Das Kabü, ein Café für alle

Sie wissen, was der Gast am Fenster will und was die Studentin am Tisch daneben bestellen wird, noch bevor beide auch nur ein Wort gesagt haben: Im Café von Igor Albanese und Julian Kühn ist der Gast schon nach wenigen Minuten kein Fremder mehr. Denn im „Kabü“ steht das Vernetzen von Menschen im Vordergrund, und das am liebsten bei Kaffee und Kuchen. Aber das „Kabü“ ist noch mehr: Als Coworking Space vereint es Café und Arbeitsplatz.

Es klirrt, als Igor Albanese die Eiswürfel ins Glas wirft. Ein paar Beeren fallen daneben, eine schwarze Locke in sein Gesicht, kurz darauf mischt sich fruchtiger, blutroter Sirup zischend mit kristallklarem Wasser. Zeit für die finale Zutat, die Albanese mit einer schwungvollen Handbewegung ins Glas gleiten lässt: einige Stängel frische Minze − und fertig ist der „N’icetea“, eine Spezialität des Hauses.

Das Getränk wird oft bestellt hier im Kabü, so auch heute von der jungen Frau, die auf der anderen Seite des Raumes sitzt. Wie immer nimmt Albanese sich Zeit für einen kurzen Plausch. Er legt Wert darauf, etwas über die Menschen zu erfahren, die in seinem Café ihre Zeit verbringen. Kurz darauf kommt eine weitere Frau herein, blickt sich im Raum um, sichtlich auf der Suche nach einem Sitzplatz. Noch bevor sie sich niederlassen kann, steht Albanese schon neben ihr. „Hallo − wie immer?“

Dass man neugierig wird, wenn man am Kabü vorbeischlendert, ist kein Wunder. Die Fensterfront ist so üppig, dass man gar nicht daran vorbeigehen kann, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Fast immer steht jemand vor dem Café, heute ist es Albanese mit einem anderen Gast, beide haben Weingläser in der Hand. „#Coworking, #Arbeiten, #Lernen + Käffchen & Vino“, steht auf einem Aufsteller, den die Chefs auf dem Gehweg platziert haben. Ein Coworking Space also, mitten in Essen-Rüttenscheid, einer vermeintlich typischen Wohngegend? Ganz genau.

Der Mann namens Igor Albanese, der so genau um die Wünsche seiner Gäste weiß, ist in der Stadt kein Unbekannter. Der gebürtige Kroate ist Musikproduzent und Eventveranstalter. Jahrelang leitete er außerdem ein bekanntes Restaurant in Rüttenscheid, das Leonardo. Und nun ist er Besitzer des Kabü.

Eine spontane Idee – und Schicksal

Obwohl Igor Albanese als erfahrener Gastronom genau weiß, wie ein gutes Konzept auszusehen hat, war das Kabü eine spontane Idee. Gemeinsam mit Julian Kühn, einem Freund seiner Tochter, war er eigentlich auf der Suche nach Büroräumen. Als die beiden gerade den Vertrag für ein anderes Objekt unterschreiben wollten, erzählte ein Freund ihnen vom Ladenlokal in der Annastraße. „Das war Schicksal“, sagt Igor Albanese heute.

In den lichtdurchfluteten Raum haben Julian Kühn und er sich sofort verliebt. Aber er bietet viel Platz – zu viel Platz für ein Büro von zwei Leuten, fanden sie. „Dann dachten wir uns: Warum lassen wir nicht auch andere hier arbeiten. Dazu eine kleine Theke und Selbstbedienung, das war unser Plan“, sagt Albanese. So entstand das Coworking Space Kabü, dessen Name einfach nur für die Abkürzung der Worte Kaffee und Büro steht.

Anders als in gewöhnlichen Coworking Spaces müssen die Tische weder vorab reserviert, noch für eine längere Zeit gebucht werden. Auch WLAN und Strom sind für alle Gäste kostenlos. „Am Anfang wollten wir es mit einer Tischmiete versuchen, aber dann haben wir uns dagegen entscheiden“, sagt Albanese. Sie wollten nicht das große Geld mit ihrer Idee machen. Die Menschen sollten sich einfach wie zu Hause fühlen.    

Hinter der Theke bereitet Albanese einen Cappuccino zu. Ein Mann mit Glatze und Drei-Tage-Bart, der an einem der hinteren Tische sitzt, hat ihn bestellt. Schon seit Stunden tippt er auf seinem Laptop, ab und zu nippt er an einer Flasche Bier. Der Mann ist ein Blogger aus Italien, weiß Albanese. „Seit einem Jahr kommt er jeden Tag und schreibt hier an seinem Blog.“ Doch bald verliert das Kabü einen Stammgast: Er zieht zurück nach Italien. 

Im Kabü ist niemand lange fremd 

Nur ein paar Tische weiter sitzen zwei junge Frauen. Aus ihren Taschen ragen Ordner und Hefte. Ihre Laptops sind aufgeklappt, aber sie unterhalten sich unentwegt, nur ab und zu werfen sie einen Blick in die Bücher, die vor ihnen auf dem Tisch liegen. Igor Albanese bringt zwei Stücke Kuchen zum Tisch. Auch die Frauen sind für ihn keine Unbekannten: Die beiden sind Studentinnen, die nach der Uni häufig ihre Projekte und Seminare im Kabü besprechen, sagt er.

Julian und Igor (v.l.) sind schon lange befreundet. Im Kabü erledigen sie nicht nur ihre Büroarbeit, sondern kümmern sich auch um jeden Gast persönlich.

Wichtiger als der Profit sei ihm und seinem Partner dabei der Netzwerkgedanke, erzählt Igor Albanese, während er sich ein weiteres Glas Wein einschenkt. „Ich rede mit allen Gästen über das, was sie machen, und weiß dann schnell, was sie suchen“, sagt er. Nicht selten setze er die Leute dann einfach zusammen an einen Tisch. „Im Kabü sind so schon viele wichtige Kontakte entstanden.“.

Weil fast alle Gäste arbeiten, ist es an diesem Tag vergleichsweise ruhig im Kabü. Nur ganz leise Musik klingt aus den Lautsprechern, gerade so, wie Albanese es am liebsten mag. Denn auch er sitzt im Kabü häufig am Schreibtisch. Dieser liegt in einem abgegrenzten Bereich, rechts neben der Theke.

Schräg gegenüber sitzt ein junge Mann mit Kappe. Sein Handy wird an einer der unzähligen Steckdosen aufgeladen, die man in einem Coworking Space eben so braucht. Vor ihm steht eine Tasse, neben seinen Füßen ein Skateboard. „Er produziert Skate-Filme und hat letztens seine Premiere hier gefeiert“, sagt Igor Albanese. Er muss lachen, als er an den Abend denkt. Sein Gast habe viele Freunde eingeladen, die sich dann mitsamt ihren Skateboards vor dem Café versammelt hätten. „Nachbarn haben die Polizei gerufen, weil sie dachten, da passiert etwas.“

Gleich an der Fensterfront sitzt ein Mann in maßgeschneidertem Anzug. Igor Albanese kennt ihn noch nicht, ein neuer Gast. Das Kuchenstück vor ihm ist noch unangerührt, als ein zweiter Mann sich zu ihm gesellt. Sie kennen sich und scheinen über Geschäftliches zu reden. Igor bringt eine zweite Tasse Kaffee an den Tisch. „Schön habt ihr es hier“, sagt einer der Männer zum Gastgeber, als sie aufbrechen. Sie wollen unbedingt bald wiederkommen.

Doch auch, wenn es an diesem Tag zunächst so scheint: Nicht alle Gäste kommen zum Arbeiten ins Kabü. Viele nutzen das Café, um sich ganz normal mit Freunden zu treffen oder in Ruhe ein Buch zu lesen. Eine junge Frau mit kurzen Haaren hat es sich dazu auf dem Sofa gemütlich gemacht, wo zuvor die beiden Anzugträger saßen. Die Füße auf der Lehne, verschlingt sie ihre Lektüre – ein Buch für die Uni.

Der Netzwerkgedanke steht ganz oben

In der Zwischenzeit räumt Igor die anderen Tische ab. Die Einrichtung ist zusammengewürfelt wie eine Patchworkdecke. Ein großer Holztisch an der Fensterseite ist erst seit einigen Tagen im Kabü, den vorherigen haben sie verkauft. Auch das Mobiliar im Café kann ein Gast erwerben, wenn es ihm gefällt. Alles stammt von Designern aus der Region, die ihre Möbel dem Café zur Verfügung stellen und so zugleich eine Art Showroom haben. „Damit wollen wir die kreative Szene in Essen und Umgebung vernetzen“, sagt Igor Albanese.

 

Zum Kauf steht neben Tischen und Stühlen noch einiges mehr: Weinregale aus alten Lattenrosten, Skulpturen und Gemälde, aber auch Rucksäcke, Kaffee und Olivenöl aus Igors Heimat Istrien. Viele Objekte sind nachhaltig produziert und aus recycelten Materialien. Einer der Künstler ist an diesem Nachmittag im Kabü und präsentiert Igor seine neuste Kreation: Einen Ring für den Finger, auf den man einzelne Tasten einer Computertastatur aufstecken kann. Ein echter Designer-Ring aus recyceltem Material also.

Drum-Sessions und Schlemmer-Samstage

Noch während Igor mit dem Recycling-Künstler redet, öffnet sich die Tür erneut. Ein junger Mann mit kurzen braunen Locken und Hut kommt herein, an seinem linken Ohrläppchen blitzt ein Ohrring. Es ist Julian Kühn, der zweite Besitzer des Kabü. Der 28-Jährige kommt direkt von der Uni in Münster, wo er noch studiert. Die meiste Zeit, widmet er jedoch seiner Band „Banda Senderos“, mit der er als Schlagzeuger durch die Gegend tourt.

Dennoch übernimmt auch er regelmäßig Schichten im Café. Heute hat er frei – ins Kabü kommt er trotzdem. Auch seine Band kommt häufig her und hält dann auch schon mal kleine Coworking-Sessions ab. Aber auch seine Freunde verbringen gerne Zeit im Kabü. „Und manchmal komme ich dann auch wirklich zum Arbeiten“, scherzt er. 

Gegen Abend verlassen die Gäste nach und nach das Café – Büroschluss. Igor und Julian testen währenddessen die neusten Kreationen ihres Caterers. Und während sie unter den letzten Besuchern vegane Snacks verteilen, planen sie schon die nächsten Events. Start-up-Nächte, Schlemmer-Samstage – man kann die Menschen gar nicht aktiv genug zusammenbringen, finden die beiden. Und so fühlt man sich schon nach einem einzigen Besuch im Kabü tatsächlich nicht mehr fremd, sondern willkommen. „Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet sich schließlich der letzte Gast. Auch er wird wiederkommen – ob nun auf eine Tasse Kaffee oder ein gutes Gespräch mit den Gastgebern.

Fotos: Jule Zentek

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