Ersatzneubau Chemie/Physik: Der Berliner Flughafen der TU Dortmund

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Über den Berliner Willy Brandt Flughafen wurde schon häufig gelacht und allzu oft ungläubig der Kopf geschüttelt. Baumängel, die fassungslos machen, sind dort an der Tagesordnung. Einen Berliner Flughafen im Kleinformat hat die TU Dortmund erlebt: den Ersatzneubau Chemie/Physik der TU Dortmund für 59 Millionen Euro. Und das Gesamtprojekt ist noch nicht beendet.

Wer über den Campus der TU Dortmund läuft, kennt den hässlichen monumentalen Bau in grau-gelb. Dort haben die Physik- und Chemiestudierenden ihre Lehrveranstaltungen. Doch nicht nur die Ästhetik des Gebäudes ist zweifelhaft. Bereits Ende der 90er-Jahre wurde klar, dass das Bestandsgebäude der Chemie und Physik, dieser lang gestreckte Betonbau, kernsaniert werden muss, um aktuellen technischen Anforderungen zu entsprechen. Bei dieser Kernsanierung wird das Gebäude bis auf die Gemäuer abgetragen.

Doch um ein solches Projekt voranzutreiben, müssen zunächst Ersatzgebäude errichtet werden. Denn damit die Kernsanierung abschnittsweise passieren kann, müssen die jeweiligen Labore und Arbeitsbereiche der Chemie und Physik umgesiedelt werden. Genau an dieser Stelle beginnt die Geschichte eines Bau-Desasters. Ein Desaster, in dem der erste Schritt inzwischen geschafft ist. Ersatzbau 1 ist eröffnet. Das Ende ist aber noch lange nicht in Sicht, denn was noch fehlt, ist Ersatzbau 2.

Mit drei Jahren Verspätung fertiggestellt

Ein Bauvorhaben, bei dem eigentlich alles nur besser werden kann. Zumindest, wenn man die bisherige Pleiten-Serie als Maßstab nimmt. Es ist eine bauliche Vergangenheit, die man wohl getrost als Rückblick des Grauens betiteln kann. 2010 startete der Bau des Ersatzgebäudes 1. Drei Jahre später als geplant, konnte das Bauwerk im Sommer 2015 bezogen werden. „Das erste Gebäude, das bei seinem Einzug bereits alt ist“, stellt Metin Tolan, Professor für Physik und Prorektor Studium, traurig fest.

Der Ersatzneubau Chemie/Physik 1, direkt gegenüber dem Otto-Hahn-Parkplatz.

Der Ersatzneubau Chemie/Physik 1, direkt gegenüber dem Otto-Hahn-Parkplatz.

Während des Baus gerieten mehrere beteiligte Unternehmen in die Insolvenz. Infolge dessen kam der gesamte Arbeitsablauf ins Stocken. Aber es sind nicht nur die zahlreichen Übergabetermine, die etwa alle drei Monate von neuem veranschlagt und doch nie eingehalten wurden, die an den Nerven nagten. Ein Baumangel, wie der schon vor dem Einzug beschädigte Kühlwasserkreislauf, macht fassungslos.

In den Laboratorien stehen elektrische Geräte, die sich bei ihrer Nutzung erwärmen und daher gekühlt werden müssen. In die Wände des Ersatzgebäudes wurde deshalb eine Umlaufkühlung, die die Abwärme der Geräte abtransportiert, mit eingebaut. „Dass dieser Kreislauf noch bevor er eigentlich im Betrieb ist, schon anfängt zu korrodieren, ist natürlich eine Panne“, bestätigt Tolan und Heinz Hövel, Privatdozent und Baubeauftragter der Physik, ergänzt:

Das ist eben keine kleine Panne, sondern das ist nun wirklich eine große Panne. Das Gebäude ist dafür ausgelegt, dass es etliche Jahre hält. Das war wirklich einfach ein Fehler bei der Anfertigung.

Dass der Wasserkreislauf leck schlug und in den Keller tropfte, lag an rostigen Schweißnähten innerhalb der Edelstahlrohre. Ein Fehler, der nicht passiert wäre, wenn die Universität das Gebäude selbst hätte bauen und kontrollieren können? Die Universität ist gesetzlich dazu verpflichtet, über den landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) zu bauen. Sie ist nur Mieterin des Gebäudes, das dem Land Nordrhein-Westfalen gehört. „Wenn wir als Technische Universität Dortmund selber bauen würden, dann würden wir natürlich mit den Unternehmen auch ganz anderes umspringen. Die müssen letztlich so bauen, bis der BLB zufrieden ist. Wenn die bauen müssten, bis wir zufrieden sind, das wäre eine andere Nummer“, behauptet Tolan.

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Die Baumaßnahmen im Überblick.

Der BLB koordiniert das Bauvorhaben, führt Verhandlungen mit den einzelnen Baufirmen und schließt Verträge mit ihnen ab. Der Niederlassungsleiter Helmut Heitkamp gibt zu: “Wir haben beim Ersatzgebäude Chemie/Physik so ziemlich alles erlebt, was schief gehen kann.” Eigentlich hatte der BLB mit 42 Aufträgen geplant, am Ende wurden 100 Firmen beauftragt. Die formale Kündigung einer Firma beansprucht viel Zeit, ebenso wie die Ausschreibung und Einstellung neuer Firmen. Als erste massive Störung, die beim Bau aufgetreten ist, benennt Heitkamp die Insolvenz des Rohbauers und die in Folge nicht mehr haltbaren Terminpläne. Doch damit nicht genug.

Das Gebäude war nicht dicht.

Es regnete rein und der bereits im Gebäude befindliche Gips saugte sich voll. So kämpfte der BLB nicht nur mit verschiedenen Baufirmen, sondern auch mit einem großen Schimmelproblem. 

Das Dezernat 6 der Technischen Universität Dortmund setzt die baulichen, gebäudetechnischen und vertraglichen Rahmenbedingungen in Zusammenarbeit mit dem BLB und dem Land Nordrhein-Westfalen fest. Dezernent Thomas Quill bezeichnet die mehrfach geplanten Einzugstermine des BLBs als unrealistisch. Aufgrund der Bauverzögerungen und mangelhaften Bauausführungen sei die Erstellung des Ersatzgebäudes für die Universität eine massive Belastung gewesen. Man sei froh, wenn irgendwann alles abgeschlossen sei. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Seit Sommer 2015 im Einsatz - nach fünf Jahren Bauzeit.

Seit Sommer 2015 im Einsatz – nach fünf Jahren Bauzeit.

„Halten wir mal positiv fest, wir sind mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Berliner Flughafen durch und auch Stuttgart 21 werden wir locker schlagen“, versichert Tolan. Denn auch, wenn die Fertigstellung des Ersatzbaus Chemie/Physik zu Ende ist, so heißt das nicht, dass mit der Kernsanierung des Bestandsgebäudes begonnen werden kann. Zuerst muss noch ein weiteres Ersatzgebäude gebaut werden. Denn bei der genaueren Planung der Kernsanierung kam zu Tage, dass in vorherigen Planungsentwürfen nicht ausreichend Raumbedarf für die Lüftungstechnik der Chemie berücksichtigt wurde. Als Lösung schlug der BLB eine dreistöckige Erhöhung des Bestandsgebäudes vor. Jedoch wäre nur eine Etage als Laborfläche nutzbar gewesen, die anderen zwei hätten die notwendige Technik beherbergen müssen. Bei der Kalkulation stellte sich heraus, dass ein zweites Ersatzgebäude insgesamt 14 Millionen kostengünstiger wäre als die drei zusätzlichen Etagen.

Keiner hat gewusst, dass, um die neuesten Energiesparverordnungen einzuhalten, der Aufwand für die Technik so groß wird. Wir sind alle keine Lüftungstechniker. Man kann ein Problem nur bemessen, wenn man es erkennt oder davon Kenntnis hat. Das hatte keiner.

Das gibt Markus Schürmann, Geschäftsführer und stellvertretender Baubeauftragter der Fakultät Chemie und Chemischer Biologie, zu. Mit dem Bau des Ersatzgebäudes 2 wird im Frühjahr 2017 begonnen. Erst nach seinem Abschluss kann abschnittsweise mit der Kernsanierung gestartet werden. Die Kosten der Kernsanierung und des Ersatzgebäudes 2 werden auf 200 Millionen Euro geschätzt. Das Dezernat 6 mutmaßt, dass die Kernsanierung 2028 abgeschlossen sein wird.

Teaserbild und Beitragsbilder: Verena Mengel / Grafik: Dezernat 6 (TU Dortmund)

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