oder mit der Tüte über dem Kopf erscheinen. Und das scheint vor allem für Migranten ein Problem zu sein. Bereits 2007 stellte eine schwedische Studie fest, dass durch anonyme Bewerbungen zwar mehr Migranten und Frauen zum Gespräch eingeladen werden. Für die Gruppe der Migranten ist der positive Effekt der anonymen Bewerbung nach dem Einstellungsgespräch allerdings verpufft. Die Quote der Migranten unter den Neueingestellten war so niedrig wie auch bei einem herkömmlichen Bewerbungsverfahren. Ein Phänomen, das Sozialpsychologen beschäftigt.

Ihr Erklärungsversuch: Ein Bewerbungsgespräch sei nicht nur für den Bewerber mit schweißnassen Händen und trockenem Mund verbunden. Auch der Personaler sei in einer besonderen Stresssituation. Denn: In wenigen Minuten muss er sich ein umfassendes Bild vom Bewerber machen und gleichzeitig souverän wirken. Eine fast unmögliche Aufgabe. Um den Stress zu verringern schalte in dieser Situation das Gehirn quasi auf Autopilot und nutze viele „alte“ Hirnstrukturen.

Vorurteile sind natürlich – aber zu beheben

Was dann passiert, erklärt der Sozialpsychologe Frank Asbrock von der Uni Marburg, der zum Thema Diskriminierung forscht: „Der Mensch greift in dieser Situation auf Stereotype und Vorurteile zurück, um schnell die Situation zu erfassen und die sogenannte Eigen- von der Fremdgruppe zu unterscheiden.“ So komme es, dass selbst ein toleranter Personaler mitunter diskriminierende Entscheidungen trifft, ohne es zu wollen, weil er in ein altes Freund-Feind-Schema verfalle.

Ein wenig Hoffnung kann Asbrock aber dennoch machen Er erklärt: „Der Mensch kann gegen solche Entscheidungsmechanismen angehen. Positive Erfahrungen mit Minderheiten und das Bewusstmachen, dass es solche Stereotype gibt, können nach und nach verändern, wie Entscheidungen getroffen werden.“

Schwärzen von Bewerbungsunterlagen alleine reicht also noch lange nicht. Zusammen mit besserer Schulung für Personaler und Chefs könnten anonyme Bewerbungen aber vielleicht eines Tages wirklich garantieren, dass Qualität über den Joberfolg entscheidet. Und nicht Alter, Geschlecht oder Herkunft.

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Es bleibt ein weiter Weg, bis der Chef einem die Hand schüttelt. Foto: AlexanderKlaus/pixelio.de

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