Plattform für vergessene Forschung

Ein Ansatz, der auch wirtschaftliche Vorteile für die Wissenschaft mit sich bringt: Forscher mit einer bestimmten Hypothese sind durch veröffentliche Misserfolge gewarnt, anstatt diese durch kostenintensive Studien immer wieder aufs Neue entdecken zu müssen. Mögliche Fehler in der Methodik oder dem verwendeten Material lassen sich so frühzeitig ausräumen.

Stephen Reysen, Herausgeber des Journal of Articles in Support of the Null Hypothesis im Bereich Psychologie nennt ein Beispiel: „Nehmen wir an, zu einer wissenschaftlichen Hypothese liegen 20 Studien vor, aber nur die eine mit dem positiven Ergebnis wird veröffentlicht. Wenn dann jemand versucht, das vermeintlich positive Verfahren anzuwenden, verschwendet er möglicherweise viel Zeit und Geld.“

Das Schubladenproblem: Auch Wissenschaftler selbst schrecken davor zurück, ihre negativen Ergebnisse zu veröffentlichen.

Das Schubladenproblem: Wissenschaftler wollen negative Ergebnisse nicht veröffentlichen.

Das Schubladenproblem

Trotz der genannten Vorteile fristen Publikationen für negative Ergebnisse bis heute ein Schattendasein. Viele Herausgeber beklagen, dass nur sehr wenige Manuskripte eingesandt werden, obwohl die Journale durch qualifizierte Gutachter ähnlich hohe Qualitätsstandards versprechen wie etablierte Magazine.

„Immer, wenn wir Werbung machen, erhalten wir ein anerkennendes Schulterklopfen, aber es folgen keine Artikel. Das Journal stagniert“, sagt Stan Szpakowicz über sein Online-Journal (Journal of Interesting Negative Results in Natural Language Processing and Machine Learning). Noch schlechter fällt die Bilanz des Forums for Negative Results aus, das nicht wie die meisten ähnlichen Publikationen aus den USA stammt, sondern 1997 an der FU Berlin gegründet wurde. „Ich habe nach all den Jahren immer noch keine einzige Einreichung für FNR bekommen“, berichtet Lutz Prechelt.

Ein Grund für die zurückhaltende Nutzung ist das so genannte Schubladenproblem: Auch die Akteure der Wissenschaft befinden sich in einem ständigen harten Konkurrenzkampf mit ihren Kollegen des gleichen Fachbereichs. Angst vor Prestigeverlust oder einem Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Forschungseinrichtungen verringern die Motivation, einen Artikel mit Nullresultaten zu veröffentlichen. „Viele Forscher wollen einfach keine Zeit investieren, um Studien einzureichen, die nicht völlig eindeutig sind“, erklärt Stephen Reyes von der University of Kansas.

Pharmaforschung als Vorreiter

Dass dies für einen ganzen umfangreichen Fachbereich möglich ist, tatsächlich alle Studiendaten zu veröffentlichen, zeigt seit einigen Jahren die pharmazeutische Forschung: Mittlerweile ist es in vielen Ländern gesetzlich verankert, dass klinische Studien in einer öffentlichen Datenbank registriert werden müssen bevor sie gestartet werden. Seit dem Jahr 2005 veröffentlichen führende Journale wie JAMA oder Lancet ausschließlich Forschungsarbeiten, die vor ihrem Start in so einer Datenbank registriert wurden.

Mit deren Hilfe können dann auch Studien mit negativen Ergebnissen identifiziert und in den aktuellen Forschungsstand einbezogen werden, selbst wenn sie nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurden. Eine Vorgehensweise, die die Herausgeber der Journale für negative Ergebnisse für jeden wissenschaftlichen Bereich fordern: „Jede Disziplin mit einer experimentellen Komponente würde davon profitieren“, so Stan Szpakowicz.

Auch Biologe Volker Bahn ist dieser Ansicht. Er hat sich deshalb nach den Ablehnungen der traditionellen Fachzeitschriften dazu entschieden, in einem Medium für negative Ergebnisse (Journal of Negative Results – Ecology & Revolutionary Biology) zu veröffentlichen, obwohl dort bis dato nur wenige Artikel publiziert wurden. „Mir war die Problematik mit den negativen Ergebnissen schon sehr lange bewusst. In der Biologie und Ökologie spricht aber quasi niemand darüber“, berichtet der Biologe. „Deshalb wollte ich das neue Journal unterstützen. Denn so etwas wird dringend gebraucht.“

Text und Fotos: Eike Strunk

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