„Weil ihr Journalisten alle Schlaumeier seid!“

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Sprengstoffspürhunde in der VIP-Lounge des Signal Iduna Parks, Taschendurchsuchungen, Ausweiskontrollen – und alles nur für einen Mann: Sigmar Gabriel. Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler war zu Gast bei „On the record“ und stellte sich – nicht ganz widerstandslos – Fragen über Flüchtlingspolitik, den VW-Konzern und das schwierige Verhältnis zwischen Ökonomie und Öffentlichkeit.

Von Julian Rohr und Till Dörken

Solch eine angespannte Stille gibt es in der VIP-Lounge des Signal Iduna Parks normalerweise nur, wenn der BVB kurz vor einem Elfmeter steht. Bei der Konferenz „On the record“ war es nun genau so: Rund 280 Gäste warteten auf die Ankunft des „Headliners“ der Konferenz: Sigmar Gabriel. „On the record“ – das ist eine Plattform, bei der sich Eliten der Wirtschaft, Politik und des Journalismus über aktuelle, tagespolitische Themen und Fragestellungen austauschen können. Die Konferenz wurde vor einem Jahr vom Lehrstuhl Wirtschaftspolitischer Journalismus unter Professor Henrik Müller ins Leben gerufen. Jetzt gaben sich die Spitzen aus Wirtschaft und Politik zum zweiten Mal die Klinke in die Hand – darunter auch der derzeitige Vizekanzler und Wirtschaftsminister.

Die Befragung Gabriels war selbstverständlich Chefsache – daher übernahm Gastgeber Henrik Müller die Moderation des Gesprächs. Die Einstiegsfrage war gleich eine politische: Müller konfrontierte Gabriel mit der derzeitigen Uneinigkeit innerhalb der großen Koaltion. Hier blockte der SPD-Politiker jedoch sehr schnell ab: Er sei der völlig falsche Mann für das Thema und könne gar nichts dazu sagen. Dies schien aber zumindest nicht komplett zu stimmen, denn zu einzelnen Aussagen zur Situation der Regierung ließ er sich dann doch hinreißen: „Die Menschen erwarten, dass wir als Regierung gemeinschaftlich handeln. Das ist in einer Koalition nicht immer leicht.“ Eine streitende Regierung laufe Gefahr, Unsicherheit im Land und in der gesamten Bevölkerung zu schüren.

Auch auf einer Wirtschaftskonferenz konnte der Minister einige Fragen zur aktuellen Flüchtlingssituation nicht umgehen. Man merke ganz klar, dass „die dunkle Seite der Globalisierung an unsere Tür klopft“, so der Minister. Als Moderator Müller ihn fragte, warum Deutschland denn nicht auf eine derartige Situation vorbereitet gewesen sei, entgegnete Gabriel: „Weil ihr Journalisten alle Schlaumeier seid!“ Er kenne nur sehr wenige, die ernsthaft von sich behaupten würden, eine derartige Situation vorhergesehen zu haben.

Der Vizekanzler betonte den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015 im Vergleich zu den Vorjahren. Die derzeitige Situation sei chaotisch, Deutschland momentan einfach überfordert. Es sei „das Land das alles regelt, nur das Chaos nicht“. Allerdings gebe es auch Gründe, positiv in die Zukunft zu sehen, so Gabriel: „Europa ist in einem erbärmlichen Zustand. Aber Europa ist in Krisen immer gewachsen.“ Er fügte jedoch hinzu: „Dies ist keine Situation, die man im Vorbeigehen löst. Wir haben eine Zehn-Jahres-Aufgabe vor uns – wenn nicht mehr!“ Die Situation sei aber auch eine Chance, das „Verhältnis zu den Muslimen zu entgiften“, so der Minister. Man müsse damit beginnen, in den arabischen Gebiete mehr zu sehen als nur ein großes Gas- und Ölfeld.

Auf die Flüchtlingsdiskussion folgte ein kurzer Block zur VW-Krise. „VW hat zwar seine Schwierigkeiten, aber auch ein großes Potential und ist wichtig für Deutschland“, sagte Gabriel. Allerdings sei klar, dass die Strukturen im Unternehmen geändert werden müssten. „VW muss sich komplett neu aufstellen. Die Unternehmenskultur muss sich ändern.“

Abschließend äußerte der Minister den Wunsch, dass Medien und Politik ihr „zynisches Verhältnis überdenken“. Es sei demokratiegefährdend, wenn die Presse den Politikern unterstelle, nicht am Gemeinwohl interessiert zu sein. Er forderte sowohl Medien als auch die Politik auf, sich gegenüber mehr Verständnis entgegenzubringen.

Finanzbranche unter Feuer

Nicht nur die Politik steht immer wieder im Kreuzfeuer der Medien, auch die Finanzbranche – allen voran die Deutsche Bank: In der jüngsten Vergangenheit ist das Unternehmen immer wieder unangenehm mit Skandalen aufgefallen. Darunter die Verstrickung der Bank in der Affäre der Goldpreis-Manipulation Anfang des Jahres, der LIBOR-Skandal 2011, bei dem die Deutsche Bank maßgeblich an der Manipulation des Referenzzinssatzes LIBOR beteiligt gewesen ist sowie rund 6000 laufende Strafverfahren.

Um etwas Licht in dieses negative Bild der Banken zu bringen, war Marcus Schenck, Finanzvorstand der Deutschen Bank, ebenfalls zu Gast bei „On the record“. Gleich zu Beginn konfrontierte Müller ihn mit dem radikalen Umbau innerhalb des Unternehmens: So wolle die Bank Medienberichten zufolge in den kommenden Jahren die Stellen von 98.000 auf 75.000 Mitarbeiter reduzieren. Die Umstrukturierungsmaßnahme ist nur eine von vielen, welche die Deutsche Bank im Zuge ihrer „Strategie 2020“ verfolgt. Schenck räumte schon vor Beginn der Diskussion ein, dass es kein Geheimnis sei, dass die Bank durch eine schwierige Phase ginge.

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Marcus Schenck, Finanzvorstand der Deutschen Bank (l.), im Gespräch mit Uni-Professor Henrik Müller.

Die Aufgaben, vor denen der Finanzvorstand nun stehe, verglich Müller damit, Wasser den Berg hochschieben zu wollen, da die Probleme – vergleichbar zu Sisyphos – nicht greifbar seien. „Worin liegt dann eigentlich noch der Reiz, in der aktuellen Situation solch einen Posten zu übernehmen?“, so Müller. Es sei für ihn eine Chance an Geschäftsprozessen mitzuwirken, entgegenete Schenck. Er möchte aktiv in „einer wichtigen Institution“ mitgestalten. Wichtig sei ihm auch die Kundennähe, die er schon in seiner Zeit bei Goldman Sachs sehr zu schätzen gelernt habe.

Vertrauen schaffen – das ist auch bitter nötig: Denn die Branche ist in einer Vertrauenskrise. Laut Müller habe die Finanzbranche bereits das Image als „Reich des Bösen“ – Abzocker, die nur darauf bedacht seien, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Schenck widersprach Müller. Die Mitarbeiter würden auch weiterhin mit Stolz in die Bank gehen, auch wenn es einiges zu verbessern gebe. Es würde eben seine Zeit brauchen, um die Reputation der Bank wieder aufzubauen.

 

Auf die Frage, ob das Banking in Zeiten der Finanzkrise überhaupt noch gebraucht werde, entgegnete Schenck: „Solange es noch eine Geldwirtschaft gibt, brauchen wir auch weiterhin ein Bandensystem. Ich will gar nicht abstreiten oder klein reden, dass wir für viele Rechtstreitigkeiten der vergangenen Jahre hohe Kosten zu tragen haben. Aber: Nicht alles im Haus ist schlecht!“ Die Deutsche Bank sei schließlich nach wie vor eines der stärksten Häuser auf dem Kapitalmarkt. Der Weg zurück zu einer „normalen“ Bank sei aber noch nicht geschafft. Und wie soll diese „normale“ Bank aussehen? „Keine Milliardenkosten für Rechtstreitigkeiten, Abbau der Rückstellungen für die Restrukturierung – das alles sind die Spätfolgen der Fehler, die man in der Vergangenheit gemacht hat.“

Wichtig für die Finanzbranche sind nach Meinung des Finanzvorstandes zukünftig vor allem finanzielle Sicherheiten. So wolle man bei der Deutschen Bank in den kommenden Jahren die Eigenkapitalbasis deutlich erhöhen. Ein Restrisiko bliebe jedoch immer.

 

Welche mediale Aufmerksamkeit „On the record“ erhielt, zeigten die Trending Topics vom Freitag. So war #otr15 zwischenzeitlich auf Platz 4 der deutschlandweiten Trends auf Twitter und auf Platz 1 der politischen Top-Themen in Deutschland.

 

Bilder: Valentin Dornis

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