Fremde Religionen verstehen

Konflikte zwischen Religionen sind immer latent aktuell. Doch dass die Thematik durch den „arabischen Frühling“ und das zukünftige Verhältnis Israels zu seinen Nachbarn solche Brisanz gewinnen würde, hatten die Organisatoren der Diskussion „Juden und Muslime in Deutschland“ nicht geahnt. In der Volkshochschule (VHS) Dortmund geht es am Dienstag dann aber doch eher um das alltägliche Verständnis füreinander, als um die große Politik.

Ob muslimisch, christlich oder jüdisch: alle Besucher wollten das "Fremde" kennenlernen. Foto: Karen Grass

Ob muslimisch, christlich oder jüdisch: alle Besucher wollten das "Fremde" kennenlernen. Foto: Karen Grass / Teaserbild: Pixelio.de / Gerd Altmann

„Wenn es um Judentum, Christentum und Islam geht, findet immer eine Vermengung von Politik und Religion statt“, sagt Michael Rubinstein. Der Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Duisburg/Oberhausen fährt fort: „Gefährlich, wenn arabische Potentaten versuchen, ihre Regime als Bollwerk gegen den Islamismus darzustellen und so zu legitimieren.“ Bei der Diskussion „Juden und Muslime in Deutschland“ in der VHS stehen jedoch nicht die Geschehnisse in der arabischen Welt und ihre Konsequenzen für das muslimisch-jüdische Verhältnis im Mittelpunkt. Eher geht es darum, wie Juden und Muslime sich im Alltag annähern können. „Wir müssen auf die zwischenmenschliche Ebene kommen. Verständnis zwischen unseren Religionen kann nur entstehen, wenn sich neben den Vorständen auch die ganz normalen Gemeindemitglieder treffen“, sagt Rubinstein.

Das „Fremde“ kennenlernen

Mit ihrem Podium bewegen sich die Organisatoren vom Islamseminar, einer Kooperation zwischen Dortmunder Kirchengemeinden und Moscheevereinen, und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sicher auf der zwischenmenschlichen Ebene. Das Publikum ist bunt gemischt: Ältere deutsche Herren sitzen neben jungen Damen, die ein Kopftuch tragen; eine asiatische Dame hinter der zum Islam konvertierten deutschen Rentnerin. Alle 30 Gäste haben ein Interesse: das „Fremde“ kennenlernen.

Ähnlich ging es zu zwischen Muslimen und Christen in Deutschland zum Weihnachtsfest der christlichen Kopten am 7. Januar. Nach den Anschlägen auf ägyptische Kopten um Weihnachten und Silvester wollten viele Muslime ihre Solidarität und ihr Beileid bekunden und nahmen deshalb an fremden Gottesdiensten, fremden Ritualen teil. Andreas Ismail Mohr, Islamwissenschaftler und Vorstand der christlich-islamischen Gesellschaft Köln, plädiert für regelmäßige gemeinsame Gottesdienste von Christen, Muslimen und Juden. „Bis sie einmal eine Tora von Nahem sehen, haben Muslime häufig ein großes Problem mit jüdischen Traditionen“, sagt der Wissenschaftler. „In der Türkei gibt es kaum Bücher, die das Judentum nicht mit Verschwörungstheorien um Freimaurer und Ähnlichem in Verbindung bringen – es fehlt tatsächlich an Aufklärung.“

Deutschsprachige Imame

Andreas Ismail Mohr: "Bei Muslimen und Juden ist es oft wie bei Kindern und Hunden: Die Muslime haben Angst vor dem Judentum, bis sie es kennengelernt und angefasst haben."

Andreas Ismail Mohr: "Bei Muslimen und Juden ist es oft wie bei Kindern und Hunden: Die Muslime haben Angst vor dem Judentum, bis sie es kennengelernt und angefasst haben."

Vielleicht kann daran die in diesem Jahr beginnende Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten etwas ändern. Rubinstein jedenfalls sagt: „Es muss uns als Juden ein Bedürfnis sein, islamische Theologie als deutschen Studiengang zu etablieren.“ Umgekehrt könnte auch das Verständnis des Korans in Deutschland sich verändern, wenn es mehr deutschsprachige Imame gäbe.

Beraten bei der Auswahl der Lehrenden werden die drei Universitäten in Tübingen, Osnabrück und Münster durch die verschiedenen muslimischen Verbände. Von der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, über den Islamrat bis zum Dachverband der Türkisch Islamischen Union (Ditib). Mit letzterer kooperieren Kirchen und auch jüdische Gemeinden häufiger, auch Rubinsteins Gemeinde in Duisburg. Doch generell sei die Kommunikation mit den muslimischen Verbänden sehr schwierig, weil die vielen Einzelorganisationen sich häufig selbst nicht einig seien, sagt Rubinstein: „Wir wollten vor einem Jahr einen gemeinsamen Text für ein Aktionsbündnis herausbringen, aber die verschiedenen Moscheevereine waren sich über eine Formulierung uneinig. So kann man doch keinen Dialog führen.“ Man wolle schließlich glaubwürdig bleiben und an Inhalten arbeiten.

Religiösität hat etwas mit Herkunft zu tun

Doch ist die strenge Auslegung der Religion zwingend ein muslimisches Merkmal? Im Frühjahr 2010 hat sich der Liberal-Islamische Bund gegründet, ein Verband, der eher einen pragmatischen, mehr und mehr weltlichen Stil hat. Mohr gibt zu bedenken: „Nicht nur Muslime aus dem arabischen Raum und der Türkei sind gläubiger als säkularisierte Europäer, auch Juden oder Christen aus dieser Region leben ihre Religion mehr aus. Das hat etwas mit der Herkunft zu tun.“ Doch weil die Muslime mit arabischen oder türkischen Wurzeln in Deutschland zahlenmäßig weitaus mehr auffallen, „regen sich die Deutschen auf, wenn ein Muslim sagt: ‚Ich bin stolz auf meine Religion‘ und es auch mit bestimmten Regeln etwas genauer nimmt.“

Michael Rubinstein: "Bei uneinigen muslimischen Kooperationspartnern bleibt der inhaltliche Dialog schnell auf der Strecke." Foto: Karen Grass

Michael Rubinstein: "Bei uneinigen muslimischen Kooperationspartnern bleibt der inhaltliche Dialog schnell auf der Strecke." Foto: Karen Grass

Viele hören an diesem Abend zum ersten Mal etwas über die Probleme der einzelnen Religionen. Auch die theologischen Konfliktpunkte und Gemeinsamkeiten von der fehlenden Prophetenfigur im Judentum über unterschiedliche Speiseregeln und die Möglichkeit zu Konvertieren bis hin zu den gemeinsamen Wurzeln – namentlich der Figur Moses – wollen die meisten Leute erstmal einfach nur aufnehmen. Vielleicht beantwortet das die Frage, warum so wenig über die aktuellen Probleme im Nahen Osten und in Nordafrika geredet wird: Die Besucher brauchen erst einmal eine Wissens-Basis.

„Natürlich sind wir Juden auch hier in Deutschland besorgt und schauen nach Ägypten: Bleibt unser Friedensvertrag stabil? Wer kommt an die Macht, welche Rolle spielen die Islamisten? Aber das alles können wir jetzt noch gar nicht politisch diskutieren“, sagt Rubinstein. „Ich finde es toll, dass wir hier über unsere Religionen einmal offen reden können, ohne politischen Hintergrund und den Einfluss der Medien“, sagt ein älterer Moslem. „Ich habe heute viel über das Judentum erfahren, und das ist erst die Basis, um meinen Umgang mit der anderen Religion zu verändern.“

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