Philippinisch – Deutsch, Deutsch – Philippinisch

Chell Gadinger scheint jeden einzelnen Fleck ihrer Unterkunft zu lieben - selbst die Blumenbüsche.

Zwei Orte, 11.000 Kilometer entfernt und beide Zuhause für Familie Gadinger. Auf den ersten Blick dürfte die Wahl zwischen Bretten in der Nähe von Karlsruhe und weißem Sandstrand-Paradies auf den Philippinen nicht schwer fallen. Geht es jedoch um Bildung und Chancen, entscheidet eine Mutter sogar, getrennt von ihrer Tochter zu leben: für deren Zukunft. Kultur-Hopping und der ständige Vergleich von Inselstaat und Bürokratie lassen die Familie das Zusammenleben neu erfinden – mit Erfolg.

„Komm ‚rein, komm ‚rein! Herzlich Willkommen in Chelles Guesthouse. Ihr seid die deutsche Mädels, right?“ Eine kleine, aber forsche und selbstbewusste Frau öffnet das Metalltor zu ihrem Reich und bombardiert ihre Gäste sofort mit Fragen: Wo kommst du her, wie lange willst du bleiben, was willst du noch sehen? In die Antworten ihres Gegenübers hakt sie selbst sofort ein – mit Erzählungen über eigenes Leben: Wie super sie es findet, immer neue Leute kennenzulernen, wie sie zu ihrem Guesthouse gekommen ist und dass die eigene Mangoernte leider schon wieder vorbei ist. Die Philippinerin mit dem Dauerlächeln im Gesicht brabbelt offen drauf los, auch wenn die Schultern ihrer Zuhörer gerade einfach das Backpack loswerden wollen.

Sonnenuntergang hinter einer Kokospalme

Arbeitsplatz und Urlaubsort – Chelles Guesthouse hat den Traumstrand vor der Tür.

Chell Gadinger betreibt ihre eigene Unterkunft in San Juan auf Siquijor, einer der kleinsten Inseln der Philippinen; sie pflegt und präsentiert ihr Reich mit Hingabe. Backpacker mit Gespür für Geheimtipps schlafen zwischen Mangobäumen in Bambushütten zusammen mit Mitbewohner*innen – den Mitreisenden, Mücken und bunten Geckos. In 200 Metern Entfernung: weißer Sandstrand, Kokospalmen und türkises Wasser. Zum Frühstück serviert Chell auf Wunsch Eier in allen Variationen, Pancakes und frisches Obst. Sie weiß, ein besonderes Highlight ist ihr Kamillentee: „Den bring‘ ich immer aus Deutschland, genau wie Essigreiniger – sowas gibt’s hier nicht.“

Knapp 11.000 Kilometer trennen Chell von ihrer Familie im kalten Deutschland. Die Hälfte des Jahres heißt ihr Zuhause San Juan, in der Nebensaison dann Bretten nähe Karlsruhe. Die Liebe brachte der 48-Jährigen diesen Lebensentwurf, mit dem sie trotz der Entfernung zu ihrer Tochter und ihrem Mann gut leben kann.

Chance Deutschland

Mutter und Tochte: Chell und Janine Gadinger

Mutter und Tochter sind ein Herz und eine Seele, trotz der großen Entfernung.

Vor 25 Jahren trafen sich Chell, damals 23, und ihr Mann auf den Philippinen. „Über Tag arbeitete ich als Kellnerin, nachts ging ich zum College. Stammgäste stellten uns bei der Arbeit vor“, erinnert sie sich. Heute ist sie Geschäftsfrau und Mutter. Im Gespräch über ihre Tochter gerät sie noch mehr ins Schwärmen als ohnehin schon. Während sie ihre Handygalerie nach Familienfotos durchscrollt, betont sie immer wieder, wie wichtig ihr Janines Zukunft ist: Ihr will sie mit allen Kräften ein Leben mit besseren Chancen und Aussichten ermöglichen als sie es selbst im frühen Erwachsenenalter lebte. Genau das war auch der Grund, warum Janine in Deutschland aufgewachsen ist: eine gute Schulbildung und die Freiheit zu wählen.

Janine Gadinger hat die Aufgeschlossenheit ihrer Mutter geerbt und  erzählt gerne aus ihrem Teenager-Leben in Bretten – mit badischem Dialekt, wie sich das für den Kraichgau gehört. Die 16-Jährige will erst das Abitur machen, danach gibt’s für sie zwei Optionen: „Ich überlege eine Ausbildung zur Hotelfachfrau zu machen wegen der Häuser auf den Philippinen.“ Ansonsten käme noch eine wissenschaftliche Karriere in der Geologie an der Uni in Frage. Neben der Schule trifft sie sich mit Freunden, telefoniert viel und geht gern ins Fitnessstudio. Chells Plan für ihre Tochter geht auf: Janine nutzt sie, die jugendliche Freiheit, und führt ein geregeltes Leben mit guter Bildung ohne Nachtschichten am College – im Gegensatz zu ihrer Mutter damals auf den Philippinen.

Kulturschock im Schnee

Chell erinnert sich ganz genau daran wie sie ihren heutigen Mann bei der Arbeit kennengelernt hat: der Tag an dem sich die beiden verliebten. Nach dreijähriger Fernbeziehung heiratete das Paar in Deutschland. Ein Kulturschock für die Philippinerin. „Ich kam das erste Mal im Februar nach Deutschland. Es war so kalt, aber es war wunderschön für mich den ersten Schnee in meinem Leben zu sehen.“ Auf den Straßen vermisste sie die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Philippinen, niemand lächelte einfach mal so. Ein krasser Kontrast zu ihrem eigenen Gemüt.

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Fragt man sie heute nach den größten Unterschieden zwischen den beiden Ländern, fallen ihr noch die gleichen Dinge auf. Ganz oben auf der Liste steht die Esskultur: „Auf den Philippinen essen wir drei Mal am Tag Reis, das ist schon ein großer Unterschied“, gibt sie lachend zu bedenken. Auch die Sprache macht der Philippinerin noch Probleme. Obwohl sie in Deutschland direkt zur Volkshochschule ging, unterhält sie sich heute noch über längere Passagen lieber auf Englisch. In diesem Punkt scheint ihr Selbstbewusstsein nicht ganz so durchzubrechen wie sonst. Denn während sie ausgelassen über Germany’s next Topmodel und die hübschen deutschen Frauen schwärmt, sprudeln die deutschen Worte nur so aus ihrem Mund.

Zu jedem Thema weiß Chell etwas zu sagen: Sie ist entweder mit Herzblut für oder gegen eine Sache. Mit ebenso großem Ehrgeiz hat sich ihre eigene Existenz auf den Philippinen erarbeitet und gibt auch für das Fern-Familienleben alles. Als Janine noch klein war, machte Chell den halbjährlichen Wechselrhythmus mit ihr zusammen. Seit der Schulzeit bleibt die Tochter bei ihrem Vater in Bretten und Chell sieht sie seither nur die Hälfte des Jahres, ebenso wie ihren Mann. „Jeder wundert sich über diese Fernbeziehung, aber mit unserem starken Vertrauen, Zuversicht und dem Ziel unserer Tochter ein gutes Leben in Zukunft zu ermöglichen, schaffen wir das. Und ja, ich vermisse Janine natürlich sehr, aber wir telefonieren sehr viel.“

Urlaub und Arbeit im Paradies

Familie mit Kleinkind auf Roller

Mit Kleinkind zu dritt auf dem Roller unterwegs – auf den Philippinen Normalität.

Ausnahmen dazu sind die Urlaube: Der Brettener Familienteil nutzt die Philippinen verständlicherweise gern als Reiseziel. Im vergangenen Jahr durfte Janine die 20-stündige Reise erstmals alleine antreten. Aus der Kindheit hat sie noch Freunde vor Ort und fühlt sich auch auf Siquijor wie zu Hause. „Ich habe auch noch Freunde von früher dort. Wenn sie in der Schule sind, beschäftige ich mich mit den Hunden. Das macht mir echt Spaß.“ Man merkt ihr an, dass es für sie fast Normalität, aber nicht leicht ist, ihre Mutter solange nicht zu sehen. Nur kurz geht Janine in ihren Erzählungen darauf ein. Umso enthusiastischer erzählt sie von den Urlauben, von Familienausflügen auf dem Roller – dem standardmäßigen Fortbewegungsmittel auf den Philippinen – wohlgemerkt zu dritt auf einem Gefährt.

„Ich könnte mir auch gut vorstellen, später auf den Philippinen zu wohnen. Meine Eltern haben das zu zweit ohnehin vor, wenn ich volljährig bin.“ Als Hotelfachfrau Bambusbungalows im Paradies zu betreiben und seine Familie um sich zu haben: es gibt sicher schlechtere Zukunftsaussichten.

Bilder: Marleen Halbach / Chell Gadinger

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