Die ewige Suche nach dem nächsten Abenteuer

David in Kapstadt

Morsche Bänke, Sperrmüll auf den Tribünen, Fans, die mit palettenweise Bier über die Ränge laufen – das prägt den Charakter des Fußballstadions von Vilnius. Das Spiel der zweiten littauischen Liga ist zerfahren. David Gohla blickt trotzdem begeistert auf das Spielfeld, das fast aussieht wie ein Acker. Der 35-Jährige ist Groundhopper und hat schon 137 Stadien in 28 Ländern besucht.

David Gohla ist still und saugt die Atmosphäre in Vilnius für sich auf.  Fast jede Woche fährt er zu einem Fußballstadion, um sich Spiele anzugucken. Neben dem Job beim kicker in Hamburg und der Familie.

Erklärung Groundhopping

Groundhopper sind Fußballfans, die möglichst viele Spiele in möglichst vielen Stadien (Grounds) und Ländern besuchen wollen. Eine feste Szene oder klare Regeln gibt es dafür nicht.

Groundhopper definieren sich über die stetige Suche nach neuen Grounds, anstatt über eine Mindestanzahl von Stadien oder eine untere Grenze der Ligen, die besucht werden können. Wie viele Groundhopper es in Deutschland gibt, ist zudem unklar. Es werden Zahlen im niedrigen Tausenderbereich geschätzt.

Die Suche nach der Ursprünglichkeit und Authentizität des Fußballs – das ist es, warum Groundhopper zu Fußballspielen auf der ganzen Welt reisen.

Für David Gohla ist „alles ein Ground, was eine Tribüne hat“. Das Groundhopping betreibt er unabhängig von seinen Lieblingsvereinen Werder Bremen. „Ich gucke zwar viele Heim- und Auswärtsspiele von Werder, aber das mit einer emotionalen Befangenheit. Beim Groundhopping gehe ich neutral an die Spiele ran, sonst würde ich mich beschränkt fühlen“, sagt David Gohla. Was ihn am Groundhopping so reizt, ist auch das jeweilige Spiel, aber vielmehr das große Ganze drum herum.

Was David am Groundhopping reizt
  • Kultur: beim Fußball wird viel von dem deutlich, wie das Land, die Stadt und die Menschen wirklich sind
  • authentisches Reisen ab von normalen Wegen
  • geschichtliche und soziale Aspekte: Wie ist der Verein entstanden? Was geht in dem Viertel ab, wo das Stadion steht?
  • Fanpolitische Themen: Gibt es Rivalitäten? Andere Vereine in der Stadt? Welchen Stellenwert hat Fußball für das Land und die jeweiligen Klubs?
  • Architektur des Stadions
  • Werden Essen und Trinken verkauft? Was kostet der Eintritt?
  • Wie viele Fans sind da? Gibt es Ultrágruppen? Banner, Fahnen?

Seit wann David Groundhopper ist, kann er nicht wirklich sagen. „Ich habe mir auch nicht irgendwann vorgenommen, Groundhopper zu werden. Mit mehr und mehr Stadionbesuchen habe ich mehr Leidenschaft und Interesse dafür entwickelt und wollte Stadien gezielter besuchen“, sagt der 35-Jährige.

Ein Foto aus dem Zalgirio Stadion in Vilnius. Auf der Trib¸ne stand Sperrm¸ll herum, Fans kamen mit Paletten voll Dosenbier zum Spiel. Keine Kontrolle und kein Eintritt. Zweite litauische Liga.

Von der Ursprünglichkeit des Zalgirio Stadions in Vilnius war David begeistert.

Seine Entwicklung sieht Dr. Gabriel Duttler vom Institut für Fankultur Würzburg und Frankfurt als typisch an: „In den meisten Berichten, die wir von Groundhoppern lesen, beschreiben sie, dass sie aus einer Ultraszene stammen oder Allesfahrer sind. Sie haben das Spiel, den Stadionbesuch und das Reisen im Fußballkontext durch ihren Lieblingsklub schätzen gelernt und wollen diese Erfahrungen durch Groundhopping intensivieren.“ Groundhopping sei deshalb in Europa auch hauptsächlich ein Phänomen des Fußballs.

Durchschnittlich kommt David Gohla auf rund 50 Spiele im Jahr – fast eins in der Woche. „Jedes Mal, wenn ich aufbreche, merke ich, dass es mich packt. Es beginnt ein Abenteuer. Ein komplettes Wagnis“, sagt er. Ein Ausbruch aus dem Alltag sei das für ihn nicht, aber er muss schon zugeben: „Hier ist alles geregelt. Ich weiß jeden Tag genau, wann ich aufstehe und kann in Hamburg fast blind zur Arbeit fahren. Wenn ich zu Groundhopping Touren aufbreche, gehe ich auf eine Reise ins positiv Ungewisse. Ich kann viel planen, muss aber auch improvisieren können.“

Stadien, die David Gohla schon besucht hat:

Groundhopper sind Organisationstalente – das bestätigt auch Gabriel Duttler. Für die Fahrten müsse vom Ticket über das Hotelzimmer bis zum Transport ein großer organisationaler Aufwand geleistet werden. Um Kosten zu sparen und weil es mehr Spaß mache, seien Groundhopper oft in Kleingruppen zusammen unterwegs. David Gohla hebt sich in dieser Beziehung von anderen Groundhoppern ab. Er ist fast immer alleine auf Reisen:

Es kommt schon mal vor, dass ich in vier Tagen das einzige Mal rede, wenn ich an der Tanke bezahle. Ich mache die Touren aber für mich und brauche keine Begleitung. Ich kann dann alles selber entscheiden und die Erlebnisse besser aufsaugen.

382 Spiele in 137 Stadien und 28 Ländern – das ist die Bilanz von Groundhopper David. Er kennt sie aber nicht auswendig, sondern muss sie erst in der App „Groundhopper“ nachgucken. Dort trägt er alle Spiele und Stadien ein, die er je gesehen hat. Das Phänomen des Sammelns ist für Dr. Duttler ein ganz Entscheidendes für Groundhopper: „Fußball wird dadurch mehr, als nur der eigentliche Sport. Groundhopper binden sich sehr emotional an den Fußball und folgen dabei einem neugierigen Interesse, das sich über ein tiefes Lustempfinden am Vervollständigen – z.B. aller Grounds einer Liga – und an tieferer Erkenntnis hinsichtlich der besuchten Grounds und fremden Gegenden ausdrückt“.

Vereinigung der Groundhopper Deutschlands

Die Vereinigung Deutscher Groundhopper ist die Überorganisation für Groundhopper in Deutschland. Die Vereinigung der Groundhopper Deutschlands, kurz VdGD, wurde 1993 gegründet. 2010 betrug die Mitgliedszahl 75. Organisierte Treffen gibt es von der VdGD nicht, die Mitglieder treffen sich meistens bei Spielen der Nationalmannschaft.

Aufnahmekriterien für die VDG sind, 300 Grounds in 30 Ländern gesehen zu haben. Diese Werte wurden kürzlich angehoben, da in den letzten zehn Jahren durch das Internet und Reiseberichte die Organisation leichter geworden sei, sagt Dr. Duttler. Er ergänzt: „Die Orga gehört zum Groundhopping dazu. Je leichter die Orga wird, desto weniger ist der Punkt für den Ground eigentlich auch Wert.“

Davids Beispiel bestätigt das. Auf die 28 Länder, in denen er schon Spiele gesehen hat, sei er schon stolz. „Und ich hab Bock, das noch weiter auszubauen“, versichert der Hamburger. Dass das Suchtpotenzial bietet, ist ihm bewusst:

Das Problem ist: mehr geht immer. Niemand kann es schaffen, alles auf der Welt gesehen zu haben. Selbst wenn ich um die Welt reisen und jeden Tag ein Spiel sehen würde wüsste ich, dass ich niemals alles abhacken kann.

Für 2016 hat David noch keine konkreten Pläne. Er müsse aber unbedingt nochmal zu West Ham United, denn die ziehen ein neues Stadion um. Außerdem hat er sich vorgenommen, sich alle 50 Vereine anzugucken, die jemals in der Bundesliga gespielt haben. Bis er dieses Ziel erreicht hat, ist es noch ein langer Weg: Einmal von Ulm über Saarbrücken nach Cottbus und weiter nach Uerdingen.

Alle Bilder: David Gohla

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