Tischtennis in Dortmund mit olympischer Qualität

April 1971: Der US-amerikanische Tischtennisspieler Glenn Cowan reist auf Einladung des chinesischen Tischtennis-Generalsekretärs mit seiner Mannschaft nach Peking. Tischtennis als Mediator zwischen zwei zerstrittenen Nationen während des Kalten Krieges. Später werden diese erfolgreichen Annäherungsmaßnahmen als „Ping-Pong-Demokratie“ in die Geschichte eingehen.

Qualifikationsspiele des Nachwuchses. Foto: Dennis Klammer

Vorne Quali-Spiele, hinten (noch) leere Ränge. Foto: Dennis Klammer

„Die Geschwindigkeit und die Athletik – sich am Tisch so bewegen, dass man die Bälle innerhalb von Sekundenbruchteilen noch bekommt – gepaart mit taktischen Finessen, das macht das Spiel besonders“, sagt Simone Hinz. Sie macht Werbung für ihren Sport – klar, es ist ihr Beruf. Hinz ist Pressesprecherin des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB), der mit Hilfe des Westdeutschen Tischtennis-Bundes noch bis Sonntag die German Open in Dortmund ausrichtet.

Das prestigeträchtige Turnier soll einen Vorgeschmack auf die Mannschafts-WM 2012 geben, die nach 1959 und 1989 ein drittes Mal in Dortmund stattfinden wird. „Weltklassespieler beschleunigen den Ball auf bis zu 150 km/h oder schneiden ihn so an, dass er sich bis zu 10.000 Mal in der Minute dreht“, erklärt Hinz die Faszination Tischtennis.

Knapp 40 Jahre nach der „Ping-Pong-Demokratie“ verfolgen rund 300 Zuschauer in den Westfalenhallen die Qualifikationsspiele der Tischtennis German Open 2011. Tischtennis als schlecht besuchtes Sportevent während eines kalten Winters. Warum pringt der Funke nicht über?
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„Ab Freitag geht’s rund, wenn die Qualifikationsphase vorbei ist“, sagt Hinz. Der DTTB hofft bis zum 27. Februar auf insgesamt rund 10.000 Besucher. „Wenn die großen Namen wie Timo Boll fehlen und erst am Freitag antreten, ist der Zuschauerzuspruch meist nicht so gut.“
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Mehr Zuschauer – in der Halle und vor dem Fernseher
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Simone Hinz erwartet großen Ansturm. Foto: Dennis Klammer

DTTB-Pressesprecherin Simone Hinz setzt auf Nachwuchsarbeit. Foto: Dennis Klammer

Diesen Umstand möchte der DTTB naturgemäß flächendeckend verbessern. Doch nicht nur bei Turnierbesuchern soll der Sport Anklang finden, auch bei der Medienpräsenz sieht man Entwicklungspotenzial. „Wir versuchen möglichst viele Höhepunkte in Deutschland anzubieten, da das Fernsehen lieber Sportarten begleitet, die regelmäßig auftauchen und nicht nur alle fünf Jahre mal“. So wie die Europameisterschaft 2009 in Stuttgart oder nun die German Open.
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„Wir hoffen, dass sich die Fernsehmacher und somit die Zuschauer sich nach und nach für die Sportart begeistern“, sagt Hinz. Die Omnipräsenz des Fußballs erkennt sie aber neidlos an. „Da können wir uns nichts vormachen. Außer den Wintersportarten haben viele andere Breitensportarten ja auch das Nachsehen.“
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Die German Open müssen sich jedoch nicht verstecken – im Gegenteil. Neben dem Weltranglisten-Ersten Timo Boll laufen auch reihenweise andere Tischtennisstars in Dortmund auf. 304 Spielerinnen und Spieler aus 51 Nationen sind gemeldet, darunter jeweils neun der ersten zehn der Weltrangliste im Damen- und Männerbereich. Damit ist das Turnier so gut aufgestellt als die Olympischen Spiele. Für London 2012 wollen sich viele der Teilnehmer in Dortmund direkt qualifizieren.
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Nachwuchsarbeit als Steckenpferd
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Ein entscheidener Punkt ist für den DTTB die Nachwuchsarbeit. „Bei allen Großveranstaltungen sprechen wir gezielt die Schulen an, um den Kindern Lust auf den Sport zu machen“, erklärt Hinz.
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Derzeit sind knapp 615.000 Tischtennisspieler in Deutschland in Vereinen aktiv; jahrelang sank oder stagnierte diese Zahl. 2010 gab es erstmals wieder einen Zuwachs – von 68 Mitgliedern. „Wir freuen uns, dass es wieder aufwärts geht. Da merkt man dann auch, dass die ein oder andere Aktion zur Mitgliedergewinnung gegriffen hat.“ Zu diesen Maßnahmen zählten neben der Turnierausrichtung die Entwicklungsarbeit im Trainerbereich sowie diverse Kooperationsprojekte von Vereinen, Schulen und Hochschulen.

Klaus Collmann vom Institut für Sport und Sportwissenschaft. Foto: TU Dortmund

Klaus Collmann vom Institut für Sport und Sportwissenschaft. Foto: TU Dortmund

Von diesen Kooperationsbemühungen hat Klaus Collmann von der TU Dortmund im Vorfeld der German Open nichts mitbekommen. Er ist Dozent an der sportwissenschaftlichen Fakultät und bildet zukünftige Sportlehrer aus – eine wichtige Zielgruppe für den DTTB, die unter anderem auch Tischtennis in der Schule vermitteln soll. „Auf mich ist keiner zugekommen, dabei wäre ein Aushang oder das Auslegen von Handreichungen kein Problem gewesen“, sagt er.
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Hinz räumt diese Versäumnisse ein. „Es gibt fachspezifische Literatur für Lehrer, mit denen sie beispielsweise eine Unterrichtsstunde gestalten können. Nur leider sind diese noch nicht zu jedem durchgedrungen. Da haben wir noch Nachholbedarf!“
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Klaus Collmann lehrt Tischtennisvermittlung und sieht den Sport als praktikables Spiel für Schüler und Lehrer. „Der Vorteil von Tischtennis ist, dass es von Jungen und Mädchen gleichermaßen gespielt werden kann. Es ist schnell und leicht zu lernen im Vergleich zu anderen Rückschlagspielen wie Tennis“, sagt er. Doch nicht nur aus dem pädagogischem Blickwinkel schätzt er das Spiel, auch aus sportwissenschaftlicher Perspektive nennt er Vorteile.
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„Der Schüler muss von den koordinativen Fähigkeiten in erster Linie die Differenzierungsfähigkeit mitbringen. Zum Beispiel ,Spiele ich den Ball kurz oder lang?‘ Im Spiel lernt er anschließend die Auge-Hand-Koordination durch das Zusammenspiel von Hand, Schläger und Ball sowie andere Fähigkeiten, wie beispielsweise die Reaktionsfähigkeit.“ Zusätzlich hebt er die geringen Kosten hervor, die den Sport auch vereinsgelöst in der Freizeit attraktiv machen. „Man benötigt lediglich einen Schläger und ein paar Bälle, da in vielen öffentlichen Bereichen wie Schwimmbädern oder Schulhöfen bereits Platten stehen.“
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Revolution aus den eigenen Reihen?
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Eine solide Mitgliederzahl, regelmäßige Top-Turniere sowie die Aushängeschilder Timo Boll, Christian Süß und Dimitrij Ovtcharov im Männerbereich und Wu Jiaduo (15. Platz der Weltrangliste) im Damenbereich scheinen ein gutes Fundament für die weitere Entwicklung des Tischtennissports in Deutschland zu sein.
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Das Angabenspiel soll entschärft werden. Foto: Dennis Klammer

Das Angabenspiel soll entschärft werden. Foto: Dennis Klammer

Es gibt jedoch auch kritische Stimmen zur Tischtennislage der Nation – aus dem eigenen Lager. Der Ehrenpräsident des DTTB, Hans Wilhelm Gäb, sieht Handlungsbedarf im Regelwerk, damit Tischtennis langfristig wettbewerbsfähig bleibt – im Kampf um Mitglieder und Medienpräsenz. In der „tischtennis“ hat er unlängst eine Diskussion angestoßen, in der er drastisch auf Problemfelder hinweist.
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Unter anderem beschreibt er den Aufschlag als „zerstörerisches Element“, das es zu entschärfen gilt. Zudem gebe es bei 45-minütiger Spielzeit mitunter nur eine  reine Spielzeit von knapp zehn Minuten, was TV-Redakteure abschrecke. Er möchte daher viele Elemente diskutiert wissen, die das Spiel für Zuschauer und Medien attraktiver machen.
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„Es ist wichtig, dass alle Nationen an einem Strang ziehen. Bevor irgendwann ein Mitgliederschwund einsetzt, sollte man die Sportart reformieren und mögliche Regeländerungsvorschläge rechtzeitig anbringen“, sagt Hinz. „Aber es wird noch lange Zeit dauern, bis Forderungen getestet und überhaupt umgesetzt werden können.“ Das liege primär am Weltverband, der über Regeländerungen entscheide. „Die 210 Nationen, die den Weltverband ausmachen, haben jeweils eine Stimme. Und die muss man erst einmal mehrheitlich überzeugen.“ Die Nationen müssten die Änderungsvorschläge erst national ausprobieren und aus ihren Erfahrungen zur Diskussion beitragen.
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Generell befürworte sie die Anstöße aber. „Der DTTB möchte die angestoßenen Regeländerungen mit Hilfe der Sporthochschule Köln wissenschaftlich begleiten und fundieren lassen. Wenn die Stichproben die Änderungen als sinnvoll präsentiere, könne man sie einem größeren Gremium vorstellen. „Erst dann hätten sie eine Chance.“
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