Alltagsdroge Alkohol: Zwischen Rausch und Sucht

Ich trinke, weil ich dann entspannter bin. Ich trinke, weil ich dann Spaß habe. Ich trinke, weil ich dann besser Frauen abschleppen kann.“

Wer kennt ihn nicht, diesen einen Gedanken nach der durchzechten Nacht: „Verdammt. Warum habe ich eigentlich schon wieder so viel getrunken?“ Die neue Produktion des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund „Koma o.k.“ setzt sich mit dieser Frage auseinander. Am Donnerstag feierte das Stück im Kinder- und Jugendtheater Dortmund (KJT) Premiere.

Ex und weg. Was die Schauspieler in "Koma o.k." mit Wasser veranstalten, kennt jeder aus dem Alltag - mit echtem Alkohol.

Ex und weg. Was die Schauspieler (hier: Sebastian Ennen (l.) und Gabriel Rodriguez Silvero) in "Koma o.k." mit Wasser veranstalten, kennt fast jeder aus dem Alltag - mit echtem Alkohol. Foto: Birgit Hupfeld/KJT / Teaserfoto: pixelio.de/Kai Niemeyer

Die inszenierte Gratwanderung zwischen gelegentlichem Rausch und den Anfängen der Sucht ist jedoch mitnichten nur ein Thema für Kinder und Jugendliche. „Wir sind durch den langjährigen Kontakt mit Pädagogen aus den verschiedensten Bereichen auf das Thema gekommen, sie haben die Problematik immer wieder angesprochen“, sagt Andreas Gruhn. Ende 2009 entschied sich der Leiter des KJT, „Komasaufen“ und Co. eine eigene Produktion zu widmen: die Recherche begann.

„In meinen Gesprächen mit den städtischen Kliniken, der Suchtprävention und dem Jugendamt hat sich vor allem eines gezeigt: wie präsent und brisant das Thema Sucht dort nach wie vor ist und wie sehr man nach Möglichkeiten sucht, die jungen Leute zu erreichen“, sagt Gruhn.

Dennis hat eine Fünf in Mathe- und in Französisch sowieso. Dann ist da auch noch der Nebenjob und das tägliche Fußballtraining. „Scheiße, scheiße, scheiße… ich schaff‘ das alles nicht mehr“, sagt er.“„Es ist so geil, wenn man das alles mal vergessen kann.“ Die Sauforgie am Wochenende ist der einzige Lichtblick.

Denn bisher erreicht vor allem eines Schüler und Studenten: der Stoff. Und dann geht es richtig rund. Eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigt: Von den 18- bis 25-Jährigen hat sich 2010 jede vierte Frau und jeder zweite Mann einmal im Monat einen richtigen Rausch angetrunken. Und wer jetzt glaubt, übers „Komasaufen“ sei diese Generation schon hinweg, der irrt.

Jüngere unterschätzen die Wirkung des Gerstensafts oder der Kartoffel-Destillation (auch bekannt als Wodka) zwar bereits erheblich – jeder Fünfte unter 17-jährige Mann trank sich im vergangenen Jahr einmal monatlich ins Reich der übel riechenden Träume. Bei den jungen Männern im Studentenalter war es aber sogar jeder Zweite. Laut der Studie ist vor allem bei männlichen Jugendlichen das „Binge“-Trinken stark verbreitet – der brennende Kram muss also möglichst schnell die Kehle runter.

„Ex, ex, ex, ex, ex! Ja, Respekt, Alter!“ Benjamin kann zwar kaum noch reden, geschweige denn stehen. Aber er hat es seinen Partykumpanen gezeigt, nicht zuletzt seiner Flamme Anna. Wo ist sie überhaupt? Etwa schon gegangen? Dabei war man sich doch vorhin so nahe gekommen, als alle schon ein bisschen angeheitert waren… Naja. Erstmal noch was trinken! Und dann ab, auf die Intensivstation.

Im Drehbuch sagt die ITS-Ärztin: "Und für solche Leute, die sich mit Absicht ins Koma saufen, muss ich das weinende kranke Kind nebenan warten lassen."

Im Drehbuch sagt die Ärztin: "Und für solche Leute, die sich mit Absicht ins Koma saufen, muss ich das weinende kranke Kind nebenan warten lassen." Foto: Birgit Hupfeld/KJT

„Ich habe für die Recherche auch einen Abend auf der Intensivstation der städtischen Kliniken verbracht“, sagt KJT-Chef Gruhn. „Das war nicht lustig, wie die Jugendlichen da angeliefert wurden, es herrscht grandioses Unwissen darüber, was 2,5 Promille mit einem relativ ‚ungeübten‘ Körper anrichten können.“

2009 wurden insgesamt 319 junge Menschen mit Alkoholvergiftung in eine Dortmunder Klinik gebracht. Allein 150 davon in die Kinderkliniken – immer mehr Jugendliche machen ihre ersten Rauscherfahrungen im Teenageralter. Nur in Köln nahm die Anzahl der Einlieferungen von Alkoholvergiftungsfällen in den vergangenen zwei Jahren noch mehr zu, als in Dortmund.

Dass die jungen Leute hier so oft zur Flasche greifen, hat sicher auch strukturelle Gründe, meint Raimung Rewers. Deshalb unterstützt der Chef der Dortmunder Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) das Projekt mit seinem Unternehmen. Jugendliche, die zuhause aufgrund der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern vor allem Perspektivlosigkeit vorfinden, seien besonders gefährdet. Auch die Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergab: Das Verhalten des Umfelds ist für die jungen Leute extrem wichtig. Eine starke Bagatellisierung der Alltagsdroge Alkohol sei jedoch längst die Regel.

Ben ist wieder zuhause, die Polizei hat ihn gebracht. Sein Vater, in Jogginghose und Unterhemd sagt: „Ja, dann bist du jetzt ein richtiger Mann.“ Seine Mutter, Legginsträgerin mit Angstzuständen, erhebt schwachen Protest. Doch zu mehr reicht es nicht, schließlich ist auch ihr Lieblingsgetränk der Gerstensaft, oder noch besser: ein Klarer. Kein Wunder, dass Ben dem entfliehen will – die nächste Party bei Dennis kommt bestimmt.

Insgesamt ist die Inszenierung „Koma o.k.“ sicher etwas einseitig und überzeichnet. Keine reale Party ist so sehr auf das „Saufen“ fokussiert und beschränkt wie in der Darbietung. Doch durch choreographische Elemente und assoziative Elemente wie die persönlichen Erfahrungen der Künstler mit dem Alkohol gewinnt das Stück erheblich an Wirkung. Ähnlich steht es mit den Gastauftritten einer entnervten Ärztin, eines Managers aus der Alkoholindustrie und des „Daueralkoholikers“ ,Ozzy Osbourne‘.

Dionysos ist der Gott des Rausches. Ganz ohne ihn geht es nicht, sagt KJT-Leiter Andreas Gruhn. Foto: Birgit Hupfeld.

Dionysos ist der Gott des Rausches. Ganz ohne Rausch geht es nicht, sagt KJT-Leiter Andreas Gruhn. Foto: Birgit Hupfeld/KJT

Doch den stärksten Part haben die Intermezzi des Gottes Dionysos: Zu Beginn der Inszenierung tritt der Gott des Rausches als Rockstar auf, den die Leute lieben. Am Ende schiebt Gruhns Ensemble den Mythos von Dionysos und dem König Penthaeus nach. Der König will Dionysos unter Kontrolle bringen, um Verwahrlosung und Rausch in seiner Gesellschaft einzudämmen. Doch Dionysos gewinnt den Zweikampf und zur Strafe wird der König von seiner eigenen Mutter im Rausch ermordet.

„Ganz ohne Rausch funktioniert unser Leben nicht“, sagt Gruhn. „Wir sollten ihn nicht aussperren. Das richtige Maß zu finden und den gelegentlichen Rausch nicht zur Gewohnheit werden zu lassen, das ist die Schwierigkeit. Aber auch wir haben keine Musterlösung, wir wollen hier nicht den Zeigefinger schwingen.“ Deshalb wählen die Protagonisten letztendlich unterschiedliche Wege:

Kathi hat genug. Nachdem sie gesehen hat, was mit Ben passiert, will sie nicht mehr trinken. Stattdessen lernt sie ihren Körper beim Tanzen von einer ganz anderen Seite kennen. Ben nimmt einen anderen Weg: er stürzt jetzt auch tagsüber ab.
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