Auf dem Campus gesichtet: Ein aufgewecktes Kerlchen, 14 Jahre jung, große Augen, entschlossener Blick. Was der auf dem Campus zu suchen hat? Eine ganze Menge! Seit dem Wintersemester 2003/04 ist es Überfliegern erlaubt, schon neben dem regulären Schulunterricht in den Genuss des Studentenalltages zu kommen – inklusive Vorlesungen und Prüfungsstress. Das Projekt: die SchülerUni. Skeptiker schlagen bei dem erhöhten Leistungsdruck Alarm. Aber ist die SchülerUni für die Jungstudierenden tatsächlich derart belastend oder melden sich hier bloß Neider von Tatendrang und Talent zu Wort? Die Pflichtlektüre-Autoren Lena Beneke und Hannah Biermann diskutieren das Für und Wider des Projekts.
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Teenager, hoch motiviert, überaus engagiert und gesegnet mit jeder Menge Talent und Können – wer denkt, hierbei handle es sich um utopische Verhältnisse, der irrt. Und zwar gewaltig. Neidisch? Fakt ist: Seit Semesteranfang schlendert neben ausgelaugten Mittzwanzigern und begeisterten Langzeitstudenten (noch auf Diplom, hört, hört!) auch der ein oder andere 14-jährige Gymnasiast über den Campus. Bereits seit neun Jahren ist es an unserer Uni Gang und Gebe – ja gar ein Privileg! – dass angehende Oberstufenschüler an dem berühmt berüchtigten Studialltag teilhaben dürfen. Das Projekt: die SchülerUni.
. Partys, durchfeierte Nächte und den „Kaffee danach“ im Sonnendeck? Von wegen! Für die zukünftigen Abiturienten stehen jede Menge Lehrveranstaltungen, Prüfungen und erbitterte Bücherkriege in der Bibliothek auf dem Plan. Das Verrückte: Die sogenannten Jungstudierenden reißen sich um das, was unsereiner als Stress beklagt und freuen sich über die Ehre, noch vor erworbener Hochschulreife sich und ihre Interessen austesten zu können. Warum erst mit 22 Jahren feststellen, dass ein Biologiestudium keine Perspektive ist, wenn es auch schon früher geht? Gegner des Projekts schlagen bei dieser Art der Dauerbelastung entsetzt die Hände über ihren kleinen Köpfen zusammen und vergessen dabei Punkt eins auf der Liste: Die Schüler sind freiwillig hier. Elite, bitte hier entlang! Gefragt sind „besonders leistungsstarke Schüler“. Die Elite also, wer sonst? Durch die Teilnahme am universitären Lehrveranstaltungsprogramm will man die klugen Kids individuell fördern und ihnen die Chance eröffnen, ihre Fähigkeiten voll und ganz auszuschöpfen – neben dem regulären Schulbesuch, versteht sich. Letztendlich soll die „frühe Orientierungshilfe“ zu einer Verkürzung der Studienzeiten führen. Als hätten die G8achter nicht schon genug um die Ohren, mag da der ein oder andere Skeptiker denken. Doch hat dieser jemand sich wohl niemals in der Haut eines Überfliegers befunden, der die Mendelschen Regeln schon in Klasse 6 aus dem Effeff konnte. Schafft der Normalo es, seine Vorbehalte gegenüber den cleveren „Jungstudis“ abzulegen, ist das, was bleibt, Bewunderung und Respekt. Seien wir mal ehrlich, wer als Neuntklässler die Vorlesung zur linearen Algebra rockt und sich dabei wahrscheinlich noch besser anstellt als der ein oder andere Vollzeitstudent, der hat es verdient, im Hörsaal zu sitzen – unabhängig von Alter, Größe oder Zahnspange. Der Mythos Freak Da fällt mir ein… Als blutiger Ersti saß ich selbst einmal zusammen mit einem Teilnehmer der SchülerUni in einem Englischseminar. Anders als etwa die Hälfte des Kurses, die sich am Montagmorgen schüchtern und verschlafen hinter aufgeklappten Büchern versteckt hielt, war besagter Schüler stets aufmerksam und interessiert. Er war nicht nur nicht auf den Mund gefallen – er war richtig gut. Selten habe ich einen so überzeugenden Redner erlebt, der mit Witz und Intellekt selbst den komatösen Kommilitonen aus der hintersten Reihe für Jane Austen und Co begeistern konnte. Kurz gesagt: Der Typ hatte es drauf! |
„SchülerUni“. Klingt falsch und vollkommen überzogen. Ist es auch. Schüler haben heute mit dem Turbo-Abi schon genug zu tun, als dass sie sich daneben noch mit Uni-Kursen beschäftigen könnten. Das sogenannte „Vorstudieren“ erhöht nur den Leistungsdruck und nimmt Schülern das letzte Stück Kindheit.
. Immer aufs Gaspedal – hin zum Burnout Seit 2003 bietet die TU Dortmund die SchülerUni an. 13- und 14-jährige Schüler können an Vorlesungen und Seminaren der Universität teilnehmen und quasi im Voraus Scheine erwerben. Das soll das Studium verkürzen. Etwa 1.300 Schüler haben das Angebot bisher wahrgenommen – das sind rund 145 im Jahr. Ein bloßes Schnuppern ist das nicht mehr, SchülerUni setzt einen ganz neuen Trend. Einen Trend hin zur K(r)ampf-Bildung. Schnuppern Ja, Studieren Nein Es ist falsch das allwöchentliche Fußballtraining oder die heißgeliebten Tanzstunden dem Bildungswahn zu opfern. Der Konkurrenzkampf in der Schule steigt ständig, das merken sicher auch die 60 Schüler, die in diesem Sommersemester an der TU starten. Nun muss sich ein Schüler daneben noch überlegen, ob er nicht (wie der eifrige Klassenkamerad) seine Nachmittage an der Uni verbringt – man will ja schließlich mithalten können. Zum Schnuppen gibt es bereits Angebote an der TU. Diese bieten Einsicht in den Unialltag und sind gute Alternativen zum übermotivierten Trend SchülerUni. Kurs-Kampf gepushed Wer fragt die Studenten? Semesterbeginn heißt für uns schon lange: Um jeden Kurs kämpfen. Mit dem doppelten Abiturjahrgang 2013 wird es noch enger an den Universitäten. Da brauchen wir nicht auch noch Schüler, die Mitten im Kurs-Chaos Seminarplätze bekommen, die an anderer Stelle benötigt werden – nämlich bei tatsächlichen Studis der TU, die ihr Studium gerne in der Regelzeit abschließen würden.
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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann, Teaserfoto: mamphil / pixelio.de
DAS DUELL:
pflichtlektüre: