Kommentar: Der falsche Hitler und das Ende der Hemmschwelle

Die Satire „Er ist wieder da“ läuft seit Donnerstag in den deutschen Kinos. Hitler taucht in Berlin auf und zeigt, wie der „normale“ Bürger auf die Konfrontation mit rechtem Gedankengut reagiert. Dieses Experiment ist wichtig, denn es unterstreicht die aktuelle politische Realität: Die Hemmschwelle, für rechte Gedanken und Taten ist überwunden – das ist leider nicht lustig, sondern verdammt gefährlich.

Die Bilder, die in den vergangenen 24 Stunden durch Deutschlands Medien geistern, wirken wie eine Anordnung von Adolf Hitler selbst. In Erfurt marschieren 8.000 AfD-Anhänger gegen die deutsche Flüchtlingspolitik auf. Mit Deutschlandfahnen versteht sich. Die verantwortlichen Politiker in Thüringen ernten vom Mob höhnisches, hemmungsloses Gegröle unter dem polit-kritischen Deckmantel: „Volksverräter!“,“Lumpenpack!“. In den selben 24 Stunden auf der Insel Rügen: Unbekannte verschütten in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft stinkende Flüssigkeiten und in Ingolstadt brennt wieder ein Asylbewerberheim.

Zynisch ist, dass er ausgerechnet jetzt ein alter Bekannter der deutschen Geschichte wieder da ist. Er, Hitler, der sicher stolz auf sein Deutschland dieser 24 Stunden wäre. 

Mahnfigur ohne Mahnwirkung

Die Satire von Regisseur David Wnendt verknüpft gespielte Roman-Ausschnitte mit dokumentarisch-angelegten Szenen, in denen „Hitler“ Oliver Masucci durch sein Deutschland reist und sich seinem Volk stellt. Diese Szenen sind von erschreckender Natur. Denn: Sie zeigen die Konfrontation deutscher Normalbürger mit rechtem Gedankengut aus der grotesk-ungewöhnlichen Perspektive des Hitlers, die den Deckmantel der Salonfähigkeit abnimmt und für wenige Minute an den Kleiderhaken hängt. Selfies mit Hitler, Küsschen und Umarmungen für Hitler. Heil dem Führer und Hitlergruß – ungeachtet der Tatsache, dass dies Straftaten sind. Dann wieder unter den Mantel. Anzeigen, Angriffe oder Aggressionen gegen Hitler: Fehlanzeige. Die Mahnfigur scheint ihre mahnende Wirkung verloren zu haben. 

Kritik, dass das Wnendts Filmprojekt pietätlos sei und eine Verniedlichung Hitlers sei, ist nicht nachvollziehbar, zeigen die Reaktionen doch eine erschreckende Realität auf. Oliver Masucci sagt in einem Beitrag für die Tagesschau: „Relativ schnell haben die angefangen, sich diesem Mann auszuschütten  – und genau das hat man kurz danach ja auch in der Pegida-Bewegung gesehen. Uns hat das dann gar nicht mehr überrascht, dass genau die dann plötzlich auf die Straße gingen. Das Mitte-Bürgertum, das nach rechts rückt, hatten wir ja vorher schon vor der Kamera.“ Damit eröffnete sich dem Filmteam ein erschreckend akkurater Blick in die Zukunft.  Der Allgemeinheit bleibt diese Innensicht verwährt.

Dass der für die Satire eingefangene Rechts-Ruck längst Realität und nicht mehr zum Lachen ist, zeigt sich spätestens mit Pegida, Legida, AfD und Co. So groß der zivile und exekutive Gegenwind auch ist, so sehr ist diese Öffentlichkeit auch eine Bestärkung derer, die sich bisher nicht getraut haben, über die Hemmschwelle zu treten. Die Flüchtlingskrise birgt dahingehend neue Gefahr, denn sie schürt Ängste, Wut und vor allem Ungewissheit. Diese Gefahr zeigen die vergangenen 24 Stunden ganz deutlich auf: Es sind nicht mehr bloß Plakate, die Handeln fordern, Handlungen passieren.

Das „Nie wieder“ ist in Gefahr

Zum Glück gibt es auch diejenigen in Deutschland, die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen und gegen rechte Gewalttaten demonstrieren, trotz Aufklärung in der Schule und den „Nie wieder“ Versprechen, zeigt sich, scheint es auch 70 Jahre nach Hitler immer noch nicht den richtigen Weg zum Umgang mit bürgerlichem rechten Gedanken zu geben. Das muss sich ändern. Es wäre naiv, zu glauben, dass sich dieses Dilemma schon von alleine löst, denn die Ängste, Wut und die Ungewissheit, auf denen diese Gedanken fußen, werden nicht nur bleiben, sie werden wahrscheinlich wachsen. Der Schritt über die Hemmschwelle ist getan. Und ausgerechnet jetzt ist „Er“ wieder da und würde sich im Deutschland der letzten 24 Stunden sehr wohl fühlen. Das ist mehr als nur Material für eine gute Satire, das ist gefährliche Realität.

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