Kommentar: Kein Mindestlohn für Praktikanten!

40 Wochenstunden Arbeit und am Ende des Monats keinen einzigen Euro dafür auf dem Konto? Das soll es, wenn es nach der Mindestlohnregelung der Bundesregierung geht, ab dem 1. Januar 2015 nicht mehr so oft geben. Freiwillige Praktika, die länger als sechs Wochen dauern, sollen künftig mit 8,50 Euro pro Stunde vergütet werden. Problematisch, denn der Mindestlohn setzt ausgerechnet an die Praktikumsstellen den Rotstift an, die dringend gebraucht werden. Ein Kommentar.   

Teaserfoto: Andreas Hermsdorf/pixelio.de

Eine Bereicherung im Lebenslauf, ein ausführliches Zeugnis – und im besten Falle ein individueller Evolutionsprozess dahinter: Praktika sind wichtig und wertvoll. Sie ermöglichen Studenten, sich jenseits von Hörsaal und Bibliothek im Arbeitsleben auszuprobieren, helfen dabei, die berufliche Zukunft zu konkretisieren und wertvolle Kontakte zu knüpfen. Auch wenn Studenten in vielen Branchen eher in Erfahrung als in Euro bezahlt werden, sind Praktika eine gute Sache. Schlecht hingegen sind die Praktika, die ab Januar 2015 mit dem Mindestlohn vergütet werden sollen. Warum? Ganz einfach: Weil’s diese immer seltener geben wird.  

Welcher Praktikant bekommt den Mindestlohn?

Ab dem 1. Januar 2015 soll’s ihn geben – den flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland. Davon profitiert allerdings nicht jeder Student, der einen Ausflug in die Arbeitswelt unternimmt. Was im Modulhandbuch als Pflichtpraktikum vermerkt ist, fällt nicht unter die Mindestlohnregelung der Bundesregierung und muss auch nicht mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro vergütet werden. Das gilt auch für freiwillige Praktika beispielsweise in den Semesterferien – sofern sie nicht länger als sechs Wochen dauern. Dauert ein freiwilliges Praktikum jedoch länger als sechs Wochen, muss der Mindestlohn gezahlt werden.

Noch ist der Gesetzesentwurf nicht angenommen. Am 4. Juli wird im Bundestag abgestimmt – eine breite Mehrheit ist wahrscheinlich. Die CDU fordert jedoch, dass erst die Praktika, die länger als 3 Monate dauern, mit dem Mindestlohn vergütet werden müssen.  

8,50 Euro Stundenlohn: Von vielen Studenten kommt Jubel, Unternehmen sind besorgt. Insbesondere kleinen oder mittelständischen Betrieben fehlen die finanziellen Mittel, um Praktikanten zu bezahlen. Die Folge? Praktika fallen weg oder werden systematisch in ein Zeitfenster von maximal sechs Wochen hineingeschrumpft. Weniger Zeit bedeutet aber weniger Erfahrung – ganz zu schweigen davon, dass möglichst lange Praxisphasen bei späteren Arbeitgebern gern gesehen werden. Ist das Praktikum nur auf wenige Wochen beschränkt, verzichten viele Unternehmen außerdem darauf, ihre Praktikanten aufwändig einzuarbeiten. Schnell werden diese zu Fremdkörper im Unternehmen – verursacht durch ein politisches Instrument, das eigentlich zu Gleichberechtigung führen sollte. 

Praktikum gekürzt, Mindestlohn umgangen

Praktika, an die der Mindestlohn den Rotstift ansetzt, können insbesondere Studenten der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften in Bedrängnis bringen. Gesellschaftsmodelle, Gedichtinterpretationen und philosophische Theorien führen, sofern man das Lehramt ausklammert,  selten auf ein konkretes Berufsbild zu. Freiwillige Praxisphasen in Betrieben sind daher notwendig, um dem Lebenslauf für spätere Bewerbungen das nötige Profil zu verleihen. Schon jetzt sind Praktikumsstellen in diesen Bereichen stark nachgefragt – ganz egal, ob in der Medienbranche oder in Kulturinstitutionen. Dass der Mindestlohn würde die Situation verschlimmert, hat mittlerweile auch die Hochschulrektorenkonferenz erkannt – und fordert, dass Praktika erst ab einer Dauer von drei Monaten dem Mindestlohn entsprechend bezahlt werden sollten.

Mindestlohn für Praktikanten? Das denken TU-Studis darüber. 

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Praktikum als Lernverhältnis 

Zudem stellt sich die Frage: Ist das Praktikum überhaupt ein Arbeitsverhältnis? Oder eher ein Lernverhältnis? Klar für ein Lernverhältnis spricht, dass Praktikanten im Vergleich zu ausgebildeten Fachkräften weniger gut qualifiziert sind. In einer Befragung, die vom Bundesministerium für Arbeit und Forschung gefördert wurde, bezeichneten mehr als 70 Prozent der Praktikanten das Sammeln von Praxiserfahrungen als Motiv für die Aufnahme des Praktikums, nur 11 Prozent legten großen Wert auf das Verdienen von Geld. Wer sich also mit dem Satz „Ich bin der neue Praktikant“ in ein Unternehmen begibt, will in erster Linie etwas beigebracht bekommen – und nicht wie ein Angestellter bezahlt werden.   

Die Lösung: Transparenz und Austausch 

Heißt „Kein Mindestlohn“ also „Weitermachen wie bisher“? Keinesfalls. Denn Missstände gibt es definitiv. Doch um diese zu beheben, muss die Politik Instrumente abseits des Mindestlohns finden – und die Unternehmen selbst zum Handeln verleiten. Stärkere Kontrollen, um Unternehmen aufzuspüren, die Fachkräfte systematisch durch Praktikanten ersetzen, wären denkbar. Denn sobald ein Betrieb um seinen Ruf fürchtet, ist die Motivation, das Verhalten gegenüber Praktikanten zu überdenken, eine andere. Das junge Magazin der Süddeutschen Zeitung, jetzt.de, hat diese Idee der Transparenz und des Austausches der Praktikanten über ihre Arbeitsbedingungen erst vor kurzem im Blog „Was Praktikanten verdienen“ aufgegriffen. Dort kann jeder seine Erfahrungen für die Netzgemeinde zugänglich machen. Der Unternehmensname? Steht dabei jeweils in der obersten Zeile. Der Lohn nur drei Zeilen weiter unten. Umgerechnet 8,50 Euro pro Stunde sind es in fast keinem Eintrag. Doch für viele der Ex-Praktikanten ist die Währung „Erfahrung“ stärker als die Währung „Euro“. 

 

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