Der Pott wird zum Kinostar: Der Film „Radio Heimat“ zeigt das Ruhrgebiet der 80er

Das Ruhrgebiet hat einen besonderen Charme – die Pottkultur. Der Film „Radio Heimat“, der am 10. November 2016 im UCI in Bochum Premiere feierte, zeigt den Pott der 80er von seiner schönsten Seite: derbe, lustig und unzensiert. Im Interview spricht Regisseur und Drehbuchautor Matthias Kutschmann über seinen ersten Kinofilm, wilde Kellerpartys und die klassische Pott-Familie. 

Matthias Lutschmann Radio Heimat

Mit „Radio Heimat“ feiert Regisseur Matthias Kutschmann sein Kinodebüt. (Foto: Lilian Fiala)

Herr Kutschmann, warum ist der Pott einen Film wert? 

In den letzten 15 Jahren gab es kaum einen Film aus dem Ruhrgebiet. Die Region ist so interessant, weil sie wahnsinnig vielseitig ist und die Menschen selbst super spannend sind. Wir haben eine besondere Sprache und einen speziellen Humor. Das alles kommt in der Kinowelt einfach kaum vor. 

Sie sagen „wir“ – haben Sie eine persönliche Bindung zum Ruhrgebiet?

Ich bin selbst Dortmunder und habe in Bochum studiert. Ich habe die klassische Pott-Familie: Mein einer Onkel war Bierkutscher, ein anderer im Stahlwerk tätig und mein Vater ist noch im Pütt (Anm. der Redaktion: Ein Bergwerk, eine Zeche) eingefahren. Für mich lag das also auf der Hand, dass Radio Heimat ein Film ist, den ich unbedingt umsetzen musste. 

Kellerpartys, Sex auf der Halde, Treffen auf verlassenen Industriegeländen – die 80er im Pott waren abenteuerlich. Haben Sie auch ein paar Pott-Abenteuer erlebt?

Als ich 16 Jahre alt war, gab es garantiert keinen Sex auf der Halde. Da haben wir aber gerade angefangen zu saufen. Kellerpartys gab es auch, ich selbst habe mit meinen Freunden aber die meisten Partys im Gemeindehaus geschmissen. Einer der Partykeller aus dem Film sieht lustigerweise genau so aus, wie der von meinem Onkel, der Bierkutscher war. 

Können Sie Ihr junges Selbst in den Charakteren aus dem Film – Mücke, Spüli, Pommes oder Frank- wiederkennen? 

Vom Erscheinungsbild her war ich wahrscheinlich eher Pommes. Aber so von der Art her war ich eher ruhiger, wie Frank und ein kleines bisschen war der Wunsch da, wie Mücke sein zu können. Ein bisschen rebellisch und rockig.

Was war eine der größten Herausforderungen beim Filmen im Ruhrgebiet?

Es war schwierig, weil es von außen die Locations natürlich nicht mehr so gibt, wie in den 80ern. Da musste man bei der Kulisse ein Stück nachhelfen. Aber das ist nochmal mehr Grund, so einen Film jetzt zu machen. Durch den Strukturwandel verschwindet ja immer mehr vom alten Bild, 2018 schließt die letzte Zeche, da galt für mich ein bisschen „jetzt oder nie“. 

Wie viel aus den Büchern von Frank Goosen hat es in den Film geschafft und welche Ideen stammen ganz von Ihnen?

Die Frage hab ich mir vor Kurzem selber noch gestellt. Irgendwann verschwimmen die Grenzen, weil man ständig Dinge ändert. Aus den beiden Büchern von Frank Goosen hab ich ein paar der Kurzgeschichten komplett übernommen, aber auch einzelne Elemente und Charaktere eingebaut. Die „Übersetzung“ vom Medium Buch zum Film ist immer schwierig. Aber mit den Werken von Frank Goosen hat das  gut funktioniert, weil es viele kleine Geschichten sind und nicht ein  durchgehender Roman. Gleichzeitig war dann die Herausforderung, den roten Faden für den Film zu finden.

Waren Sie sich auch mal uneinig mit dem Autor? 

Eigentlich gar nicht, wir hatten vorher eine Drehbuchbesprechung  – er fand es echt gut. In Franks Werken schreibt er zum Teil aber über seine Familienmitglieder und er hatte die Befürchtung, dass ein Regisseur seine Familie zum Deppen machen könnte. Aber er hat schnell gemerkt, dass ich da vorsichtig und ihm gegenüber loyal bin.

Der Film spielt ja in den 80ern. Wie hat sich das Leben im Ruhrgebiet für die Jugendlichen denn seit dem gewandelt?

Ich habe das Gefühl, dass der Unterschied zwischen der Jugend heute und der in den 80ern viel mit den neuen Medien zu tun hat. Die Jugend ist heute in ganz Deutschland so ein bisschen vereinheitlicht, dadurch, dass die Kommunikationsfläche nicht mehr der Partykeller ist, sondern vielleicht Facebook.

Radio Heimat - Damals war auch scheiße!
Radio Heimat Cast

Pommes, Mücke, Spüli und Frank schlagen sich gemeinsam durch die Pubertät im Pott. (Foto: 2016 Concorde Filmverleih GmbH / Wolfgang Ennenbach)

Radio Heimat basiert auf den Kurzgeschichten von Autor Frank Goosen. Seine Werke „Radio Heimat“ und „Mein Ich und sein Leben“ waren die Grundlage für das Drehbuch von Matthias Kutschmann.

Im Film versuchen die vier Freunde Frank, Pommes, Spüli und Mücke mitten im Pott der 80er Jahre und mitten in der Pubertät die erste Liebe und den ersten Sex zu finden. Ihre Eltern hatten es damals noch leichter: Mit Tanzschule und keuschem Kaffeetrinken lief es in der Liebe quasi wie von selbst. Also müssen die Jungs auf eigene Faust herausfinden, wie das mit dem Dating geht. Sie scheitern als Rockmusiker im Bergarbeiter-Chor, richten Partykeller ein und nutzen die Klassenfahrt als letzte Chance, endlich erwachsen zu werden. 

Der Film zeigt auf witzige aber liebevolle Art und Weise den Pott der 80er, wie er wirklich war: Ein bisschen Klischee und immer frei Schnauze!

Beitragsbild: 2016 Concorde Filmverleih GmbH

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