Dem Fühlen auf der Spur

Hart oder weich, rau oder glatt, klebrig oder rutschig – mit dem Tastsinn erfühlen wir unsere Umgebung, berühren Dinge, streichen über ihre Oberfläche und halten sie in der Hand. Doch wann empfinden wir ein Material als angenehm, wann als unangenehm? In Oberhausen geht man dem Tastsinn auf den Grund. Denn unsere anderen Sinne sind weitestgehend erforscht – die Haptik ist es nicht. Wie das Sehen und das Riechen unser Verhalten beeinflusst, wissen wir. Wie ist es aber mit dem Fühlen?

Sabrina Schreiner an ihrem Haptik-Versuchsstand. Foto und Teaserbild: Lisa Weitemeier

Sabrina Schreiner an ihrem Haptik-Versuchsstand. Fotos und Teaserbild: Lisa Weitemeier

Situation Autokauf. Toll sieht er aus, der schmucke Flitzer in schwarz. Der Kraftstoffverbrauch stimmt, und der Preis sogar auch. Aber irgendwie fühlt sich das Polster komisch an, und das Lenkrad ist zu hart. Lieber noch einmal weiterschauen.
„Unser Tastsinn beeinflusst unsere Kaufentscheidungen maßgeblich, aber unbewusster als Optik und Akustik“, erklärt Sabrina Schreiner vom Fraunhofer-Institut.

So werden nicht nur Dinge, die man auch später im Gebrauch berührt einem ausgiebigen Tast-Test unterzogen, sondern einfach alles: Man streicht über das Armaturenbrett und die Türinnenverkleidung, man betastet den Dachhimmel. Danach berührt man diese Dinge vielleicht nie wieder – sie entscheiden aber über kaufen oder nicht kaufen.

„Wir vertrauen unserem Tastsinn sehr stark“, so die 27-jährige Industrie-Designerin, die den Bereich Haptik am Umsicht-Institut aufgebaut hat. „Das Auge kann getäuscht werden, etwa durch geschönte Werbung – der Tastsinn nicht. Berührt man ein Material, weiß man: Ist das jetzt Metall oder lackierter Kunststoff?“ Das wissen auch Handy-Hersteller – extra Gewichte in den Handys sollen dafür sorgen, dass sie sich hochwertiger und angenehmer anfühlen.

Schwitzige Hände und künstliche Finger

Mit Wärmebildkamera und 3D-Kraftmessplatte macht die Forscherin Fühl-Experimente. Foto: Lisa Weitemeier

Mit Wärmebildkamera und 3D-Kraftmessplatte macht die Forscherin Fühl-Experimente.

So hat Sabrina Schreiner gemeinsam mit Kollegen einen Haptik-Versuchstand entwickelt, an dem man unseren Tastsinn systematisch erforscht. Hier streichen Testpersonen über unterschiedliche Oberflächen und bewerten, wie sich das Material anfühlt. Ist es eher glatt, klebrig, rutschig oder vielleicht samtig? Währenddessen erfassen Messgeräte wie eine Wärmebildkamera, eine 3D-Kraftmessplatte oder ein Geschwindigkeitsmesser mehrere objektive Kenndaten. Wie fest drückt die Testperson, wenn sie über die Oberfläche streicht? Wie feucht sind die Finger? Wie elastisch ist die Haut?  So soll untersucht werden, wie die Beschaffenheit der Oberfläche mit deren Wahrnehmung durch den Menschen zusammenhängt.

Ziel ist es, Kunststoff-Oberflächen künftig so zu gestalten, dass sie sich einerseits gut anfühlen, ihre haptischen Eigenschaften aber auch optimal für ihre jeweilige Anwendung geeignet sind. Etwa um Werkzeuge sicherer zumachen – sodass sie auch noch dann gut in der Hand liegen, wenn sich nach längerem Benutzen Wärme entwickelt und die Hände anfangen zu schwitzen.

Hart oder weich, rau oder glatt, klebrig oder rutschig? Testplatten des Haptik-Versuchstands.

Hart oder weich, rau oder glatt, klebrig oder rutschig? Testplatten des Haptik-Versuchstands.

Oder um zu erreichen, dass einem die Shampoo-Flasche auch mit nassen, glitschigen Fingern nicht aus der Hand rutscht. Die Beschaffenheit der Haut ist hier wichtig, verändert sich doch die Griffigkeit, je nachdem ob die Hände schwitzig, trocken oder etwa von Hornhaut bedeckt sind.

Für die Versuche haben die Wissenschaftler sogar einen künstlichen Finger entwickelt. An die Messdaten der Testpersonen kommt der zwar bisher nicht annähernd heran, täuschend echt sieht er trotzdem aus. Leicht verstörend ist so auch der Anblick der abgeschnittenen Probe-Finger, die in einer kleinen Kiste neben dem Versuchstand lagern.

Sind Frauen sensibler als Männer?

Fühlen ist ja aber auch immer eine Sache des Geschmacks. Da kann man übrigens Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen, berichtet Schreiner. So beschreiben viele Frauen Soft-Touch-Oberflächen wie etwa bei Regenschirm-Griffen als angenehm samtig und weich, Männer empfinden sie eher als klebrig.

Eine interessante Frage: Sind Frauen wirklich sensibler als Männer? „Prinzipiell stimmt das“, so Schreiner. „Aber es gibt auch sehr sensitive Männer.“ Alles eine Sache der Übung. Denn als die Mitarbeiter des Instituts verschiedene Schleifpapiere nach aufsteigender Körnung sortieren sollten, waren die Männer aus der Werkstatt ruck-zuck fertig. Die Kollegen aber, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, hätten durchaus Probleme mit der Unterscheidung gehabt. „Je mehr Fokus man auf die Hände legt, desto besser kann man fühlen“, sagt Schreiner. Das heißt: Haptik kann man lernen. Genau wie man die anderen Sinne schulen kann, ist das auch beim Befühlen von Oberflächen möglich.

Ein kleiner Ausblick in die Zukunft: Da noch niemand das Thema Haptik systematisch untersucht hat, gibt es hier keinen genormten Rahmen. Gibt man einem Designer die Anweisung: „Hier darf’s ruhig ein bisschen glatter sein“, fragt der sich: „Ja wie glatt denn genau?“, erzählt Schreiner. So ist es ein langfristiges Ziel, auch die Haptik objektiv messbar zu machen. „Statt normierter Farben wie RAL-2000 gibt es dann vielleicht Glatt-2000.“

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