Acht Minuten gegen Verkümmerung

Wenn wir uns im Kino einen Film ansehen, dann planen wir dafür meist zwei Stunden ein. Die renommierten Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen, die vom 5. Mai bis zum 10. Mai stattfinden, zeigen uns die andere Seite des Films: Hier werden manche Geschichten in sechs Minuten erzählt. Die Botschaften der Filme sind dabei stets klar und ausdrucksstark.

Läuft sowohl im Internationalen als auch im Deutschen Wettbewerb: "I'm Not the Enemy" von Bjørn Melhus. Foto: Internationale Theatertage Oberhausen

Läuft sowohl im Internationalen als auch im Deutschen Wettbewerb: "I'm Not the Enemy" von Bjørn Melhus. Teaserbild und Foto: Internationale Theatertage Oberhausen

Die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen haben eine lange Tradition. 1954 wurden sie ins Leben gerufen und gelten damit als das älteste Kurzfilmfestival der Welt. Im Laufe der Jahre haben viele heute bekannte FilmemacherInnen hier ihre erste Arbeiten gezeigt. „Oberhausen war eine wichtige Station meiner Entwicklung zum Regisseur“, sagte Roman Polanski einst über seine Teilnahme am Festival.

Das Besondere am Oberhausener Kurzfilmfestival ist seine enorme Bandbreite. Neben Produktionen aus der Region und weiteren Teilen Deutschlands werden Filme aus der ganzen Welt gezeigt. Arbeiten aus 40 verschiedenen Ländern sind in diesem Jahr vertreten, darunter Filme aus Argentinien, Brasilien, Vietnam und Südafrika. In letzteres Land sei sie mit relativ wenigen Erwartungen gereist, berichtet Hilke Doering, die Leiterin des internationalen Wettbewerbs. „Hinterher war ich aber vollkommen überrascht über die breite Filmproduktion dort“, so Doering. Insgesamt drei südafrikanische Filme laufen im internationalen Wettbewerb, darunter auch „Atrophy“ von Palesa Shongwe. In ihrem achtminütigen Kurzfilm aus dem Jahr 2009 setzt sich die junge Filmemacherin mit der Identität der dunkelhäutigen Bevölkerung in Südafrika und damit auch ihrer eigenen auseinander.

Die Filme des Festivals widmen sich unterschiedlichsten Themen, in einem gesonderten Programm wird aber besonders auf Tiere eingegangen. Poster: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Die Filme des Festivals widmen sich unterschiedlichsten Themen, in einem gesonderten Programm wird aber besonders auf Tiere eingegangen. Poster: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Politik und Privates

Dabei spielt auch das Thema Apartheid und dessen Nachwirkungen in der Gegenwart eine wichtige Rolle. „Athrophy“, zu Deutsch: Verkümmerung, ist das, was Shongwe für ihr Volk nicht will. In stimmungsvollen Bildern, vor allem vielen Tanzszenen, kombiniert mit Musik und einer Hintergrundstimme zeichnet Shongwe das Porträt einer jungen Generation, die nach Freiheit und Selbstbestimmung strebt. Der Deutsche Wettbewerb des Kurzfilmfestivals wird in diesem Jahr vom Spannungsfeld „große Politik und private Lebensläufen“ bestimmt. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit das eine auf das andere einwirkt, Politik also Einfluss auf das eigene Leben ausübt.

Jeder der Filmemacher findet hier seine ganz eigene Antwort: Phil Collins‘ Dokumentation „marxism today (prologue)“ lässt Frauen ihr Leben vor und nach der Wende erzählen. Bjørn Melhus‘ experimentelle Produktion „I’m Not the Enemy“, die zugleich auch im internationalen Wettbewerb läuft, setzt sich mit Kriegsheimkehrern auseinander. Alle Sätze, die die Figuren im 13-minütigen Film sprechen, stammen dabei aus Kriegsfilmen und werden zum Teil mehrmals hintereinander wiederholt. Aussprüche wie „I’m sorry“ werden so zur Phrase, die in inmitten der Montage von O-Tönen ihre wahre Bedeutung verlieren.

Rainer Komers Film "Seseke Classic" handelt von der Renaturierung der Seseke, einem Nebenfluss der Lippe. Zusammen mit elf weiteren Produktionen läuft er im NRW-Wettbewerb. Foto: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Rainer Komers Film "Seseke Classic" handelt von der Renaturierung der Seseke, einem Nebenfluss der Lippe. Zusammen mit elf weiteren Produktionen läuft er im NRW-Wettbewerb. Foto: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

NRW-Wettbewerb: Wie leben die Menschen in der Region?

Zum jüngsten Wettbewerb des Festivals zählt der NRW-Wettbewerb. Er wurde erst 2009 gegründet und geht in diesem Jahr mit 12 Produktionen aus Nord-Rhein-Westfalen an den Start. Das Thema des Wettbewerbs lautet diesmal „Heimatfilme“. Hierbei geht es allerdings nicht um das 50er-Jahre-Idyll, das sich schnell mit dem Begriff verbindet, sondern um die Frage, wie die Menschen in der Region leben, was ihre Existenz ausmacht und bestimmt. Grandios widmen sich die Filmemacher S.M. Heinzbert und Matthias Sandmann dem Thema, indem sie in ihrer Produktion ein Schützenfest und seine Protagonisten dokumentieren. Zärtlich geht der Film mit seinen Figuren um, zeigt dabei jedoch auch Skurriles und Absurditäten.

Neben den diesen Wettbewerben findet im Rahmen des Festivals auch die Auszeichnung des besten deutschen Musikvideos statt. Denn auch wenn das Musikfernsehen seinen Höhenpunkt längst hinter sich gelassen hat, der Videoclip als selbstständiges Genre ist weiter auf dem Vormarsch. Insgesamt zehn Clips wurden für den Wettbewerb in Oberhausen, der seit 1999 besteht, ausgewählt; darunter „Life in Quiz“ von den Sternen. Im Internet (unter www.muvipreis.de) kann zudem für den MuVi Online-Publikumspreis abgestimmt werden. Hier kann man sich auch alle Videos ansehen.

Themenprogramm: „Das Kino der Tiere“

Wie werden Tiere im Fernsehen dargestellt und wie nehmen wir sie dort wahr? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich das Themenprogramm "Das Kino der Tiere" im Rahmen des Kurzfilmfestivals. Foto: Internationale Theatertage Oberhausen

Wie werden Tiere im Fernsehen dargestellt und wie nehmen wir sie dort wahr? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich das Themenprogramm "Das Kino der Tiere". Foto: Internationale Theatertage Oberhausen

Bei den Internationalen Kurzfilmtagen dreht sich allerdings nicht alles nur um Wettbewerbe. Parallel dazu läuft wie in jedem Jahr ein großes Themenprogramm, das diesmal den Titel „Das Kino der Tiere“ trägt. Hierbei geht es um die Frage, wie der Mensch auf das Tier blickt. Rund 90 Tierfilme aus über 100 Jahren Filmgeschichte werfen ganz verschiedene Perspektiven auf und beleuchten das Verhältnis von Mensch und Tier. „Dabei wird es unter anderem auch um die Funktion von Tieren im Dritten Reich gehen“, kündigt Festivalleiter Lars Henrik Gass an. Dem Themenprogramm, so berichtet er weiter, habe übrigens eine ungewöhnliche Zusammenarbeit vorangestanden: Biologe Cord Riechelmann und Filmemacher Marcel Schierin bilden die Kuratoren von „Das Kino der Tiere.“

Ob Kurzfilm-Kenner oder -Laie, das Festival in Oberhausen verspricht interessante Einblicke in ein Genre, das im Allgemeinen eher weniger Aufmerksamkeit bekommt. Zu Unrecht, wie die Qualität der gezeigten Filme beweist. Aber vielleicht macht das auch gerade das Besondere des Festivals und des Kurzfilms an sich aus: Fernab vom Mainstream, von Filmprominenz und Hollywood-Streifen ist es allein die Kunst, die im Mittelpunkt steht.

Tipp: Im Rahmen des Festivals findet auch der 34. Kinder- und Jugendfilmwettwerb statt. Wer sich nach Lachen und Schmunzeln und einer wunderschön-verrückten Geschichte in satten Farben sehnt, sollte sich den Animationsfilm „Mobile“ von Verena Fels ansehen.

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