24, männlich, HIV-positiv

wasserball

Florian ist eigentlich eine Kämpfernatur. Einen Tag nach dem Tod seiner Mutter geht er wieder zur Schule; mit seiner Stiefmutter versteht er sich nicht – das blendet er aus. Als er jedoch die Diagnose HIV-positiv bekommt, zerbricht er innerlich. Mehr als seine Krankheit macht ihm die Reaktion anderer zu schaffen. 

Zuerst traf ihn pure Verletzung, doch kurz danach empfand er nur noch Wut. Er hatte in den letzten Jahren so viel für seine Mannschaft getan. Jede freie Minute investierte er ins Wasserballtraining. Auf ihren Wunsch war er sogar beim Arzt gewesen und hatte ein Attest vorgelegt. Darin wurde er als „sportgesund“ eingestuft. Aber auch das konnte ihre absurde Angst, sich infizieren zu können, nicht beruhigen.

Meine Mannschaft hat mich komplett ignoriert. Wenn wir uns begegnet sind, wurde ich nicht mal begrüßt.

– Florian

Sie dachten wirklich, HIV könnte man sich über Wasserkontakt holen. Als sie von seiner Krankheit erfuhren, ignorierten sie ihn. Er wurde auch nicht mehr begrüßt. Sein Umzug nach Dortmund war eine Flucht. Florian* floh vor ihren paranoiden Ängsten. Seiner Stiefmutter kam sein Umzug wohl gerade recht. Sie und sein Vater hatten ihn mit 16 Jahren schon ins Heim gesteckt. Anscheinend war dies in ihren Augen noch nicht weit genug entfernt gewesen. Sie hatte unmissverständlich deutlich gemacht, was sie von ihm hielt. In seinem langen Trainingsmantel wirkte er auf sie Angst einflößend. Als sie ihn sah, bekam sie eine Panikattacke. Ihr Vater hielt zu der psychisch labilen Frau und nicht zu seinem Sohn. Er ließ es zu, dass sie Florian bei Besuchen verbot aufgrund seiner Infektion vom selben Geschirr zu essen – geschweige denn dieselbe Toilette zu benutzen. Trotzdem behaupteten seine Eltern, ihre Zeit für ihn geopfert zu haben. Sie hätten immer versucht, ihn mit seiner Krankheit zu unterstützen. Florians jüngere Geschwister glauben den beiden. Das macht ihn fassungslos.

Mit seinem Vater hat er seit fünf Jahren nicht mehr gesprochen. Heute ist Florian 24 Jahre alt. Als er ihn das letzte Mal auf der Abschlussfeier seiner Schwester von der Realschule sah, schauten sie sich nur kurz in die Augen. Dann drehte ihm sein Vater den Rücken zu und ging. Zu seinem Bruder hatte er noch nie das beste Verhältnis. Jetzt besteht gar kein Kontakt mehr. Seine Schwester suchte vor zwei Jahren wieder seine Nähe. Als sie bei ihrer Oma waren, drückte sie ihm einen kleinen Zettel mit einer Entschuldigung in die Hand. Ihr tat leid, dass sie nicht zu ihm gehalten hatte.

Äußerlich ist die Krankheit nicht sichtbar

Florian lehnt entspannt am Geländer vor der Sparkasse; eine Hand in der Hosentasche, die andere bedient das Handy. Sein Schal verdeckt sein Gesicht bis zum Mund. Die Wollmütze hat er weit nach unten gezogen. Sein Blick durch das dunkle Brillengestell ist jedoch wachsam. Die Leute gehen hektisch ihren ersten Weihnachtseinkäufen nach und beachten ihn nicht. Er verschmilzt mit der Masse. Aber weshalb sollten sie ihm auch Aufmerksamkeit schenken? Schließlich merkt man ihm seine Krankheit äußerlich nicht an.

Durch das regelmäßige Wasserballtraining sitzt die Strickjacke straff über seiner Schulterpartie. Körperliche Anzeichen von Erschöpfung sind nicht zu sehen.Die Jugendlichen, denen er bei seiner Präventionsarbeit für die Aidshilfe begegnet ist, waren überrascht, als sie hörten, dass er mit seiner Krankheit so viel Sport treibt. Sie hatten sich einen HIV-Positiven dünn und abgemagert vorgestellt.

Für Florian ist das eine veraltete Vorstellung. Er wird durch seine Infektion nicht eingeschränkt. Lediglich Wetterumstellungen können ihn manchmal schneller müde machen.Seine Exfreundin, die auch HIV-positiv ist, hat nicht so ein starkes Immunsystem. Eine leichte Erkältung macht ihr schnell zu schaffen.

Ich hab mich immer wieder gefragt, warum ausgerechnet ich mich infizieren musste.

– Florian

Heute geht er lockerer mit seiner Infektion um. Als er vor fünf Jahren davon erfuhr, brach für ihn jedoch die Welt zusammen: „Ich habe mich immer wieder gefragt, warum ausgerechnet ich mich infizieren musste.“Ahnungslos ging er in seinem Heimatdorf mit 19 Jahren zum ersten Mal Blut spenden. Zwei Wochen später rief ihn sein Hausarzt auf dem Weg zum Nebenjob an. Er bat ihn, mal in der Praxis vorbeizukommen.

Die Ursache der Infektion ist immer noch unklar

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Wasser ist sein Element: Im Sommer hat er eine Ausbildung zum Bademeister angefangen. (Foto: privat)

An diesem Tag vor zehn Jahren, der im Nachhinein eine viel größere Bedeutung erlangte, spielte er Wasserball. Nach einem Jahr Training stand sein erstes Turnier an. Es fand in der Nähe von Bremen statt. Die Mannschaft landete mit ihrer Platzierung im guten Mittelfeld. Viel mehr weiß Florian nicht mehr von dem Tag.

Mit 14 Jahren und relativ neu in der Mannschaft hatte er noch nicht viel zu sagen. Die Älteren übernahmen das Kommando und füllten ihn mit reichlich Alkohol ab. Der Rest des Abends besteht für ihn nur aus Bruchstücken.

Im Behandlungszimmer von seinem Hausarzt versucht er als 19-Jähriger, die Puzzleteile zu ordnen. Nach diesem Turnier vor fünf Jahren hatte er keinen ungeschützten Sex. Aber ob und was damals vorgefallen ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Da der Zeitpunkt der Infektion auf jeden Fall länger zurückliegt, ist die Ursache nicht mehr hundertprozentig nachvollziehbar.Seine Familie wurde getestet – alle negativ. Bei seiner Mutter ist ein Test nicht mehr möglich, da sie vor zwei Jahren starb. Für Florian ist der einzig denkbare Grund das Turnier.

Als er seiner Mannschaft davon erzählt, schmeißen sie ihn aus dem Team. Er hätte bis zum Deutschen Sportbund gehen können, um eine Klage einzureichen und so wieder spielen zu dürfen. Er entscheidet sich nach der offensichtlichen Ablehnung seines Teams jedoch für den Umzug nach Dortmund. Die Stadt kennt er bereits. Wegen Depressionen infolge seiner Infektion ist er hier bereits in einer Klinik in Behandlung.

Neue Stadt, neuer Verein

Wasserball-Training

Obwohl Wasserball körperlich extrem anstrengend ist, schränkt Florians Erkrankung ihn darin nicht ein. (Foto: privat)

Der Tapetenwechsel tut ihm gut. Er will neu anfangen und sucht sich wieder einen Verein, da er aus dem Sport immer sein Selbstbewusstsein gezogen hat. Als er dem Trainer von seiner Krankheit erzählen will, ist er sehr nervös. Die Worte kommen nur stockend und langsam aus seinem Mund. Er hat Angst, wieder einen Verein verlassen zu müssen. Die Reaktion des Trainers überrascht ihn. Mit einem schulterzuckenden „Na und?“ zeigt er auf das Schwimmbecken. Sie wären gerade in der Vorbereitung und er solle wieder ins Wasser gehen. Er möchte nur über die Infektionswege aufgeklärt werden. Seine Krankheit erklären zu müssen, ist Florian gewohnt. Das sollte kein Problem darstellen.

 

Es ist nicht mehr so schlimm wie in den 1980/90er Jahren. Man stirbt dank der Medikamente nicht mehr an HIV.

– Florian

Er ist heute noch erleichtert, wenn er darüber nachdenkt. Nachdem er immer nur negative Äußerungen zu hören bekommen hat, macht ihn diese Reaktion sprachlos.
Er kann verstehen, dass Menschen Angst davor haben, sich infizieren zu können. Viele kennen die wirklichen Infektionswege nicht. Aber dann versucht er ihnen zu erklären, wie es heutzutage ist, mit HIV zu leben: „Es ist nicht mehr so schlimm wie in den 1980/90er Jahren. Man stirbt dank der Medikamente nicht mehr an HIV.“

Er hat eine ganz normale Lebenserwartung. Florian vergleicht die Situation gerne mit der eines Diabetikers. Wie ein Zuckerkranker, der sich jeden Tag spritzen muss, nimmt er jeden Morgen eine Tablette ein. Am Anfang musste er 70 bis 80 Tabletten täglich einnehmen. Jetzt beinhaltet eine Pille alle notwendigen Wirkstoffe. Seit einem halben Jahr liegt er dank des Medikaments unter der Nachweisgrenze. Das bedeutet, dass er nicht mehr ansteckend ist. Aber an eine Beziehung denkt er erst einmal nicht. Dafür hat er durch das Training zu wenig Zeit und die Angst vor Ablehnung ist einfach noch zu groß.

Als der Arzt ihm sagte, dass er HIV-positiv ist, befand er sich in einer Beziehung. Er erzählte ihr von seiner Krankheit. Sie meint, dass sie Zeit bräuchte und sich melden würde. Da sie ihn jedoch nicht anrief, versuchte er sie irgendwann zu erreichen. Dabei erfuhr er, dass sie umgezogen war.

Auch danach sagen ihm Partnerinnen, dass sie Zeit bräuchten, und melden sich nicht mehr bei ihm. Mit seiner Diagnose wissen sie einfach nicht umzugehen. Um es ihm nicht direkt sagen zu müssen, brechen sie den Kontakt abrupt ab. Obwohl er heute unter der Nachweisgrenze liegt, fällt es ihm weiterhin schwer, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, um einer möglichen Partnerin davon zu erzählen und weiß nicht, wie er es formulieren soll. Rein körperlich gesehen merkt er seine Krankheit kaum, aber im Umgang mit seinen Mitmenschen wird sie ihm immer wieder bewusst.

 

*Name geändert

Beitragsbild: Privatfoto

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