Couchsurfing: Ins Ruhrgebiet oft nur auf Durchreise

Die Couchsurfing-Community wächst weiter, auch im Ruhrgebiet. Doch warum kommen Reisende nach Dortmund, Bochum, Duisburg und Essen? Urlaub machen ist jedenfalls nicht oft der Grund.

Wer im Ruhrgebiet nach einer Couch zum Übernachten sucht, hat zahlreiche Möglichkeiten. Über die Nonprofit-Community „Couchsurfing.org“ findet man in Dortmund 229 Gastgeber, in Essen 179, in Bochum 165 und in Duisburg 66. Sie alle haben auf die Frage „Couch verfügbar?“ in ihrem Profil mit „Ja“ oder „Ganz bestimmt“ geantwortet. Aber Urlaub im Ruhrgebiet: Wer kommt denn auf so eine Idee?
Die Weltkarte der Couchsurfer. © 1999-2010 CouchSurfing International Inc.

Die Weltkarte der Couchsurfer. © 1999-2010 CouchSurfing International Inc.

Couchsurferin Katharina Lange (22) sagt, es seien meist Leute, die zufällig hierher geraten. Die Dortmunder Raumplanungs-Studentin hat schon Menschen aus Bolivien, Lettland, Italien, England und den USA beherbergt. „Viele sind eigentlich nur auf der Durchreise, also haben zum Beispiel einen Flug ab Dortmund und weil der so früh geht, suchen sie dann eine Unterkunft für die Nacht davor“, sagt sie. Andere Gründe seien Bewerbungsgespräche, Weiterbildungen oder auch Wohnungssuche.

Katharina auf ihrem Bett in ihrer WG. Wenn sie Couchsurfer zu Besuch hat, zieht sie in ein Zimmer ihrer Mitbewohnerinnen.

Katharina auf ihrem Bett in ihrer WG. Wenn sie Couchsurfer zu Besuch hat, zieht sie in ein Zimmer ihrer Mitbewohnerinnen.

Katharina kümmert sich immer gut um ihre Gäste. Wenn sie in ihrer Vierer-WG Couchsurfer zu Besuch hat, kochen meistens alle gemeinsam und gehen danach „auch oft noch zusammen feiern“. Zwei Mal hatte die Studentin Band-Mitglieder zu Gast und einmal durfte sie sogar kostenlos mit auf das Konzert gehen: Als der Dortmunder Campusradiosender eldoradio* 10-jähriges Jubiläum feierte, hat in ihrer Wohnung ein Mitglied der Band Videoclub übernachtet.

Essen ist als Kulturhauptstadt in diesem Jahr ein beliebter Ausflugsort. Viele Gastgeber sagen, sie würden durch Ruhr.2010 mehr Anfragen bekommen als zuvor. Zu ihnen gehört Lehramts-Student Sebastian Kunz* (25) aus Essen: „Ich hatte Leute hier, die sich gern mal angucken wollten, was das Ruhrgebiet so aus dem Titel Kulturhauptstadt gemacht hat“.

Fern vom Massentourismus

Auch Frederik Schreiber (22) stellt seine Couch in seiner Dortmunder WG Gästen zur Verfügung. Bisher hat er sich mit allen super verstanden: „Mit einem Belgier, der bei mir eine Zwischenstation gemacht hat, habe ich tolle Gespräche geführt.“ Auch ein Ehepaar aus Indien hat Frederik schon bewirtet. Der Dortmunder Student ist seit zwei Jahren Mitglied in der Community. Er selbst hat seitdem auf Sofas in Kiel, Marokko und auf Sardinien übernachtet. Frederik schätzt vor allem die kulturellen Erfahrungen, die Couchsurfer abseits der breitgetrampelten Tourismuspfade mitnehmen können: „Man bekommt einen echten Einblick in den Alltag der Einheimischen und das Wichtigste: Insidertipps!“

Frederik bezeichnet sich selbst als Couchsurfing-Fan. Sensibel zu sein ist dabei eine wichtige Eigenschaft.

Frederik bezeichnet sich selbst als Couchsurfing-Fan. Sensibel zu sein ist dabei eine wichtige Eigenschaft.

Sein aufregendstes Sofa-Erlebnis hatte Frederik in Marokko. Ein Freund hatte ihm mit den Worten „Der hat zwar kein Telefon, aber geh da einfach vorbei, der nimmt alle auf, die vorbeikommen“ die Adresse eines Couchsurfers gegeben. Obwohl Frederik erst nach Einbruch der Nacht ankam, lud ihn der Gastgeber freundlich in seine Hütte am Strand ein, „als wäre es das normalste der Welt“. Es gab zwar keinen Strom, dafür Tee und fünf andere Couchsurfer.

Community als Dating-Portal?

Katharina wurde schon ab und zu Zeugin davon, wie „Couchsurfing.org“ als Dating-Portal missverstanden wird. „In Rimini war ich mit einer Freundin in einer Jungs-WG. Die haben ziemlich viele Andeutungen gemacht.“ Deswegen nehme sie auch jetzt nicht alle Couch-Anfragen an, sondern nur die, bei denen sie glaubt, dass sie den eigentlichen Sinn von Couchsurfing verstanden haben. Die Community versucht, dem Missbrauch als Partnerbörse entgegenzuwirken: Bei der Registrierung muss man gesondert bestätigen, dass man weiß, dass „Couchsurfing.org“ kein Dating-Portal ist.

Obwohl die Couchsurfing-Community seit ihrer Gründung schon für viele Negativ-Schlagzeilen gesorgt hat – beispielsweise was den Umgang mit Nutzerdaten angeht – ist Frederik ziemlich zuversichtlich. „Eigentlich ist diese ganze Idee vom kulturellen Austausch eine tolle Sache.“ Er bemängelt lediglich, dass das Referenz-System nicht so gut funktioniere. Die Nutzer können sich gegenseitig positive oder negative Referenzen schreiben. „Nur schreibt irgendwie keiner negative Referenzen, weil man natürlich Angst hat, dann eine negative Referenz zurückzubekommen“, erklärt Frederik.

Viel Vertrauen, wenig Skepsis

Trotzdem überwiegen sowohl für Katharina als auch für Frederik die Vorteile der Couchsurfing-Idee. Beide konnten sich bei ihrer Registrierung nicht vorstellen, dass es so reibungslos funktionieren kann. „Ich habe sogar mal von einem Gastgeber den Haustürschlüssel bekommen“, erklärt Katharina. Vor allem am Anfang wäre sie erstaunt gewesen, welch großes Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft besteht.

Das Netzwerk besteht seit 2003. Die Zahl der Mitglieder ist seitdem stetig gewachsen, besonders in diesem und im letzten Jahr wurde Couchsurfing sehr populär. 2009 und 2010 registrierten sich pro Woche etwa 14 000 neue Couchsurfer. Deutschland liegt hinter den USA auf Platz zwei der Länder mit den höchsten Mitgliederzahlen.

*Name von der Redaktion geändert.