Kondome für Zigarettenschachteln

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Dass Tabak schädlich ist, weiß heutzutage vermutlich jeder. Die „Rauchen kann tödlich sein“-Aufschrift ist für die meisten schließlich ein ziemlich deutlicher Hinweis. Dieses Jahr hat der Bundestag offenbar entschieden, auch Analphabeten zu schützen: Seit Mai müssen die Tabakhersteller Schockbilder auf ihre Waren drucken. Laut Regierung ist das wichtigste Ziel, Jugendliche zwischen 12 und 17 abzuschrecken.

Macht ja auch Sinn, Warnhinweise auf ein Produkt zu drucken, um Personen vom Erwerb abzuhalten, die dieses laut Gesetz ohnehin nicht kaufen dürfen. Scheinbar glaubt die Politik selbst nicht mehr daran, ihre Altersbeschränkung für den Kauf von Tabakwaren durchsetzen zu können. Mal ganz abgesehen davon, dass gerade Jugendliche der Reiz des Verbotenen fasziniert. Ich sehe schon vor mir, wie auf Schulhöfen Kinder eine Raucherlunge gegen verfaulte Zähne tauschen. Höchste Eisenbahn, dass Panini ein Sammelalbum auf den Markt wirft!

Auf Leute, die eh jeden Tag eine Schachtel wegquarzen, haben die Bilder keine Wirkung, belegte eine Studie der Universität Bonn. Das wusste schon der Zigarre-liebende englische Premierminister Churchill:

Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer wieder von der Bedeutung der Gefahr des Rauchens für seine Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen. 

Zum Glück hat die Regierung Churchill ausgetrickst. Bilder muss man ja gar nicht lesen. Ein absoluter Geniestreich! Die Tabakindustrie liegt mit (rauchinduzierter?) Schnappatmung am Bodenund weiß nicht mehr weiter. Na ja, fast. Beinahe jede Marke und einige private Anbieter beginnen mit dem Verkauf von Taschen und Etuis, in denen die Schockbilder zurück in die Dunkelheit verschwinden: Kondome für Zigarettenschachteln.

20160830_134533_HDRIn anderen EU-Ländern und in Australien gibt es die Bilder bereits seit geraumer Zeit auf den Verpackungen, angeblich mit Erfolg. Die Zahl der Raucher ist messbar rückläufig. Liegt das wirklich an ein paar unappetitlichen Bildern? Oder vielleicht doch eher an exorbitant hohen Preisen von teilweise 15 Euro pro Packung, liebe Statistiker? Für die Genauigkeit der Preise übernehme ich keine Haftung, ich kann durch den ganzen Qualm kaum meinen Bildschirm sehen.

Vorbei sind nun übrigens die Zeiten, in denen Schüler durch langweilige Vorträge über die Langzeitschäden des Rauchens aufgeklärt werden mussten. Das kann jetzt viel kosteneffizienter durch Schockbilder ersetzt werden. Pech für die Schüler, bei denen für diese Veranstaltungen in Zukunft kein Mathe-Unterricht mehr ausfallen wird. Gut aber für die Staatsfinanzen, weil nun keine Dozenten mehr für diese Vorträge bezahlt werden müssen.20160830_134816_HDR

Einen Hoffnungsschimmer haben die lernunmotivierten Kids dennoch: Vielleicht gibt es bald Präsentationen über die Auswirkungen von Schokolade, wie zum Beispiel einen kugelrunden Bauch, braune Zähne oder ein kurzzeitiges Glücksgefühl mit Suchtpotential. Oder jemand referiert über Chips, die eine Erfindung von Beautyfirmen sind, um einen Markt für ihre Anti-Pickel-Produkte zu erschaffen. Die Schüler machen sich dann Notizen auf ihren College-Blöcken, die großflächig mit Bildern abgeholzter Wälder bedruckt wurden.

Ob das neue Gesetz in Deutschland wirklich zu einem Rückgang der Raucher führt, wird sich erst in ein paar Jahren sagen lassen. Ich widme mich jetzt dem Feierabendbier, solange auf dem noch keine Bilder vor der Säufernase warnen.

Hintergrund
Bis Mai hatten die Hersteller Zeit, bilderfreie Schachteln vorzuproduzieren. Inzwischen sind diese Vorräte allerdings aufgebraucht. Kunden müssen auf die mit Schockbildern versehenen Schachteln umsteigen oder Zigaretten von einer Marke kaufen, bei der noch Reserven vorrätig sind. Spätestens im Mai 2017 müssen jedoch auch die aus den Regalen verschwinden.

 

Beitragsbilder: Nils Gronemeyer

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