Ein Leben abseits der Norm

1. Beitragsbild

Klaus der Geiger ist auf Konzerten, Demonstrationen und auf der Straße unterwegs. Wichtig für ihn: ein freies und unabhängiges Leben. Seine Lieder kritisieren das System und handeln von Themen, die die Gesellschaft bewegen. Dieser Lebensweise ist er immer treu geblieben. Die Geige hat ihn dabei begleitet.

Ein sonniger Frühlingstag. Eilende Menschen, hektisches Vorbeiziehen, eine überfüllte Straße  – die Schildergasse in der Kölner Fußgängerzone. Die Menschenmasse ist auf der Suche nach der neusten Mode, nach den angesagtesten Trends. Zwischen all dem Chaos ist lautstarker Gesang zu hören, der von einer Geige begleitet wird: „Ich bin kein Frosch im Brunnen, der nur ein Stück vom Himmel sieht. Und er denkt er hät’ die Welt gesehen, das schlägt mir auf’s Gemüt … Vielleicht kann man die Freiheit saufen, so wie Schnaps und Bier und Wein. Ich hab’ das oft schon ausprobiert, aber das kann es auch nicht sein.“

Diese Worte kommen aus dem Mund des bekanntesten Straßenmusikers Deutschlands: Klaus der Geiger, 76 Jahre alt. Seine Markenzeichen sind Latzhose, zerzauste Haare, langer, grauer Bart und die Violine. Was ein Leben in Freiheit bedeutet, darüber denken wohl die wenigsten der Fußgänger nach. Aber für ihn hat Freiheit eine große Bedeutung – er lebt ein Leben abseits der Norm. Freiheit ist für ihn ein Gefühl, ein Bedürfnis. „Ich lebe ein freies, unabhängiges Leben und habe mich bewusst dafür entschieden. Nur freies Leben bedeutet für mich erfüllendes Leben.“

2. Klaus der Geiger bei sich zu Hause

Klaus der Geiger bei sich zu Hause.

Seine Musik ist eine Mischung aus Jazz, Folk, Rock und Klassik. Er leitet das Orchester des Kölner Kunstsalons, gibt Kurse in Improvisation und spielt regelmäßig Konzerte. Als Kind bekommt er eine Geige geschenkt. Er beginnt 1960 mit seinem bürgerlichen Namen, Klaus von Wrochem, sein Violinstudium an der Musikhochschule in Köln.  Acht Jahre später wird er von der Schule geschmissen, bekommt ein Komponisten-Stipendium an Universitäten in San Diego und Buffalo. Er bleibt zwei Jahre in den USA und ist Teil der Hippiebewegung. Nach seiner Rückkehr, zieht er mit Frau und Kindern in eine Kommune in Köln. Klaus entscheidet sich für ein unabhängiges Leben. Er ist nicht an einer „bürgerlichen Karriere“ interessiert, will nicht auf den Staat angewiesen sein und nur für sich selbst verantwortlich sein. Klaus kämpft für die Freiheit – nicht für Geld und Erfolg.

Eine Berufung

Die Musik und seine Violine sind seine ständigen Begleiter. Er wird zu Klaus dem Geiger, das Geigespielen zu seinem Beruf. „Durch meine Musik werde ich akzeptiert. Wenn’s mir schlecht geht, greife ich zur Geige. Wenn ich mich schlapp fühle, greife ich zur Geige. Die Geige ist mein Trainingsgerät – geistlich und körperlich. Vom Kopf, über die Fingerspitzen bis zu den Zehenspitzen.“

„Ich habe Geige gespielt, da flogen die Fetzen!“

Musik ist für Klaus ein Lebensgefühl, sein persönlicher Lebensinhalt. Er macht sie für sich, aber vor allem für andere Menschen. Er will durch seine politischen Texte auf Missstände aufmerksam machen. Mit seiner Geige und seinen politischen Liedern begleitet er unzählige Demonstrationen und Proteste gegen Kriege, Fremdenfeindlichkeit, Umweltkatastrophen und Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft.

3. Klaus und sein Musikerfreund Salossi auf einer Kundgebung

Klaus und sein Musikerfreund Salossi auf einer Kundgebung.

Die zauberhaften Momente der Straße

„Wir haben mit unserer Kommune damals nach neuen Wegen gesucht. Wir waren wütend. Wütend auf die Menschen und was sie sich gegenseitig antun. Wir sind auf die Straße gegangen und haben unsere Wut durch die Musik rausgelassen. Laut, lästig und anarchistisch – so bekamen wir Aufmerksamkeit.“ Die Straßenmusik ist für Klaus eine Möglichkeit, sich politisch einzubringen und das System zu kritisieren. Seine Lieder haben eine Aussage, eine Botschaft. Auf der Straße drückt er seine Gedanken aus, hier hat er das Gefühl der absoluten Freiheit.

 „Meine Lieder haben eine Botschaft für jeden, wenn sie nur zuhören…“

4. Klaus in der Schildergasse in Köln

Klaus in der Schildergasse in Köln.

Das besondere an der Straße ist für Klaus die Zusammenkunft unterschiedlichster Menschen. „Die Reichen, die Armen, die Doofen, die Schlauen, die Männer, die Frauen, die Kinder – hier treffen alle aufeinander.“ Es folgen Auseinandersetzungen zwischen den Zuhörern: Manche mögen seine Botschaften, manche nicht. „Ich will die Menschen zum Denken anregen. Die meisten sind erst mal gar nicht interessiert an politischen Diskussionen. Für mich ist es schwierig, sie zum Stehen zu bringen. Aber wenn sie einmal zuhören – dann hast du die Möglichkeit der geistigen Auseinandersetzung und des Nachdenkens!“ Genau das sind für Klaus die „zauberhaften“ Momente, die das Musizieren auf der Straße so besonders machen. Durch diese Momente entsteht für ihn ein Suchtgefühl nach der Straße.

 Was das Leben bietet

Den Traum vom freien Leben hat sich Klaus erfüllt. Aber dafür muss er Opfer bringen: Leben am Existenzminimum, finanzielle und gesellschaftliche Nachteile. Wenig Geld und wenig Anerkennung für harte Arbeit. Viele belächeln seine Lebensweise und akzeptieren sie nicht. „Für die Menschen gilt: Bist du Straßenmusiker, bist du Bettler. Trägst du andere Klamotten – bist du Penner. Gehst du einen anderen Weg als die Gesellschaft, wirst du verurteilt.“ Er lernt mit der Zeit über diese Wertungen hinwegzusehen, sonst könnte er sein Leben so nicht leben.

„Man muss selber zusehen, dass man weiß, was man Wert ist, damit man’s aushält.“

Trotz allem ist er zufrieden mit seinem Weg. Er bereut ihn nicht. „Das Leben bietet so viel. Aber das Merkmal unserer Zeit ist die Angst. Angst vor der Zukunft, Angst vor Kultureinbrüchen, Angst vor Armut, Angst vor Krankheiten, Angst vor Liebesentzug, Angst vorm Alter. Die Menschen fürchten sich – ich nicht! Ich lebe und liebe das Leben!“ Klaus sagt, er habe sein Leben sinnvoller gelebt als andere, aber es sei die Aufgabe von jedem selbst, etwas zu ändern und zu bewegen.

Klaus der Geiger ist seiner Lebensweise immer treu geblieben und würde es jeder Zeit wieder so machen. Ein Leben, das viele Situationen und Menschen geprägt hat und es auch weiterhin tun wird. Latzhose, zerzaustes Haar, grauer Bart und Geige – so wird der 76-Jährige laut weiterspielen, weiterleben, Menschen zum Denken anregen und sich einsetzen.

Alle Beitragsfotos: Kathi Liesenfeld

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