Klosterleben und Studium: Die tägliche Konfusion

AlbanIIGregorianische Gesänge schweben durch das Kloster in Bochum-Stiepel. Das erste rote Morgenlicht tritt durch kleine Fenster in das helle Gewölbe. Im Chorgestühl steht Frater Alban Ganse, der auf ein Gesangbuch blickt, das etwa ein Quadratmeter misst, und mit leichten Lippenbewegungen singt. Er betet den Frühchor um 6 Uhr – für den 26-jährigen Mönch die wertvollste Zeit des Tages. Im täglichen mehrstündigen Gebet fühlt er sich aufgenommen. Bei seinen 12 Mitbrüdern. Bei Gott.

Frater Alban und die Mönche des Zisterzienserklosters stehen sich im grauen Chorgestühl der Wallfahrtskirche von Bochum-Stiepel gegenüber. Knapp eine Stunde lang beten die Mönche in der Kleidung aus einem weißen Untergewand und einem schwarzen Obergewand wechselseitig den Frühchor. Ganz sanft und konzentriert singt Frater Alban die lateinischen Texte – er muss stark auf seine 40- bis 70-jährigen Mitbrüder achten, damit der gregorianische Gesang so sanft klingt. „Auf die anderen hören“ – das musste Frater Alban erst im Kloster lernen.

Vom David zum Alban

Frater Alban heißt eigentlich David Ganse, er ist in Witten geboren und aufgewachsen. „In meiner Schulzeit war ich ein ziemlicher Einzelgänger“, sagt Frater Alban. Seit dem Noviziat, also der Zeit der Einführung in das Klosterleben, hat er seinen Namen gewechselt. Aus einer Liste mit mehr als zweihundert Namen durfte er drei Favoriten vorschlagen. Sein Abt hat dann Alban ausgewählt.

DSC_0921Ab und zu muss Frater Alban den Gesang unterbrechen. Er gähnt. „Doch selbst wenn ich müde bin und mich nicht voll konzentrieren kann, kann ich nicht falsch beten. Ich bete mit den Worten, die Jesus mir gegeben hat. Er kann es auch einordnen, wenn ich mal müde bin“, sagt Frater Alban mit Gewissheit. Das Chorgebet ist für ihn „eine sehr persönliche Art und Weise, mit Gott zu reden“, wie der 26-Jährige mit leichter Stimme sagt. „Es gibt mir Kraft, Halt, Reserven und ein Zuhause.“

Im Kloster zu leben, das bedeutet für ihn nicht nur früh aufzustehen, sondern danach auch einen streng geregelten Alltag zu haben. Vom Aufstehen um 5.30 Uhr bis zum gemeinsamen Abendessen ist der ganze Tag im Voraus geplant. Darunter drei Stunden Gebet. Nach dem einstündigen Frühchor und der ebenso langen Messe gehen die Mönche zu ihren eigenen, ganz unterschiedlichen Aufgaben im Kloster über – von der Pforte über die Küche bis zur eigenen Imkerei.

Astronaut? Pilot? Mönch!

Frater Alban nutzt diese Zeit, um Theologie an der Ruhr-Uni Bochum zu studieren. „Grüß Gott“ sagt er und neigt seinen Kopf leicht, als er in den Bus zur Uni einsteigt und dem Fahrer sein Semesterticket zeigt. Alban Ganse studiert Katholische Theologie. Er will Priester werden. Der nächste Schritt in seinem Traumberuf Mönch. „Mit 12 Jahren habe ich das erste Mal den Wunsch formuliert, Mönch zu werden. Aber das ist ein Alter, in dem man sonst noch Astronaut, Pilot oder Feuerwehrmann werden will“, sagt Frater Alban. „Den Glauben an Gott habe ich von Kindesbeinen an kennengelernt und mich darin wohl und glücklich gefühlt. Der Glaube ist für mich immer personenbezogen. Ich glaube an jemanden. Es ist so, als wenn ich meine Eltern frage, ob sie mich am Flughafen abholen können. Dann habe ich eine Vertrauensbeziehung zu ihnen, eine sichere Hoffnung. Obwohl ich zunächst keinen konkreten Beweis habe, dass sie mich abholen, erwarte ich es mit Zuversicht. Nach und nach wollte ich wirklich einen Beruf wählen, in dem ich lerne, Gott, meinen Nächsten, meinen Feind und mich selbst zu lieben – Mönch. Denn Mönch sein heißt für mich, lieben zu lernen. Zwei Jahre lang habe ich in der sogenannten Kandidatur zivil im Mutterkloster Heiligenkreuz in Wien mitgelebt. Dort habe ich gespürt, dass es der richtige Weg für mich ist.“

Ob im Bus, auf dem Campus oder wie jetzt in der Mensa – Frater Alban hebt sich immer mit seiner schwarz-weißen Ordenskleidung von anderen Studenten ab. Sein Essen bezahlt er mit der Unicard. Denn obwohl er als Mönch in Besitzlosigkeit lebt, kriegt er von seinem Orden alles Nötige bezahlt. Frater Alban erklärt: „Rechtlich hat man als Zisterziensermönch keinen Privatbesitz und Erbansprüche mehr. Das Vermögen des Klosters wird von dem Kämmerer verwaltet, der mir zum Beispiel Geld für die Essenskarte der Uni gibt. Dadurch kann ich lernen, Geld sinnvoll auszugeben.“

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In den Bereich der Klausur haben nur die Mönche zutritt.

Konfusion der Werte

Die Besitzlosigkeit macht sich auch auf dem Rückweg bemerkbar. Als die U-Bahn an der Haltestelle der Uni einfährt, starren fast alle rund um Frater Alban auf ihre Handys oder hören Musik. Ein Handy hat Alban nicht, das würde nicht zur bescheidenen Lebensweise der Mönche passen. Genauso wenig, wie eine Freundin. „Ich muss nicht mehr mit dem Zölibat kämpfen, als es ein verheirateter Mann, der wirklich treu ist, tun muss“, sagt Frater Alban. „Natürlich habe ich manchmal das Bedürfnis nach Zweisamkeit oder Kindern. Dann besinne ich mich aber auf das zurück, weshalb ich ins Kloster eingetreten bin: Lieben zu lernen. Denn richtig zu lieben heißt, jemanden um seinetwillen zu lieben und nicht, weil es mir dadurch besser geht. Wenn zwei Menschen heiraten, denn hat es auch etwas mit Verzicht zu tun – nur eine Person wirklich um seinet- oder ihretwillen zu lieben. Diese wahre Liebe haben wir in der Gemeinschaft der Mönche.“

Nach der Fahrt in der rappelvollen U-Bahn steigt Frater Alban am Bochumer Hauptbahnhof in den Bus um. Er freut sich sichtlich darauf, wieder zurück in die „ganz andere Welt“ des Klosters zu fahren. „Egal ob in der Schule, bei Bewerbungsgesprächen oder auf der Arbeit: Heutzutage wird viel Wert darauf gelegt, wie man sich präsentiert und gegenüber anderen auftritt. Im Kloster interessiert es keinen, wie großartig man selber ist. Man kann nur etwas erreichen, wenn man achtsam und für den anderen da ist. Im Kloster ist nicht entscheidend, ob man etwas macht, sondern wie. Dazu gehört, in Gesprächen den richtigen Tonfall, die richtige Lautstärke zu treffen und die Stärken und Schwächen seiner Mitbrüder wertzuschätzen. Dadurch merke ich selber, dass ich nicht so großartig bin. Aus der Gemeinschaft der Mönche erhalte ich dann Kraft, an mir zu arbeiten.“

Komplet, der Abschluss des Tages, so lautet das Gebet um 20:30 Uhr. Zum letzten Mal schweben heute die beruhigend wirkenden, gregorianischen Gesänge der Mönche durch die Klosterkirche. Hier fühlt Frater Alban Ganse sich aufgehoben. Bei seinen 12 Mitbrüdern. Bei Gott.

Alle Bilder: Tobias Schulte

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