Champions League der Nordstadt

Oli will mit dem Pokal für die beste Mannschaft der Nordstadtliga-Saison nach Hause gehen. Die letzten Monate hat er dafür zusammen mit seinem Team jeden Freitag sein Bestes auf dem Fußballplatz gegeben – um Spaß zu haben, aber auch um den Respekt aller Nordstadt-Fußballer zu bekommen.

Nach und nach trudeln die Jungs der „Hafengeneration“ auf dem Sportplatz ein. Handschlag mit der rechten Hand, mit der linken werden die Team-Kollegen umarmt. Vor dem ersten Spiel sprechen die Jungs schon über die Ziele für die Finalrunde. „Wir wollen nicht arrogant klingen, aber natürlich wollen wir heute den Titel nach Dortmund-Hafen holen“, sagt Olis Mannschaftskamerad Ridvan, der ein Arsenal London-Trikot von Mesut Özil trägt. „Und das können wir auch schaffen, in diesem Jahr haben wir zum Beispiel schon das Mitternachtsturnier gewonnen.“ Pünktlich um 10:30 Uhr geht es dann los – das Team der Nordstadtliga gibt den Spielplan bekannt. Die Hafengeneration darf direkt im ersten Spiel über zweimal zehn Minuten gegen die Lütgendortmunder von Lüdo 1 ran. Der schwierigste Gegner in der Altersklasse für die Mannschaft vom Dortmunder Hafen. Sie nehmen die Herausforderung an.

Oli im Spiel gegen die Frauenversteher. Foto: Daniel Schmitz

Oli im Spiel gegen die Frauenversteher. Foto: Daniel Schmitz

Olcay trägt einen grauen Kapuzenpulli und lange schwarze Haare. Der 23-Jährige trommelt seine Jungs vor dem Spiel zusammen. Oli, so wird er auf dem Platz genannt, spielt schon seit fast 13 Jahren in der Nordstadtliga und kennt deshalb fast jeden Spieler aus den anderen Teams. Auch im Ligarat, der sich aus Mitgliedern der verschiedenen Teams zusammensetzt, hat er vor ein paar Jahren mitgewirkt. „Da werden dann zum Beispiel Strafen beschlossen, wenn es Ärger gibt oder ein Spieler eine Rote Karte bekommt. Das kommt so ungefähr einmal im Monat vor“, erklärt er.

Die Nordtstadtliga soll dabei helfen, dass Jugendliche wie Olcay nicht auf die schiefe Bahn kommen. Ein gelungenes Projekt, weil die Jugendlichen sich wirklich aufs Spiel und ihr Team konzentrieren. „Wir spielen schon so lange zusammen, da müssen wir keine Besprechung vor dem Spiel machen. Die Aufstellung ergibt sich von alleine. Wir vertrauen uns“,sagt Olcay. Auf dem Platz geht es sehr emotional zu, trotzdem bleiben alle fair. Nach Fouls wird abgeklatscht und auch die eine oder andere Rangelei ist schnell wieder vergessen. Es geht ja auch um etwas: Jedes Team will den Fair-Play-Pokal gewinnen. Nach einem 1:0-Rückstand dreht das Team Hafengeneration das Spiel noch zu einem 2:1. Der erste Sieg und schon die halbe Miete. Oli zeigt Erleichterung, gleichzeitig steigt die Anspannung für das anstehende Finale.

Als Belohnung gibt es „All you can eat“ beim Chinesen

Während die U18- und U14-Mannschaften spielen, stärkt sich das Team am Grillstand. Die Kosten übernimmt Mirza Demirovic, ihr AWO-Streetworker aus Dortmund-Hafen. Er gehört zum Organisatoren-Team der Nordstadtliga und fiebert mit dem Team mit. Denn mit Oli & Co hat er fast täglich zu tun. „Ich kenne die Jungs jetzt seit fast zwei Jahren. Das hat präventiven Charakter. Wir holen die Jungs von der Straße und geben ihnen hier eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Wenn die Jungs Fußball gespielt haben, sind sie kaputt und wollen sich danach nur noch ins Bett legen. So kommen sie gar nicht erst auf dumme Gedanken wie viele andere Jugendliche bei uns in der Nordstadt“, sagt Mirza. Für ihre Zuverlässigkeit und Fairness werden die Jungs regelmäßig von ihm belohnt. Zum Beispiel mit Ausflügen zum Phönix-See. „Letztens waren wir aber auch mal mit allen Jungs beim Chinesen, weil sie da unbedingt hinwollten. Da haben wir es uns dann am All you can eat-Buffet gutgehen lassen.“

Mirza Demirovic (AWO) mit Nordstadtliga-Internetredakteurin Shari Malzahn. Foto: Daniel Schmitz

Mirza Demirovic (AWO) mit Nordstadtliga-Internetredakteurin Shari Malzahn. Foto: Daniel Schmitz

Mirza kommt gut an bei den Jungs. Das Team beschreibt ihn mit zwei Worten: „Bester Mann!“ Mit seinen Vorgängern waren die Jungs nicht so zufrieden, mit Mirza kommen sie aber super klar. Er spricht deren Sprache. Deshalb lagern sie auch alle Pokale in seinem AWO-Büro in der Dortmunder Nordstadt. Und heute soll der Nächste dazu kommen. Denn die Jungs wollen die Hafengeneration würdig vertreten. Sie sind nun die vierte Generation, die in der Nordstadtliga mitspielt. Und auch Nachwuchs wächst heran: In der Altersklasse U14 spielt ein weiteres Team der Hafengeneration, ebenfalls alles Jugendliche aus Dortmund-Hafen.

Vor dem zweiten Spiel bildet das Team mit Mirza einen Kreis, alle Hände kommen in die Mitte. Allen ist klar, dass sie bei einem Sieg nicht mehr einzuholen sind. Dementsprechend motiviert gehen die Jungs auf den Platz – geraten zu Beginn überraschenderweise in Rückstand. Bünyamin, der erst in der zweiten Halbzeit kommen soll, geht selbstbewusst ins Spiel: „Wenn ich gleich reinkomme, drehen wir das noch. Noch fehlt in der Abwehr die Stabilität.“ Als er eingewechselt wird, läuft es tatsächlich besser für die Hafengeneration. Sechs Tore schießen sie noch und besiegen die „Frauenversteher“. Das Endergebnis 6:1. Grinsend geht Bünyamin vom Platz: „Ich hab’s gewusst!“

Hafengeneration im Erfolgsrausch

Oli kann man den stolz in den Augen ablesen: „Ich hab es schon vorher gewusst, dass wir gewinnen. Das ist einfach immer so!“ Besonders für Mustafa, der im letzten Spiel fünf der sechs Tore gemacht hat, hat der Kapitän heute ein Lob übrig. Und auch Streetworker Mirza Demirovic ist zufrieden mit seinen Jungs, die als Sieger aber erst einmal nur den zweitgrößten Pokal sicher haben. Denn der größte geht an das fairste Team der Saison. „Fairness spielt einfach die wichtigste Rolle, wir wollen den Jungs ja etwas beibringen. Das gilt besonders, wenn ein Team mal einige Spiele hintereinander verliert“, erklärt Mirza.

Das Team Hafengeneration mit dem Champions League-Pokal. Foto: Daniel Schmitz

Das Team Hafengeneration mit dem Champions League-Pokal. Foto: Daniel Schmitz

Dann kocht die Aufregung erneut auf, denn Neven Subotic, Innenverteidiger von Borussia Dortmund und Schirmherr der Nordstadtliga, steigt aus seinem Wagen. Umlagert von vielen kleinen Jungs, die ein Autogramm von ihrem Vorbild haben wollen, betritt er den Sportplatz. Auch, um gleich dem Team der Hafengeneration den Pokal zu übergeben. Vorher werden allerdings die Gewinner der Verlosung von Karten für das Bundesligaspiel BVB gegen Wolfsburg bekannt gegeben. Mit dabei: Oli, der Kapitän. Den Gang auf den Balkon, auf dem die Siegerehrung stattfindet, zelebriert er, indem er mit jedem abklatscht und mit den Karten wedelt.

Double für die Hafengeneration

Ein paar Minuten später wieder Grund zu Freude für das gesamte Team: Die Hafengeneration wird für den Sieg geehrt. Neben dem Pokal bekommt jeder Spieler eine Medaille. Jubelnd posiert das Team mit dem Pokal und den Medaillen vor Freunden und die jüngeren Spieler. Danach kommt die nächste Überraschung für die Hafengeneration: Nicht Lüdo 1, mit denen sie vorher gerechnet hatten, sondern die Jungs der Hafengeneration bekommen den Fair-Play-Pokal. Die Belohnung für eine Saison, in der sie immer pünktlich und zuverlässig waren. Kapitän Oli geht wieder voran und reckt den großen Pokal in die Höhe. Hinter ihm schmunzelt Neven Subotic – er weiß, wie sich ein Double-Gewinn anfühlt. 

Der Ehrgeiz, mit dem die Jungs dabei sind, zeigt, dass der Straßenfußball noch lange nicht am Ende ist. Ganz im Gegenteil: Jedes Jahr wollen mehr Teams in der Nordstadtliga spielen. In Zeiten von Nachwuchsleistungszentren und immer neuen Kunstrasenplätzen nicht selbstverständlich. Doch die Jungs fühlen sich hier wohl – auf dem kleinen Ascheplatz an der Burgholzstraße. Und vielleicht schafft es ja in ein paar Jahren ein Talent aus der Nordstadtliga mal zu einem Profiklub. Als einer der wenigen Straßenfußballer, die es in Deutschland noch gibt.

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