„Wir haben so viele versteckte Helden“

Persönliche Geschichten zufällig ausgewählter Menschen zusammen mit schönen Portraits. Das Konzept der „Humans of New York“ hat jetzt auch die TU erreicht. Seit Ende Februar betreibt der 26-jährige Ali Raza die Facebook-Seite, die die Geschichten der Studierenden in Dortmund erzählt. Wir haben mit ihm über sein Projekt gesprochen.

Die „Humans of New York“ haben Facebook schon längst erobert. Mehr als 18 Millionen Follower hat die 2010 gestartete Seite, die zunächst nur die Geschichten der New Yorker erzählen sollte – mittlerweile fotografiert Gründer Brandon Stanton Menschen aus allerwelt. Dass dieses Erfolgskonzept was für die TU ist, dachte sich der 26-jährige Ali Raza, der ursprünglich aus Pakistan kommt. Seit Oktober 2015 studiert er in Dortmund den Master „Automation & Robotics“. Mit den “Humans of TU Dortmund“ ist er auf Facebook und Instagram vertreten.

Du betreibst die Seite “Humans of TU Dortmund”. Wie bist du dazu gekommen?

Die Idee kam mir, als ich allein und extrem traurig in meinem Zimmer war. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich Menschen in Not helfen kann. Ich denke, dass Menschen nicht nur bloß Menschen sind. Sie sind alle wandelnde Geschichten und vielleicht gibt es jemanden, der niemanden zum Reden hat. Ich spreche mit ihnen, sie teilen ihre Geschichte mit mir und sie fühlen sich besonders. Das macht mich glücklich. Lächeln zu verbreiten ist mein Motto. Dieser Gedanke liegt der Seite zugrunde. Ich möchte den Leuten zeigen, dass unglaubliche Menschen um uns herum sind, wir müssen nur “Hi” sagen. Man weiß schließlich nie, wohin einen dieses “Hi” führen kann.

Am 22. Februar 2017 ist die Facebook-Seite “Humans of TU Dortmund“ online gegangen.

Was magst du am dem Konzept der Seite “Humans of New York”?

“Humans of New York” ist der Pionier dieser Art von Arbeit. Wir verschwenden so viel Geschichte. Wenn jemand in zehn Jahren wissen will, wie das Leben heute in New York war, muss er nicht langweilige Geschichtsbücher lesen. Er muss nur die Geschichten dieser Leute lesen. Die Seite sichert so viel Geschichte und ruft die Leute dazu auf, sich umzusehen. Wir haben so viele versteckte Helden.

Das möchtest du also auch für die TU. Wie suchst du die Leute aus, die du auf dem Campus ansprichst?

Wenn ich mich umsehe, um die Leute zu finden, vertraue ich auf meinen Herzschlag und darauf, ob ich mich wohl fühle. Es ist also keine ausgefallene Kalkulation. Ich versuche Leute, die allein oder zu zweit sitzen, anzusprechen. Aus Gründen der Privatsphäre und des Komforts, denn das Kommunizieren mit einer oder zwei Personen ist einfach. In einer Gruppe ist es hingegen schwer, jedes Detail zu notieren. Und die Geschichten sind sehr persönlich. Ich merke, dass sich die Leute unwohl dabei fühlen, über persönliche Dinge in Gruppen zu sprechen.

Du sagst, dass die Geschichten oft sehr persönlich sind. Wie schaffst du es, dass dir die Leute diese persönlichen Geschichten trotzdem erzählen?

Ich versuche, nicht bedrohlich zu wirken, stattdessen lächle ich. Ich erscheine nicht nur interessiert an ihrem Leben, ich bin es tatsächlich. Ich versuche die Stellen ihres Lebens zu berühren, die tief mit der Zeit vergraben wurden und schätze ihre Narben und dunklen Seiten, von denen sie denken, dass sich keiner für interessiert. In dem Moment suche ich nicht nach einer heißen Story für meine Seite, sondern ich bin wirklich in ihrem Leben. Darin bin ich kein Profi. Es ist wirklich schwer für mich, Freunde zu finden und zu behalten. Ich habe sehr wenige Freunde.

Wie gehst du damit um, wenn die Leute nicht wollen?

Die Protagonistensuche ist auch schwer für mich, allerdings treffen mich Ablehnungen nicht so sehr. Ich bin einfach ein Fremder.

Eines von Alis Lieblingsmotiven auf dem Campus: die Spektral-Ringe.

Ende Februar ist deine Seite gestartet, dennoch hast du schon mehr als 2800 Follower. Wie hast du das geschafft?

Ich denke, das liegt an der Unterstützung durch die Studierenden. Sie mögen die Seite und geben mir grünes Licht weiterzumachen. Ich liebe es, neue und alte Wege des Marketings auszuprobieren. Darum habe ich alle Methoden genutzt, um das Maximum an Studierenden zu erreichen. Allerdings arbeite ich noch immer daran. Es ist noch ein weiter Weg.

Inwieweit unterscheidet sich deine Seite von den “Humans of New York”?

Meine Seite ist mehr auf die Leute der TU Dortmund fokussiert und wir sind nur 33 000 Studierende. Der Campus ist nicht so groß. Wenn die Leute also die Geschichte von jemandem an der TU lesen, hoffe ich, dass sie ein Gefühl der Verbundenheit verspüren. Es ist relativ wahrscheinlich, dass sie vielleicht die Person treffen, deren Geschichte sie gelesen haben. Das ist bei den “Humans of New York” unwahrscheinlicher. Außerdem möchte ich ein anderes Ziel mit der Seite erreichen.

Welches Ziel denn?

Die Seite ist der erste Schritt in Richtung meines Traums, eine autonome gemeinnützige Organisation an der TU zu etablieren. Wenn wir um den Globus schauen, sehen wir so viele Menschen, die leiden. Einer meiner Facebook-Freunde ist in Afrika, wo eine Dürre herrscht. Er hilft dort, indem er Wasser für die durstigen Menschen beschafft. Ich kann tausende Dinge nennen, an denen ich arbeiten will. Der nächste Schritt für “Humans of TU Dortmund” ist, eine starke Grundlage für die gemeinnützige Organisation zu sichern. Das Ziel der Seite ist es, fühlende Herzen zu versammeln, damit wir gemeinsam an diesen Sachen arbeiten können.

Wie genau möchtest du das umsetzen?

Wir sind ungefähr 33 000 Studierende an der TU. Wenn jeder von uns monatlich einen Euro spenden würde, hätte das einen großen Einfluss. Lass mich eines sagen: Ich werde den Begriff „Charity“ neu definieren. Charity bedeutet nicht nur Geld. Es kann deine Zeit, dein Talent oder sogar dein Lächeln oder deine Umarmung sein. Ich möchte Kampagnen organisieren, bei denen Menschen sich auf dem Campus treffen, um sich gegenseitig zu helfen. Diese Geschichten (und viele andere) möchte ich auf meiner Seite verbreiten.

Außerdem warte ich auf eine Person, die genauso fühlt wie ich, um ihr irgendwann die Kontrolle über das Projekt zu geben. Schließlich wird niemand für immer in Dortmund leben und studieren. Ich möchte einen weichen Übergang der Kontrolle von aktuellen zu noch kommenden Generationen von Studierenden. Die Organisation wird ein Geschenk an die TU und an Deutschland von einem pakistanischen Studenten sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bilder und Screenshot: Christina Teupen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert