Am Stammtisch der Wissenschaft

Foto: www.minkorrekt.de

Kneipenabend. Ein paar kühle Bier und Fußball? Nein. Wenn Nicolas Wöhrl und Reinhard Remfort ihren Podcast aufnehmen, fühlt man sich zwar wie am Stammtisch. Statt BvB gegen Bayern heißt es dann aber Higgs-Teilchen gegen Bomben aufspürenden Spinat! 

 

 

Während Schulen versuchen, durch Spiele am Computer das Lernen für ihre Schüler interessanter zu gestalten, wählen die beiden Wissenschaftler der Uni Duisburg-Essen lieber einen anderen Weg. Mit Erfolg: Zwischen 30.000 und 60.000 Hörer haben ihre etwa dreistündigen Folgen im Durchschnitt. Nicolas Wöhrl erzählt von der Idee hinter dem Podcast

 

Das Interview in Tönen:

Warum macht ihr einen Podcast?

 

Wie ist der Podcast aufgebaut?

 

Was ist die Idee hinter eurem Konzept?

 

Wie akkurat sind eure Aussagen im Podcast denn?

 

Was ist dann der wichtigste Ansatz?

 

Ihr wart Gäste in mehreren Kinder- und Jugend-Sendungen. Warum?

 

Warum ist die Arbeit mit Kindern besonders wichtig?

 

Was zeichnet den Beruf des Wissenschaftlers aus?

 

Verdient ihr mit dem Podcast genug, um davon zu leben?

 

Wäre „Podcaster“ etwas, das du dir hauptberuflich vorstellen könntest?

 

Was ist eigentlich ein Wissenschaftskommunikator?

 

Seid ihr gut darin? Was unterscheidet euch von anderen Wissenschaftskommunikatoren?

 

Was wollt ihr als Kommunikatoren erreichen?

 

Wie viele Leute erreicht ihr mit eurer Sendung?

 

Was ist für euch das „große Ziel“ mit dem Podcast?


Quelle: www.minkorrekt.de

 

Keine Kopfhörer? Kein Problem!

Die Entstehungslegende

Die beiden Nanotechnik-Wissenschaftler  arbeiteten früher gemeinsam in einer jungen Arbeitsgruppe an der Uni, die auch privat viel gemeinsam unternahm. Beim Mittagessen in der Mensa und beim gelegentlichen Feierabendbier tauschten sie sich über ihre gemeinsame Leidenschaft aus: Die Wissenschaft. Genauer gesagt: wissenschaftliche Publikationen in Fachzeitschriften. „Das waren zum Teil Themen, von denen wir selbst nicht mal zwangsweise Ahnung hatten. Teilweise war es nicht mal Physik, oder nicht unser Spezialgebiet“, erklärt Nicolas Wöhrl. Das war für sie aber nicht weiter schlimm, sie versuchten sich gegenseitig die Thematiken zu erklären, den interessanten Ansatz der wissenschaftlichen Schriften hervorzuheben. Schließlich kam den beiden ein Gedanke: „Das könnte auch für andere interessant sein, wie wir uns hier über die Themen unterhalten“. Für die schon damals leidenschaftlichen Podcast-Hörer stand das Medium ihrer Wahl entsprechend schnell fest.

Das Konzept ist simpel

Gedacht, getan. Das Grundkonzept, dass sich seit der ersten Folge im Mai 2013 kaum verändert hat, steht: Jeden zweiten Dienstag stellen die beiden sich gegenseitig im Podcast zwei in ihren Augen spannende Publikationen vor. Diese sind meistens weniger als zwei Monate alt, also aktuelle Grundlagenforschung. Dabei decken sie wirklich alles ab, von Teleskop-Kontaktlinsen bis hin zu Reisen zum Mars. Begleitet werden die Themen von einem für jede Folge neu aufgenommenen Intro. Regelmäßig veranstalten die Beiden Experimente. Zum Beispiel: Verhalten sich Luftballons mit Helium so, wie wir es erwarten, wenn sie der Bremskraft ausgesetzt werden? Zum Test wird erst einmal eine Runde im Auto um den Uni-Parkplatz gedreht. Der Ballon ist dabei, ganz nach den Sicherheitsbestimmungen, an die Handbremse gebunden. Die Anleitung zu solchen Experimenten gibt es dann auf der Homepage, oft begleitet von einem kurzen Youtube-Video, damit die Hörer ein besseres Bild des Ergebnisses kriegen. Nebenbei erklärt Reinhard Remfort seinem Kollegen das China-Gadget der aktuellen Episode. „Das ist irgendein Scheißdreck, den Reinhard irgendwo im Netz gekauft hat“ fasst Nicolas Wöhrl die Kategorie zusammen.

Eröffnet werden die Podcasts meist mit dem „Bier der Woche.“ In jeder Folge wird ein anderes Bier probiert. Mit Glück schmeckt das sogar ganz gut. Die Idee hinter dem Bier der Woche ist simpel: „Wir wollen ein Bild vermitteln. Es soll klingen als säßen zwei Kumpels in der Kneipe und unterhalten sich über Wissenschaft. Weg von dem Bild der Wissenschaftler, die im Elfenbeinturm sitzen und hochkomplexe Dinge hochkomplex erklären.“ Wissenschaft sollte etwas sein, über das jeder reden kann. Die meisten haben aber zu viel Ehrfurcht vor ihrer Komplexität und überlassen die Themen lieber ganz den Wissenschaftlern. So sollte es aber nicht sein, findet Nicolas Wöhrl. „Fußball ist auch komplex. Während der WM wissen trotzdem plötzlich 80 Millionen Deutsche besser, wie die Mannschaft aufgestellt sein sollte, als Jogi Löw.“

Inkorrekt als Prinzip

„Was wir da erzählen ist nie kompletter Mist, aber manchmal werden wir den Sachverhalt nicht haargenau darstellen können“, sagt Nicolas Wöhrl. Falls den Beiden mal ein Fehler unterläuft, gibt es unter den Hörern aber genügend Experten, zum Beispiel Biologen, die sie darauf aufmerksam machen. Es ist den beiden nicht wichtig, dass alles zu 100 Prozent richtig ist. Der Fokus soll auf dem Grundkonzept liegen: Was wurde erforscht, was steckt dahinter, was lernen wir daraus.

Ein paar Fehler im Detail sind dabei nicht weiter schlimm, solange der Grundgedanke richtig vermittelt wird. „Wir haben letzten Endes nicht den Anspruch einer Vorlesung. In erster Linie wollen wir unterhalten und dabei die Basisinformationen vermitteln“. Die genauen Spezifikationen und Formeln sind auch für Wissenschaftler nicht ohne weiteres verständlich, teilweise gar nicht. Zwischen den Themen, oft auch währenddessen, bleibt den beiden genügend Zeit für Blödeleien, neckische Kommentare oder die schnelle Google-Suche, wenn man sich im Thema doch mal etwas verplappert hat.

Generell sollten Menschen mehr fragend durchs Leben gehen. „Insbesondere Kinder stellen viele Fragen, aber manchmal wird ihnen diese Haltung in der Schule aberzogen“. Für Nicolas Wöhrl ist das tragisch, wo doch gerade diese Neugier die Forschung antreibe. Erwachsene haben diese Haltung oft komplett abgeworfen. „Die meisten nehmen Dinge einfach nur noch so hin, wenn Wissenschaftler etwas sagen. Das sollte nicht sein. Die Forschung an Universitäten ist steuerfinanziert, die Leute haben ein Recht darauf zu wissen, was wir mit ihrem Geld machen“. Man muss nicht alles verstehen, ein grober Eindruck ist auch schon etwas wert. Wenn dabei auch noch die Neugier geweckt wird, dann ist das für die Podcaster ein großer Erfolg.

Das Vorbild für sie ist der amerikanische Physiker Richard Feynman. Dieser erklärte neue Theorien zuerst seiner Mutter. Und zwar ununterbrochen, bis sie die Idee für schlüssig hielt. Die Physik dahinter verstand die Frau kein bisschen. Das ist aber auch nicht nötig, um ein Grundkonzept zu verstehen. Dieser Ansicht sind zumindest Feynman und Nicolas Wöhrl.

Nebenjob Wissenschaftskommunikator

Normalerweise stellen Universitäten und andere Forschungsinstitutionen speziell für die Vermittlungsarbeit zwischen Wissenschaftler und Öffentlichkeit Fachleute ein. Bei einigen Projekten wäre es den beiden Podcastern aber lieber, wenn die Forscher diesen Auftrag selbst übernehmen, um die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm zu holen und mehr in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Für Informationsprojekte und -Veranstaltungen wird oft sehr viel Geld ausgegeben. Mit dem Podcast lassen sich wichtige Neuigkeiten sogar kostenlos verbreiten. Und das bei einer größeren Reichweite. Zu dieser Arbeit gehört auch das Auftreten bei sogenannten „Science-Slams“, bei denen wissenschaftliche Sachverhalte unter Zeitdruck verständlich erklärt werden müssen. Wie ein richtiger Job fühlt sich der Auftritt als Wissenschaftskommunikator für Nicolas nicht an. „Ich rede halt gerne über Wissenschaft. Mit dem Podcast überspringen wir einfach den Vermittler“.

Das Feedback der Hörer als Antrieb

Oft kriegen die beiden positives Feedback von ihren Hörern, wie: „Hätte ich einen Physiklehrer wie euch, hätte ich das Fach vielleicht nicht abgewählt.“ Solche Komplimente erfreuen die beiden Physiker zwar, allerdings sehen sie es auch realistisch: „Ein Lehrer hat natürlich einen schwierigen Job. Er kann nicht jeden Tag so ein Feuerwerk abreißen, wie wir das alle zwei Wochen machen“. Die Hörerbindung war von Anfang an wichtig. Inzwischen ist sie so stark, dass einige Leute später zur Arbeit fahren, um die neueste Folge für die Fahrt downloaden zu können. Das ist eine Motivation, pünktlich abzuliefern – auch wenn das nicht immer einfach ist. Beide müssen regelmäßig auf Dienstreisen.  Sie arbeiten viel mit ihren Kollegen aus dem Ausland zusammen. So haben sie zusammen schon eine Folge aus Indien aufgenommen. Eine andere Episode wurde über Skype aufgenommen, während Nicolas in China war. Auch für den Urlaub kann keine Folge ausfallen. Im Notfall wird die nächste Episode eben schon eine Woche früher aufgenommen.

Die Reisen bereichern den Podcast sogar, wenn über die gesammelten Erfahrungen und Eindrücke gesprochen wird. „Einem wird klar, dass unsere Art zu leben, die absolute Ausnahme ist. In Indien haben die Menschen nicht zwangsweise Wasser, sie leben in Bretterbuden. Das macht sehr demütig“. Trotzdem ist es toll, mit Kollegen in anderen Ländern zusammenzuarbeiten und neue Kulturen zu entdecken, findet Nicolas.

Hauptberuf Podcaster?

Das Veröffentlichen von Podcasts ist kein klassischer Job mit festem Gehalt. Durch Spendenseiten wie „Patreon“ oder „flattr“ können die Hörer eine beliebige Summe Geld an die Produzenten überweisen. Ursprünglich war die Hoffnung, damit die Serverkosten des Podcasts zu decken. Inzwischen ist es so viel, dass sie das Einkommen versteuern müssen. Zwar könnten die beiden nicht allein davon leben, nicht mal einer von ihnen, aber es reicht, um die Ausrüstung für den Aufnahmeprozess anzuschaffen. Außerdem wollen überlegen sie, mit ihren Experimenten auf die Bühne zu gehen, um auch außerhalb des Podcasts Menschen zu unterhalten. Ohne die Spenden wäre es vermutlich nie zu diesen Überlegungen gekommen. Seinen Job an der Uni schmeißen und nur noch Podcasts machen, könnte sich Nicolas aber nicht vorstellen. „Ich liebe meinen Job an der Uni. Aber es ist faszinierend, dass man mit so etwas tatsächlich Geld verdienen kann“.


Die aktuelle Folge zum anhören:

MInkorrekt Folge 90: „Science, not Silence“

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