Brexit oder Bremain: Was wollen die jungen Briten?

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Großbritannien stimmt am 23. Juni über den Austritt aus der EU ab. Die Frage lautet: Brexit oder Bremain? Die pflichtlektuere hat im Vereinigten Königreich  nachgefragt, was die jungen Briten darüber denken. Sind ihre Sorgen berechtigt oder stellen sie sich bloß an?

Im Vereinslied des BVB heißt es „Borussia verbindet Generationen, Männer und Frauen, alle Nationen.“ Der Londoner Ben McFadyean kann im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied davon singen. McFadyean gründete vor drei Jahren den Borussia Dortmund Fanclub London. Mittlerweile hat dieser 300 Mitglieder. Das zeigt: Fußball verbindet, Fußball schweißt zusammen – über Ländergrenzen hinweg. Nun will Fußball nicht politisch sein. Probleme, Unstimmigkeiten und Konflikte zwischen zwei Ländern können zwar für 90 Minuten ausgeblendet werden. Trotzdem sind sich die Menschen in Europa wohl in keinem Punkt so uneinig wie über ihre eigene Zukunft. Deshalb ist das Ergebnis des Referendums völlig offen. Die Gräben zwischen der Insel und dem Binnenland sind tiefer als der Ärmelkanal. 

Ben McFadyean will nicht zur Wahlurne gehen. Er kann sich nicht entscheiden. „Auf der einen Seite liebe ich Europa und die EU als Institution, welche Frieden, Zusammenhalt und Stabilität zu bieten hat. Auf der anderen Seite glaube ich, dass Großbritannien mit der Einwanderung von EU-Bürgern überfordert ist, weil es die Grenzen nicht selbstständig schützen kann“, sagt der 46-Jährige, der aus der Universitätsstadt Oxford stammt.

Die Frage, ob eine EU-Mitgliedschaft Vorteile bringen kann, beantwortet der BVB-Fan mit „Ja.“ „Nur nicht so sehr für Großbritannien im Vergleich zu anderen Ländern.“ Der Beweis: die vergangenen 40 Jahre. Er sieht die Rolle des Vereinigten Königreichs als Kooperationspartner englischsprachiger Nationen. Im Gegenzug denkt er, die EU brauche die Briten auch nicht. Brexit oder nicht. Die reellen Folgen der Abstimmung wird die Generation nach Ben McFadyean zu spüren bekommen.

Was denken also die jungen Leute?

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Matthew Kelly. Quelle: privat

Stoke-on-Trent liegt in den englischen Midlands und hat durch seine Töpfer-Industrie Reichtum und Bekanntheit erlangt. Es ist die Heimatstadt von Matthew Kelly. Der 23-jährige hat Sport studiert und arbeitet mittlerweile als Personal Trainer. Er will für den Brexit stimmen.

Wir können nicht noch mehr Zuwanderer aufnehmen. Es ist eine massive Belastung für unser Gesundheits- und Sozialsystem.

 Obwohl er Vorteile in der Visa-Freiheit und die Möglichkeit sieht, irgendwann mal in einem EU-Land problemlos arbeiten zu können, überwiegen aus seiner Sicht die Argumente der Brexit-Befürworter. Trotzdem seien die Auswirkungen auf das britische Volk ungewiss.

Ben Heal

Ben Heal. Quelle privat

Ben Heal hat bereits sein „Kreuzchen“ per Briefwahl gemacht: pro EU. „Ich glaube, dass die EU eine positive Kraft für die Stabilität in Europa ist – trotz aller Probleme und Mängel.“ Der 38-Jährige kommt ursprünglich aus London, studiert an der National Taiwan Normal University in Taipei Mandarin. Er befürchtet ähnliche Auswirkungen auf das Königreich wie McFadyean oder Kelly – allerdings dann, wenn Großbritannien die EU verlässt.

Die derzeitige Regierung wird unabhängige Freihandelsabkommen mit Nordamerika schließen und öffentliche Institutionen wie die BBC privatisieren. Das würde die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch größer machen.

Der EU-Verbleib ist für Ben Heal unumgänglich, weil er sich sonst existenzielle Sorgen um seine Zukunft mache. Er könne an Einkommen verlieren, die Jobsuche sei ein wichtiges Argument. Verbesserungsvorschläge habe Heal: mehr Transparenz durch einen demokratisch gewählten „Präsidenten“ Europas und vor allem keine zukunftsnahe Mitgliedschaft der Türkei.

Ben Heals Vorstellungen sind europäisch geprägt, fernab von britischer Isolation. Er sagt: „Ich wünsche mir bessere, einheitliche Arbeitsrechte in ganz Europa mit weniger Ausbeutung. Ein großes Problem Großbritanniens ist, dass arme Leute aus der EU, zum Beispiel aus Polen, einreisen und für extrem wenig Geld arbeiten.“ In erster Linie solle die EU die Handelsabkommen regeln und den durchschnittlichen Lebensstandard erhöhen.

 

Max Hawkins

Max Hawkins

Max Hawkins (24) studiert Physik in Cambridge

Die EU fühlt sich an wie eine britische, verstaatliche Firma aus den 80er-Jahren: bürokratisch ineffizient, viel zu teuer und innen drin undemokratisch. Deshalb stimme ich für einen Austritt. Wenn sich das ändert und die EU demokratischer wird, dann würde ich natürlich für einen Verbleib voten.

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Peter Newton

Peter Newton (25) studiert Physik in Cambridge  

Ich stimme für einen Verbleib. Die EU finanziert 17 Prozent der Forschungsgelder unserer Universität. Außerdem sorgte Brüssel für eine Erhöhung der Mittel um 73 Prozent in den letzten Jahren. Ein Austritt würde das alles riskieren.

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Nick Rome (links)

Nick Rome (21) studiert Mathematik in Cambridge 

Ich habe noch nicht ein überzeugendes Argument gehört, das einen Austritt legitimiert. Als Student glaube ich, dass Großbritannien unter einem Austritt leiden würde. Wir haben einige der besten Unis auf der Welt, die auch durch EU-Mittel finanziert werden.

Hugo Ventham (19) studiert Mathematik in Cambridge

Ich möchte nicht an dem Punkt, an dem ich das erste Mal in meinem Leben nach Arbeit suche, in einer Zeit der wirtschaftlichen Ungewissheit und Instabilität leben. Deshalb stimme ich für einen Verbleib.

Großbritannien sorgt sich um folgende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Probleme
  • Integration: Die Angst, dass osteuropäische Arbeiter in Massen nach Großbritannien ziehen, ist gegenwärtig. Ob diese auf der Insel Arbeit finden, ist ungewiss. Eine große Gruppe, die nicht arbeitet, würde das Sozialsystem erschüttern – so die Befürchtung. Ein Überangebot an Arbeitern führt allerdings auch zwangsläufig zu Dumping-Löhnen: trotz eines Mindestlohns in Höhe von 9,23 Euro. Ein weiteres Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit, die im Jahr 2015 in Großbritannien den höchsten Wert seit 20 Jahren erreichte.
  • Brüsseler Intransparenz: Als wirtschaftsstarkes Land leisten die Briten täglich Millionenabgaben an die Europäische Union. Die politische Struktur der EU bleibt aber fragwürdig, weil sie etwa kein Gesicht in Form eines Vertreters hat. Die Brüsseler Gesetzgebung ist auch für viele Normen zuständig, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Die Hälfte der Briten sieht das als Belastung. Außerdem fragen sich die europa-kritischen Briten: Warum Geld an die EU zahlen, wenn man angeblich keinen Nutzen daraus zieht?
  • Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung: Regierungschef David Cameron bezieht eine klare Position. Er will sich dafür einsetzen, dass Großbritannien ein Mitglied der Europäischen Union bleibt. Der Haken: Während der Euro-Finanzkrise avancierte Cameron zum Kämpfer für eine britische Unabhängigkeit – zumindest in finanzieller Hinsicht. London weigerte sich Milliardenhilfe für Athen zu leisten, weil das Königreich zwar EU-Mitglied ist, aber nicht etwa ein Land der Eurozone. Viele Briten nehmen Cameron die 180-Grad-Drehung übel.
  • Unsichere Wirtschaftslage: London gehört zu den größten und wichtigsten Finanzmärkten der Welt. Diverse Banken warnen vor einem Brexit. Die Konsequenz wäre eine mögliche Verlagerung ihrer Standorte – weg von der Themse, weg von der Insel und stattdessen etwa nach Frankfurt. Genauso unklar ist die Entwicklung des britischen Pfunds. Noch vor einem Jahr bekam man für ein Pfund umgerechnet knapp 1,50 Euro. Im April lag die britische Währung nur noch bei 1,23 Euro. Bei einem Austritt verlieren die Briten darüber hinaus alle Vorteile des europäischen Binnenmarkts: In Brüssel haben sie kein Wort bei der Gesetzgebung mitzureden, auf britische EU-Importe fallen Zölle in Höhe von mehreren Hundertmillionen Euro an. Ein mögliches Szenario: Großbritannien verhandelt bilateral, schließt Alternativverträge ab und erlangt einen Status, wie ihn zum Beispiel Norwegen inne hat, um weiterhin die Handelsbeziehungen zum europäischen Binnenland aufrecht erhalten zu können. Es wäre vor allem ein enormer bürokratischer Aufwand. Die Gespräche forcieren müsste vor allem London.

Ob diese Sorgen berechtigt sind, lest ihr am Tag des Referendums bei der Pflichtlektüre.

Beitragsbild: Christian Woop
Porträtbilder: privat

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