Adresshandel: 1,64 Euro für eine Anschrift

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Unerfreuliche Rechnungen, ab und an mal eine Postkarte von Freunden mit zu viel Freizeit –  abgesehen davon ist der Briefkasten längst zu einer Ansammlungsstätte von Werbung verkommen. Modekataloge, Auto-Reklamen und Angebote für Kabelfernsehen tummeln sich dort neben Rabattkärtchen für den Dönermann an der Ecke. Wer denkt, der „Bitte keine Werbung“-Aufkleber würde daran noch was ändern, täuscht sich. Wer glaubt, der Postbote würde die ganzen Flyer nach dem Zufallsprinzip durch die Briefschlitze stopfen, leider auch.

Ähnlich wie bei der maßgeschneiderten Internetwerbung auf Facebook und Google landet Werbung oft nicht zufällig in unseren Postkästen. Für ein paar Cent stehen Adressen sowie Zusatzmerkmale zur Wohnsituation, Kaufkraft und Interessen der Anwohner für Jedermann zum Verkauf. Bei sogenannten Adresshändlern können Werbeagenturen und Wirtschaftsunternehmen gegen geringen Aufschlag sogar die passende Telefonnummer erstehen, und das scheinbar völlig legal.

Privatadressen zum Direktdownload

In Deutschland gibt es gleich meherere dieser Adresshändler, einer davon ist die Firma Schober Direct Media mit Sitz in Ditzingen bei Stuttgart. Online wirbt sie damit, deutsche Adressen mit jeweils über 300 Zusatzmerkmalen von mehr als 30 Millionen Privatpersonen in ihrer Datenbank zu haben. Schober – „the future of targeting“ – bietet diese Daten zum Verkauf, Mindestbestellmenge: 50 Adressen. Mit einem Klick auf das Einkaufstüten-Symbol kann aus verschiedenen Alters- und Interessengruppen ausgewählt werden, außerdem die gewünschte Region, die individuelle Kaufkraft oder die Wohnsituation der Zielgruppe. Mit einem weiteren Klick lassen sich die 30 Millionen Adressen nach den Angaben filtern und in den Warenkorb legen. Für Dortmunds 18-30 Jährige findet Schober 2.320 Privatadressen, erhältlich als Direktdownload für insgesamt 1.415,20 Euro. Mit Mengenrabatt sind das 61 Cent pro Anschrift, bei der Mindestbestellmenge kommt man auf einen Einzeladresspreis von 1,64 Euro.

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Adressen kaufen im Online-Shop: mit einem Gastzugang können ganz einfach Anschriften gekauft werden. Screenshot: shop.schober.com

Schober kombiniert nach eigenen Angaben Adress- und Kaufdaten der Otto Group mit mehr als 19 Millionen Gebäudedaten, die aus eigenen deutschlandweiten „Einzelhausbewertungen“ stammen. Der Zustand einer Fassade und die vor der Tür geparkte Automarke dienen als Indiaktoren dafür, welche Kaufkraft sich hinter einer Adresse versteckt. Dadurch wird bestimmt, in welchen Zielgruppen sie landet.

Wer hauptsächlich Sportkleidung aus dem Otto-Katalog bestellt, könnte also schon bald das aktuelle Sonderangebot eines Fitnessgeräteherstellers in seinem Briefkasten finden. Das alles sei datenschutzkonform, heißt es dazu auf der Internetseite von Schober Direct Media. Wer in ihrer Datenbank ist, habe irgendwann in die Nutzung seiner Adresse für Werbezwecke eingewilligt. Außerdem greifen Adresshändler auf das Listenprivileg zurück, eine Ausnahmeregelung im Bundesdatenschutzgesetz. Demnach können personenbezogene und listenmäßig zusammengefasste Daten auch ohne die Einwilligung der Betroffenen verarbeitet, genutzt und weitergegeben werden.

Was sind Listendaten?
Zu Listendaten gehören neben dem Namen und der Adresse auch viele weitere Merkmale, die eine Person als einer Gruppe zugehörig kennzeichnen, beispielsweise Golfspieler oder Kaffeetrinker. Die Daten können Werbefirmen an verschiedenen Anlaufstellen kaufen oder mieten. Gehört man beispielsweise einem Hundebesitzerverband an, kann der eigene Verein die Mitgliederdaten an einen Adresshändler vermieten, der sie wiederum an Werbefirmen und Wirtschaftsunternehmen weitergeben kann. Am Ende landet dann jede Menge Werbung im Briefkasten, die Hundebesitzer zur Zielgruppe hat.

Obwohl das Bundeskabinett schon 2008 die Abschaffung des Listenprivilegs anstrebte, scheiterte die Gesetzesänderung an Einwänden aus der Wirtschaft. Solange die Ausnahmeregelung in Kraft ist, könne der Handel mit Adressen völlig legal betrieben werden, heißt es in einer Broschüre der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW (LDI). „Weil die schriftliche Einwilligung in die Weitergabe der Daten sehr begrenzt ist, bietet diese nur eine kleine Grundlage für den Adressenhandel. Der legale Verkauf von Anschriften zu Werbezwecken findet fast ausschließlich um das Listenprivileg herum statt“, erklärt Nils Schröder, Pressesprecher der LDI. Datenschützer kritisieren die Legitimierung dieser Geschäfte durch das Gesetz. Der Adresshändler Schober Medien Direct wollte dazu telefonisch nicht Stellung nehmen. Die Datenschutzbeauftragten der Firma schrieben lediglich per E-Mail: „Auskünfte bzgl. Daten erteilen wir grundsätzlich NUR auf dem Postweg.“

Ungewünschte Werbung stoppen
Wer die Weitergabe seiner Adressdaten an Werbefirmen und Versandhäuser verhindern will, kann sich kostenlos auf die sogenannte Robinsonliste setzen lassen. Für fünf Jahre ist man die lästige Briefwerbung dann zumindest teilweise los, denn die Liste wird Adresshändlern zum Abgleich mit ihrer Datenbank zugänglich gemacht. Für Werbeanrufe und Mails gibt es außerdem eine zweite Liste, auf die man zeitlich unbegrenzt aufgenommen werden kann. Um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, legen die Adresshändler die betroffenen Profile dann auf Eis. Die Robinsonlisten sind ein gemeinsames Angebot von Verbraucherschützern und Interessenvertretern der Werbewirtschaft. Sie sollen die Verbraucher vor ungewünschter Werbung und die Adresshändler vor gerichtlichen Auseinandersetzungen bewahren.

Beitragsbild: flickr.com/carlomueller

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