Der Meister des Lichts

 

Am liebsten fotografiert Hermann Hirsch kurz nach dem Sonnenaufgang.

Hermann Hirsch findet im Ruhrgebiet seine schönsten Motive. Der 22-jährige Dortmunder ist preisgekrönter Naturfotograf. Früh morgens, wenn die Sonne gerade aufgeht, ist er in der Natur unterwegs. Auf der Suche nach dem perfekten Moment, auf der Suche nach dem perfekten Fotomotiv. Pflichtlektüre-Reporter Marius Reichert hat den jungen Naturfotografen dabei begleitet.

4.30 Uhr, Dortmund-Barop, zuhause bei Hermann Hirsch. In der Küche kocht Kaffee – ohne den geht Hermann morgens nicht aus dem Haus. Er ist ganz leise, seine Familie schläft noch. Immer wieder reibt er sich die Augen. „Schon früh“, flüstert er. Eine Etage tiefer brennt schon Licht. „Das ist meine Oma“, sagt Hermann. „Wenn ich aufstehe, steht sie meistens gleich mit auf.“

Vor der Haustür macht er einen letzten Check: Kamera, Objektive, Akkus. „Das Wetter sieht doch ganz vielversprechend aus. Kann losgehen“, sagt er. Braune Trekking-Schuhe, eine wetterfeste Jacke und der Rucksack mit seinem Equipment – mehr braucht Hermann nicht fürs Fotografieren in der Natur. Zehn Minuten Autobahn, dann ist er dort, wo er heute nach guten Motiven sucht. Am Lanstroper See, ganz im Norden von Dortmund. Außer ihm ist um diese Zeit niemand hier.

Naturidylle pur: der Lanstroper See.

Naturidylle pur: der Lanstroper See.

Es ist einer von Hermanns Lieblingsplätzen. Um diese Zeit liegt der Nebel ganz dicht über dem See, langsam steigen einzelne Nebelschwaden höher. Die Regentropfen der Nacht perlen an den Blättern ab – ganz idyllisch. Vögel kreisen über dem Naturschutzgebiet. Zirpen, zwitschern, knacken. „Die Morgenstimmung ist einfach unglaublich. Das frühe Aufstehen hat sich mal wieder gelohnt, mit diesem Nebel auf dem See könnten es tolle Fotos werden“, sagt der Naturfotograf.

Schon als Kind hat er Ausflüge in die Natur gemacht

Seine Liebe zur Natur und später zur Fotografie hat er als Jugendlicher entdeckt. „Ich war immer draußen, ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Aber ohne jeden Zwang“, sagt Hermann Hirsch. 15 Jahre war Hermann alt, als ihm ein Nachbar seine erste Kamera schenkte. Und die probierte er so oft es ging aus – in der Natur. „In meiner Familie haben wir immer viele Ausflüge gemacht. Ich bin mit der Natur großgeworden“, sagt Hermann. Wohl auch, weil seine Mutter als Waldpädagogin arbeitet. Ihre Kinder nahm sie immer mit nach draußen.

„Ich habe dadurch aber sehr schnell gemerkt, wie einzigartig die Natur ist und dass man sie auf jeden Fall schützen muss“, sagt der 22-Jährige. Schnell wurde die Fotografie seine große Leidenschaft. „Am Anfang hatte ich noch keinen Führerschein, da musste mich meine Mutter immer an meine Lieblingsplätze fahren“, erinnert sich Hermann. Nahezu jeden Tag hielt er Tiere in freier Laufbahn fest, vergrößerte sein Equipment – mittlerweile gehört er zu den besten Naturfotograf*innen Deutschlands.

„Solche Situationen sind der Hammer!“

Es ist kurz nach sechs Uhr – und die Kälte der Nacht weicht den wärmenden ersten Sonnenstrahlen des Tages. Sie tupfen die Natur gold, gelb und orange. Jetzt ist Hermann in seinem Element. „Als Naturfotograf ist man immer auf der Suche nach diesen besonderen Lichtsituationen. Man kann sie nicht beschwören, man muss einfach mit dem Wetter mitgehen und gucken, was man so kriegt“, sagt er. An diesem Morgen passt einfach alles. „Solche Situationen sind der Hammer, wenn die Sonne über den Horizont kommt und alles in diese wahnsinnigen Farben taucht.“ Sein Objektiv richtet Hermann auf eine Gruppe von Haubentauchern auf dem See.

Hermann Hirsch gehört zu den besten deutschen Naturfotografen.

Hermann Hirsch gehört zu den besten deutschen Naturfotografen.

Mit Fotos wie diesen hat er schon viele Preise gewonnen. Die Gesellschaft Deutscher Tierfotografen (GDT) hat Hermann zum besten deutschen Naturfotografen 2013 gekürt – als bis heute jüngster Gewinner. Gewonnen hat er mit seinem Bild „Abendidylle“, das einen jungen Fuchs im Ruhrgebiet zeigt. „Das Foto ist quasi direkt vor meiner Haustür entstanden“, erklärt Hermann, der im Dortmunder Westen mitten im Grünen wohnt, in einem von Efeu umrankten Haus.

2015 hatte er seinen bislang größten Triumph. Hermann gewann den „Wildlife Photographer“-Preis der BBC, bekannt als der Oskar der Naturfotografie. Einer der wichtigsten Preise unter Naturfotograf*innen. Das Foto hat Hermann an der Mecklenburgischen Seenplatte gemacht. Es zeigt einen Mäusebussard in schwarz-weiß.

Die Erfolge sind das eine, mit seinen Fotos verfolgt Hermann aber noch ein ganz anders Ziel: den Menschen in seiner Heimat die Natur – besonders die vor der Haustür – näherbringen. „Mit der Naturfotografie im Ruhrgebiet kann man die Menschen dafür sensibilisieren und zeigen, was es hier im Ruhrgebiet gibt. Denn man kann nur das schützen, von dem man weiß, dass es schützenswert ist“, sagt Hermann.

Für die Fotografie hat er die Schule geschwänzt

Schützenswert wie die Naturidylle am Lanstroper See. Früher als Schüler verbrachte er fast jeden Morgen vor Schulbeginn draußen. Oft kam Hermann müde in die Schule, schlief mitten im Unterricht ein.„Ich war irgendwann nicht mehr motiviert. Die Inhalte haben mich gelangweilt“, erinnert sich Hermann. Er wollte lieber fotografieren. Hermanns Mutter musste regelmäßig zum Direktor, weil Hermann begann, die Schule immer häufiger zu schwänzen. Das machte sich in den Noten bemerkbar. Die waren weniger gut. Am Ende reichte es geradeso zum Abi.

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Es ist inzwischen kurz vor acht. Die Sonne thront am Himmel, der Nebel ist verzogen. Immer mehr Tiere haben sich zurückgezogen. Hermann hat sein mehrere zehntausend Euro teures Kamera-Equipment inzwischen wieder zusammengepackt. „Mir wird heute immer mal wieder an den Kopf geknallt, ich könne ja nur so tolle Fotos machen, weil meine Eltern das alles hätten zahlen können“, berichtet Hermann. Das sei ganz anders. „Bei mir gab es zu Geburtstagen und Weihnachten eben Foto-Zubehör anstatt Möbel oder ein Fahrrad.“ Mittlerweile kann er sich das selbst leisten.

Trotzdem: Von der Fotografie kann Hermann noch nicht leben. Für seinen eigentlichen Berufswunsch – Grundschullehrer – war der Abi-Schnitt aber zu schlecht. Stattdessen hat sich Hermann etwas Praktisches gesucht. Seit fast zwei Jahren macht er eine Ausbildung zum Tischler. Mit dem Abschluss in der Tasche will Hermann versuchen, vom Filmen und Fotografieren zu leben. „Das ist mein großer Traum“, sagt er und verstaut am Lanstroper See seine Kameras und Objektive wieder sicher in seiner Tasche. Dann zeigt er in den Himmel, spricht von brütenden Vögeln. Er kennt sich aus, wo er fotografiert. Schließlich geht er durch das kleine Waldstück zurück ans Auto. 

Morgen früh harrt Hermann Hirsch wieder aus, für den einen Moment, das passende Motiv, für das perfekte Foto.

Beitragsbild: Marius Reichert 

 

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