Hilfe! Dr. Google sagt, ich habe einen Tumor!

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Der Hals kratzt, es drückt leicht und das Schlucken fällt schwer. Alarmstufe rot!
Irgendetwas stimmt nicht, das steht fest. Weil gerade kein Arzt in der Nähe ist, wende ich mich vertrauensvoll an Dr. Google und suche nach „Schmerz“, „Hals“ und „Schlucken“. Ich klicke das erste Ergebnis an: NetDoktor.de? Hört sich vielversprechend an. Ich überfliege die Seite. Viele Worte springen mir ins Auge. Nach kurzer Zeit ist klar: Ja, ich habe einen Kehlkopftumor!

Aber zum Glück bin ich nicht allein. So wie mir geht es vielen Menschen. Laut Apotheken-Umschau  glaubten im vergangenen Jahr rund 800.000 Menschen, dass sie eine schlimme Krankheit haben, obwohl sie bester Gesundheit waren. Sie sind mehr oder weniger Hypochonder*innen. Der Begriff steht entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht für Menschen, die eine Krankheit vorgaukeln. Hypochondrie bedeutet Krankheitsangst. Jedes kleine Signal des Körpers wird erkannt und meist falsch interpretiert.

Auch ich zähle zu den Menschen, die auf jedes kleine Kratzen und Stechen reagieren. Ich habe schon viele Krankheiten gehabt. Das habe ich zumindest geglaubt. Zählt man sie alle zusammen, würde ich heute Probleme mit Herz, Lunge, Schilddrüse, Halsschlagader und Gehirn haben. Stattdessen sagen mir alle Ärzt*innen, dass ich kerngesund sei.

Diagnose: Cyberchonder

Um meine spontane Selbstdiagnose zu bestätigen, kann ich jedes Mal auf das Internet setzen. Schnell ein Symptom gegoogelt und schon ist die Krankheit ausgemacht, meistens tödlich. So wie mich verschlägt es viele ins Netz, wenn es um die Gesundheit geht. Sie und ich sind Cyberchonder*innen. 

Die meistgesuchten Krankheiten im Internet | Quelle: central.de

Die meistgesuchten Krankheiten im Internet 2013-2014 | Quelle: Central Krankenversicherung

Von uns profitieren nicht nur Seiten wie „NetDoktor.de“, sondern auch Größen wie Google. Der Internetkonzern will seine medizinischen Kompetenzen noch weiter ausbauen. Wer nach einem Symptom sucht, kann mögliche Krankheiten in Zukunft in einer Leiste am Kopf der Seite sehen. „Dr. Google“ wird das Vorhaben spaßeshalber genannt.

Nicht gut für mich und alle anderen Cyberchonder*innen. Schon jetzt führt das Krankheiten-Googlen nur dazu, dass ich mich zu sehr reinsteigere. Unsinnigerweise. Je stärker die Symptome und je überzeugende die Suchergebnisse, desto größer die Panik.

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Ergebnisse bei der Suche nach Schmerzen in der Brust | Screenshot: Netdoktor.de

Vor gut einem Jahr spürte ich ein leichtes Ziehen in der Nähe des Herzens. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, Herzrhythmusstörungen zu haben. Ich lag auf dem Bett und malte mir jede noch so schlimme Diagnose aus: Herzinfarkt, Herzkranzgefäße verkalkt und so weiter. Dann kam der Blick ins Internet, der meine schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Als die Panik größer wurde, fuhr ich in die Notaufnahme. Ich rechnete eigentlich schon damit, in einem Krankenbett in den OP zu fahren. Dann aber die Diagnose: Mandelentzündung. Auch akut, aber weniger tödlich. Erleichterung und Enttäuschung zugleich. Ich hatte eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass es kein Herzinfarkt ist.

Eine solche Geschichte kann nicht nur ich erzählen. Jedes Jahr sind die Notaufnahmen voll mit Menschen, die denken ernsthaft krank zu sein. Die „Welt“ berichtete letztes Jahr, dass mehr als die Hälfte der Patient*innen in den Notaufnahmen gar keine Notfälle seien. Oft ist zu lesen, dass Hypochonder*innen die Krankenhäuser verstopfen würden.

Die  Ärzt*innen sind genervt

Ein weiteres Problem für mich als Cyberchonder ist, dass ich das Vertrauen in die Ärzt*innen verliere. Ich vertraue dem Internet mehr, als ausgebildeten Fachleuten. Und das kann für die ganz schön anstrengend sein. Vor einigen Monaten hatte ich mal wieder ein Ziehen im Hals und ging zu meiner Hausärztin. Sie konnte nichts finden, dennoch ließ sie sich zu einem Ultraschall der Schilddrüse überreden. Aber auch da kein Ergebnis: „Sie haben ein schönes festes Gewebe“, erklärte sie mir. Doch die Schmerzen wollten nicht verschwinden. Und so saß ich ein paar Wochen später wieder bei ihr. Als ich ihr dieselbe Geschichte nochmal erzählte, reagiert sie sehr gereizt und wollte nichts weiter für mich tun.

Wie das Internet mir einen Tumor anhängt

Ich gebe bei Google die drei Begriffe „Schmerz“, „Hals“ und „Schlucken“ ein. Das oberste Ergebnis ist die Seite „NetDoktor.de“. Der Link lautet: „Halsschmerzen – Ursachen und mögliche Erkrankungen“. Zunächst erklärt die Seite, wie Halsschmerzen entstehen. Dann folgen die Ursachen und möglichen Erkrankungen, die für eine*n Cyberchonder*in entscheidend sind. Von Grippe, über Mandelentzündung bis Schilddrüsenentzündung sind alle Krankheiten dabei. Doch neben diesen eher harmlosen Erkrankungen steht am Ende: „Rachen-, Speiseröhren-, Tonsillen-, Kehlkopf- oder Zungentumore“. Und die Panik geht los…

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Screenshot: Netdoktor.de

Viele Mediziner*innen würden sicher so reagieren, wie meine Ärztin. Sie sind schlicht genervt von den Hypochonder*innen, besonders von denen, die sich lieber im Internet informieren. Fast ein Viertel der  Ärzt*innen rät seinen Patient*innen nicht nach Krankheiten zu suchen. Das ergab eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung und Barmer GEK. 45 Prozent der Mediziner*innen glauben, dass das Googeln von Symptomen zu falschen Erwartungen führe.

Wieder Vertrauen aufbauen

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Schock für Cyberchonder: Beinschmerzen bedeuten Herzinfarkt | Screenshot: heilpraxis.net

Für mich ist das verständlich. Ich als Cyberchonder lege vorher fest, was ich habe und erwarte von Arzt oder Ärztin nur noch, dass er oder sie die Behandlung beginnt. Aber vielleicht müssen auch die Ärzt*innen einfach sensibler mit ihren cyberchondrischen Patient*innen umgehen. Das wäre sicher ein Anfang. Wenn ein Arzt oder eine Ärztin merkt, dass ein*e Patient*in Angst vor Krankheiten hat, sollte er oder sie darüber reden. Ich habe einen Arzt gefunden, der das macht.

In meinem ersten Gespräch mit ihm erzählte ich von all meinen Sorgen, in Bezug auf meine Gesundheit. Er merkte schnell, dass ich zu den Menschen zähle, die schnell Panik schieben. Also sprach er mit mir darüber. Er frage mich, ob ich Sport mache und gab mir Tipps, wie ich dabei den Kopf frei bekomme. Gemeinsam haben wir dann eine Lösung gefunden.

Nur so konnte ich wieder Vertrauen zu den Ärzt*innen aufbauen. Mittlerweile zwinge ich mich dazu, nicht immer sofort im Internet nachzuschauen. Ich warte ab und wenn es schlimmer wird, gehe ich zum Arzt. Es geht zwar noch nicht ganz ohne Internet, aber ich lasse mich davon nicht mehr panisch machen. Hoffentlich!

Beitragsbild: Flickr/wr52351

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