Duell zur WM: Torlinientechnik auch in Deutschland?

Tor? Kein Tor? Beim WM-Spiel zwischen Frankreich und Honduras entschied die Torlinientechnik „GoalControl“ auf „Tor“. Damit kam die neue Hilfe zum ersten Mal in einem großen Turnier zum Einsatz. Die Vertreter der beiden Bundesligen in Deutschland lehnten die Technik vor kurzem noch mehrheitlich ab. 

Zuletzt gab das nicht gegebene Hummels-Tor beim DFB-Pokal-Finale zwischen Borussia Dortmund und Bayern München gab Befürwortern nun ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit. In diese Kerbe schlägt auch Autor Jim Daniel Laage, der sich im Sinne der Gerechtigkeit für eine Einführung ausspricht. Philipp Rentsch hält dagegen und meint, das Projekt sei für kleine Vereine nicht finanzierbar und fördere nur den Technisierungswahn im Fußball. Daran scheiden sich die (Fußball-)Geister: Soll die Torlinientechnik auch in Deutschland eingeführt werden?

Ja!

Es ist die 61. Spielminute. Nuri Sahin flankt einen Freistoß von links in den Fünfmeterraum. Der reingelaufene Lewandowski legt per Kopf quer auf Hummels, dieser drückt den Ball über die Linie. Tor. Die Uhr an Florian Meyers Handgelenk blinkt – das Tor zählt, Dortmund jubelt und gewinnt den DFB-Pokal mit 1:0.

So oder so ähnlich hätte es ausgehen können, wenn beim DFB-Pokalfinale Torlinientechnik im Einsatz gewesen wäre. Doch Meyer und seine Assistenten haben den Ball nicht in vollem Umfang über der Linie gesehen. Wie auch? Es ging um Zentimeter, Millisekunden, es musste sofort entschieden werden. Da kann kein Mensch immer richtig liegen – Technik schon. Warum sollte der Referee dann nicht auf diese zurückgreifen dürfen? 

Keine schlechte Stimmung durch richtige Entscheidungen

Wer glaubt, dass dadurch eine Zweiklassengesellschaft im Fußball entstünde, weil in der Regionalliga das Glück und in der Bundesliga Technik entscheidet, der sollte seine romantisch verklärte Brille absetzten und einen nüchternen Blick auf das Geschäft Fußball werfen. Amateur- und Profi-Ligen sind auch ohne Torlinientechnik nicht vergleichbar. Den großen Vereinen stehen ganz andere finanzielle Mittel zur Verfügung. Und Geld bedeutet Einfluss. 

Auch auf die Stimmung werden sich richtige Torentscheidungen nicht negativ auswirken. Warum sollte irgendjemand über ein Tor weniger jubeln, weil es eine knappe, aber richtige Entscheidung war? Es wird sogar bei Fehlentscheidungen gejubelt. Nur bleibt dann immer ein schlechter Beigeschmack.

Der Fußball würde gerechter

Die Einführung der Torlinientechnik sollte nicht am Finanziellen scheitern. Wenn man sieht, mit was für Summen in der Bundesliga hantiert wird, dürften einmalige 200.000 Euro für jeden Club erschwinglich sein. Und selbst wenn nicht, finden sich auch andere Finanzierungsmöglichkeiten.

Das Einzige, was sich wirklich durch die Torlinientechnik verändert, ist die Gerechtigkeit. Wenn eine Mannschaft ein Tor erzielt, soll es ihr auch anerkannt werden. Erzielt sie keins, sollte sie auch keins kriegen. Denn am Ende muss die bessere Mannschaft gewinnen. Und das ist die, die mehr Tore geschossen hat –nicht die, die mehr anerkannt bekommt.

Nein!

Bereits die ersten drei Spiele der WM in Brasilien hatten es in sich: Sechs Fehlentscheidungen sorgten für Verwirrung, Verwunderung und viel Aufregung. Nie ging es dabei um strittige Situationen, in denen die Frage aufkam, ob der Ball wirklich hinter der Torlinie war. Es zeigt: Wenn das Hauptargument für die Torlinientechnik lautet, ein Tor muss auch als solches anerkannt werden, müsste das Spiel komplett auseinandergenommen werden. 

Was ist mit den nicht gegebenen Treffern, die wegen vermeintlicher Abseitsposition aberkannt werden? Oder jene Tore, die fallen, weil der Schiedsrichter fälschlicherweise auf Freistoß, Eckball oder Elfmeter entschieden hat?

Finanzielle Belastung für kleinere Vereine

Die Szenen, in denen die Torlinientechnik helfen könnte, sind verschwindend gering. Bis auf das berühmte Wembley-Tor, das DFB-Pokal-Finale und das WM-Spiel der Franzosen gegen Honduras fällt vielen keine weitere Partie ein. Deshalb wäre es unverhältnismäßig, wenn selbst finanzschwache Zweitligavereine eine sechsstellige Summe investieren müssten, nur damit auch sie auf die Torlinientechnik „GoalControl“ zurückgreifen können. Noch größer ist das Problem im DFB-Pokal: Müssen hierfür auch teilnehmende Oberligisten in die neue Technik investieren? Wie sollen sie das stemmen? 

Der Fußball lebt von seinen Diskussionen

Apropos Unverhältnismäßigkeit: Die beiden Bundesligen erhalten die Hilfe, alle anderen nicht? Schiedsrichter wechseln die Ligen, Spieler auch. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht. Natürlich, jeder der Befürworter würde jetzt argumentieren, dass niemand möchte, dass eine Fehlentscheidung seinen Verein trifft. Aber auch hier gilt: Nichts hängt an einer Szene; keine Saison, kein Spiel – wenn es überhaupt einmal zu einer solch strittigen, zudem vom Schiedsrichter falsch beurteilten Situation kommt. 

So platt und altbekannt es klingen mag, aber: Der Fußball lebt eben auch von seinen Diskussionen. Es fehlt schlichtweg die Verhältnismäßigkeit, wieso Technik bei einigen wenigen Situationen helfen soll, bei vielen anderen aber nicht. Und wer jetzt die Torlinientechnik einführt, diskutiert bald zwangsläufig über das nächste Hilfsmittel – diesen Technisierungswahn im Fußball will aber niemand.

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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann 

Teaserfoto: Philipp Rentsch

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