Lesung mit Bratkartoffeln

Rolf Dennemann ist vieles: Regisseur, Schauspieler, Autor, Blogger, Festivalleiter und – wie er selbst sagt –„professioneller Einwohner des Ruhrgebiets“. Er hat einiges zu erzählen und pflichtlektüre-Autorin Elisabeth Brenker hat einen Abend mit ihm verbracht.

Dennemann liest über's Essen.

Dennemann liest über's Essen. Foto: Elisabeth Brenker

Samstag, 30. April 2011 – 18:30 Uhr

Rolf Dennemann sitzt in der Depothek und trinkt einen Kaffee. Ich setze mich dazu. Dennemann beäugt meine beiden Kameras und das Aufnahmegerät: „Was wird das denn großes?“, fragt er. „Nur ein Gespräch“, versichere ich und schalte das Aufnahmegerät ein.

18:35 Uhr

Erstes Thema: Na klar, Fußball. „Ist man in dieser Stadt jetzt also tatsächlich Meister“, sagt Dennemann und fragt dann: „Wem muss man denn jetzt alles gratulieren?“ Innerlich immer noch im Freudentaumel, antworte ich: „Im Zweifelsfall jedem.“ Dennemann erzählt: „Gerade habe ich drinnen einem Techniker gratulieren wollen und was ist? Der ist Schalker.“ Ich habe ehrlich Mitleid, bis Dennemann fortfährt: „Und der Witz ist: Ich bin ja auch so einer.“ Aha! So läuft der Hase. Toller Start.

18:45 Uhr

Reden wir über das, was heute Abend noch bevorsteht: Rolf Dennemann wird im Theater im Depot eine Lesung halten. „Bratkartoffeln mit Speck – Dman’s Erinnerungen an Lebensmittel“ ist Titel der Leseperformance. Essen also. Warum bloß? „Ich finde das ganz naheliegend“, erklärt der Künstler: „Es gibt weniges sonst, was der Mensch drei mal am Tag macht.“ Oft erinnere man sich am besten an das, was man gegessen hat. Besser manchmal, als an das, was man erlebt hat. Dennemann erinnert sich gerne: „Je länger etwas her ist, desto kurioser wird es oft“, sagt er. Eine Vorwarnung für den Abend?

"Bratkartoffeln mit Speck - Dman's Erinnerungen an Lebensmittel" - Schon der Flyer ist appetitlich. Foto: Elisabeth Brenker

"Bratkartoffeln mit Speck - Dman's Erinnerungen an Lebensmittel" - Schon der Flyer ist appetitlich. Foto: Elisabeth Brenker

19:00 Uhr

Eine Stunde vor dem Auftritt. Wie bereitet man sich jetzt vor? „Vor der Lesung ist immer die gleiche Mischung aus Freude und Angst“, sagt Dennemann: „Die Angst kann ich nicht verhindern. Ich denke dann: ‚Da kommen gleich Menschen, die wollen mich scheitern sehen.‘ Dabei ist das natürlich falsch. Die Leute haben bezahlt, damit sie kommen können. Die wollen ganz bestimmt nicht, dass ich scheitere. Außer vielleicht Kollegen.“

19:10 Uhr

Wir sind in der großen Halle des Depots und sitzen an einem kleinen Cafétisch, Dennemann raucht, aus dem Theater schallt bereits Musik. Ich frage nach seinem Bezug zum Ruhrgebiet. Er sagt: „Ich bin professioneller Einwohner. Ich wurde hier geboren und bin immer noch hier. Allerdings muss ich aber hin und wieder weg, um festzustellen, wie es ist, wenn man hier ist.“ Ich frage ihn: „Und wie ist es wenn man hier ist?“Die schnelle Antwort: „Ernüchternd!“ Das klingt hart. Dennemann sagt: „Ich bin nach außen hin ein Lokalpatriot, intern weiß ich aber, dass diese Region ein großer Schlamassel ist.“ Ich will wissen, was ihm am meisten am Ruhrgebiet fehlt, wenn er weg ist. “ Die Erdverbindung, das Bodenständige. Und mein Bett.“ Es ist ein großes Bett, stellt er klar.

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19:20 Uhr

Irgendwie sind wir abgeschweift. Sind auf andere Regionen zu sprechen gekommen, die vergleichbar sind mit dem Ruhrgebiet. „Es gibt viele Standorte in Europa, die ähnliche Entwicklungen haben“, sagt Dennemann: „Die alte Industrie verschwindet und dann wissen manche nicht mit der neuen Situation umzugehen, andere wissen’s.“ In Liverpool zum Beispiel sind die ganzen alten Docks umgebaut worden. „Für Kreativwirtschaft“, sagt Dennemann und lacht.

19:27 Uhr

Rolf Dennemann ist wohl das, was man im Allgemeinen als „Kulturschaffenden“ bezeichnet. Er ist Schauspieler (Manta Manta, Solino, Lindenstraße), Regisseur, Festivalleiter, Autor, Blogger und Mitbegründer des artscenico e.V., einem Verein zur Förderung internationaler kultureller Begegnungen. Ich frage: „Welche dieser ganzen Tätigkeiten liegt Ihnen am meisten am Herzen?“ Dennemann antwortet nach etwas Bedenkzeit: „Das wechselt dauernd. Wenn wir etwas machen, dann meistens für normale Menschen in einem unkomplizierten Zusammenhang. Kein dunkler Raum, wo alle in eine Richtung gucken. Und dann freue ich mich, wenn das, was wir tun, die Menschen tief berührt.“

Beim Public Thinking gab Rolf Dennemann das Kommando zum Losdenken. Foto:artscenico

Beim Public Thinking gab Rolf Dennemann das Kommando zum Losdenken. Foto:artscenico

Dieser „dunkle Raum, wo alle nur ein eine Richtung gucken“ scheint Dennemann nicht besonders lieb zu sein. Seit 20 Jahren geht er mit seinen Projekten in den öffentlichen Raum und nicht ins Theater. „Zehn Jahre lang hat es keiner bemerkt, jetzt macht es jeder“, stellt Dennemann fest. Was sind die Gründe dafür Kunst im öffentlichen Raum machen zu wollen?

„In der Luft, also in großen Räumen, kann ich einfach besser atmen und denken“, erklärt Dennemann. Er erzählt von einem Projekt, das er gerne häufiger wiederholen würde: Public Thinking. Leute werden irgendwohin eingeladen öffentlich nachzudenken. Die Themen sind frei wählbar. Auf Dennemanns Kommando beginnen alle zu denken – für fünf Minuten. „Das ist toller, als man sich das vorstellt“, sagt er.

19:35 Uhr

Das Gespräch ist kurz unterbrochen worden durch die Ankunft des Tontechnikers. Dennemann hat ihn darüber informiert, dass er am heutigen Abend ein komplettes Kapitel streichen werde. Es gefällt ihm einfach nicht mehr.

Wir waren beim öffentlichen Raum. Wie komme ich jetzt zum Essen? Dennemann hilft mir auf die Sprünge: „Über öffentliches Essen. Öffentliches Essen findet jeden Tag, hundertmillionenfach auf den Straßen statt. Wenn man sich an den Markt stellt und zuguckt, wie die Leute sich im Vorbeigehen die Bratwürste in den Mund stopfen und anderes Zeugs, dann ist das nicht förderlich für den Appetit.“ Er selbst isst auch mal gerne eine Bratwurst in der Öffentlichkeit. „Am liebsten würde ich aber Bütterken essen, die kann man hier nur nicht kaufen.“

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Da war er wieder, dieser Ruhrpottdialekt. Bütterken? Dat sacht do’ sons’ nur Omma! Dennemann hat den Dialekt sogar in seinem Schauspieler-Profil als Fakt aufgelistet. Gleich unter Alter, Größe und Gewicht. Ob er nie Angst gehabt hätte, in die Ruhri-Schublade gesteckt zu werden, frage ich ihn. „Nein“, sagt er: „Es ist Glück, wenn man mal einen Drehtag bekommt oder mehr. Und, dass es dann bei mir erst immer Penner waren oder Trinker, das lag an meinem Äußeren. So werden kleinere Rollen eben besetzt. Macht mir nix. Ich weiß ja, wie ich aussehe.“

19:40 Uhr

Es wird Zeit: Um acht Uhr ist Einlass und Rolf Dennemann macht sich bereit für den Auftritt. Viele sind nicht gekommen, aber das ist nicht schlimm.

20:30 Uhr

Nach der Lesung bekommt auch Rolf Denneman etwas von den frischen Bratkartoffeln. Foto: Elisabeth Brenker

Nach der Lesung gibt es Bratkartoffeln. Foto: Elisabeth Brenker

Dennemann liest, während auf der Bühne neben ihm Bratkartoffeln zubereitet werden. „Damit man Freude hat zum Ende hin“, hatte er gesagt und eine Dame aus dem Publikum mit der Live-Zubereitung betraut.

Dennemann erinnert sich. An seinen Nuckel, die „Beruhigungsfalle“, die ihn als Kind vom essen abgehalten hat. An „Ommas“ Schokoladensuppe, deren Verzehr ihm früher wie eine „Jesuserfahrung“ vorkam. An Rosenkohl, dessen regelmäßige Zubereitung ihn an seinem Zuhause zweifeln ließ.

Mit tiefer Stimme erzählt er ganze Reisen nach, bloß anhand einer Auflistung dessen, was er zu sich genommen hat. Er philosophiert über den Geschmack von Sperma, referiert über die menschliche Verdauung und zeigt Videos von tanzenden Froschschenkeln. Rollmops und royales Hochzeitsmenü, Lebertran und Leichenschmaus, Bütterken von Muttern und Burger in Aruba. Dennemann erzählt viel und irgendwann ist man sich nicht mehr sicher, ob man jemals wieder Appetit haben wird.

22:20

Die frischen Bratkartoffeln haben dann doch zu gut geduftet. Sie waren köstlich und ein perfekter Abschluss für diesen Abend.