Die schöne Hülle

schoene Huelle

Die Ware im Supermarktregal hält es wie die Bachelorkandidatin beim Gruppendate: Um Aufmerksamkeit buhlend steht sie herausgeputzt in Reih und Glied, mit dem Versprechen die Eine zu sein.

Die heutige Konsumkultur zelebriert die Oberflächlichkeit und macht die Verpackung zum wesentlichen Verführungselement. Der alltägliche Supermarktbesuch wird zum waten im Produktmeer, der Griff ins Regal zur Selbstoffenbarung. Verkauft wird lang  nicht mehr nur das Produkt, sondern ein Lebensentwurf. Der Kauf der Funktionalität wegen ist schlichtweg Illusion – der Kauf der Illusion wegen hingegen Realität. Will ich Apple oder Windows sein? Ästhetiker oder Pragmatiker? Durch den täglichen Konsum können wir unseren Selbstentwurf leben, setzen unsere Persönlichkeitsgrenzen in einer Pluralität der Möglichkeiten. Kaufe ich ein Produkt, kaufe ich ein Stück Illusion, ein Stück Image, das als Teil des Identitätspatchworks eingewoben wird.

Die non-verbale Kommunikation

Wir treten mit Produkten, wenn auch meist unterbewusst, in Kommunikation. Ihr stärkstes Argument ist dabei der optische Reiz. Verpackung ist nicht nur praktische Notwendigkeit sondern das Ass im Ärmel der Marketingstrategie. Verpackungen bedienen sich Versatzstücken aus unserem kulturellen Gedächtnis. Emotionen und Assoziationen werden unterbewusst hervorgerufen um ein Produkt ganz gezielt zu konnotieren. Wir haben die Professorinnen Nicole Simon und Viola Hofmann zu dem Thema befragt. Beide setzen sich auf unterschiedliche Weise mit Verpackungen auseinenader: Die eine kreiert, initiiert und designt, die andere analysiert, interpretiert und erklärt.

Nicole Simon lehrt an der HAWK Verpackungsdesign.

Die Erklärung vom Profi

Professorin Nicole Simon lehrt an der HAWK Hochschule Hildesheim/ Holzminden/ Göttingen Packaging Design. Ein Verpackungsdesigner agiert vor dem fertigen Produkt, initiiert die vielschichtige Designsprache. Die Expertin lässt die Verpackungen sprechen und legt ihnen dabei die Wörter in den Mund. Im Interview erzählt sie, was Verpackungsdesign in der Gegenwart bedeutet und wie es funktioniert:

Haben Sie eine Erklärung für den Trend der generellen Ästhetisierung der Alltagswelt? Warum kann ein Produkt nicht ausschließlich funktional sein?
Zum einen wegen der Produktfülle auf dem Markt. Wir haben eine hohe Anzahl von Produkten gleich hoher Qualität mit ähnlichem Nutzen. Wie soll man sich sonst am Markt behaupten, wenn nicht noch ein zusätzlicher Benefit kommuniziert wird? Dies kann ich über das Design natürlich gut leisten. Ich kommuniziere über das Produkt und die Verpackung zielgerichtet mit dem Endverbraucher, um individuellen Wünschen nach Lifestyle gerecht zu werden, um eine größtmögliche Identifikation mit gesellschaftlichen Strömungen zu erreichen. Natürlich gibt es noch viele weitere Aspekte, die die Ästhetisierung positiv vorantreiben. Hier wäre z. B. die Digitalisierung zu nennen, die unsere Kommunikationsfähigkeit massiv beschleunigt hat – wir bespielen heutzutage viele Kanäle, auf denen wir unterschiedliche Zielgruppen persönlich ansprechen und Meinungsbilder nicht nur formen, sondern auch teilen können.

Wird das Kaufverhalten immer mehr vom Visuellen geleitet?
Ja, das Hauptargument beim Kauf ist ein emotionales und erst anschließend wird es begründet und verargumentiert.

Was macht ein gutes Produktdesign aus? Wie steht es in Relation zu Konsument und Produkt?
Produktdesign beschäftigt sich mit der Form einer Flasche oder mit der Funktion eines Verschlusses, wobei hier die Grenzen zur Verpackungstechnik bereits verschwimmen. Produktdesign entwickelt die Produkthülle oder das Produkt, z. B. einen Stuhl an sich. Verpackungsdesign bildet die exakte Schnittstelle zwischen Marke/Branding (früher war das integriert im Grafik-Design oder der visuellen Kommunikation) und dem Produktdesign.
Heutzutage entscheidet das Design im wesentlichen darüber, ob sich der Konsument mit dem Produkt identifiziert und so zu einer Art Markenbotschafter wird. Am besten ist es natürlich, wenn die beiden Disziplinen Produkt- und Verpackungsdesign zusammen arbeiten und in ständiger Abstimmung sind, wie beispielsweise bei einer Produktneuentwicklung. Bei bereits bestehenden Produkten wird die Verpackung im Nachgang entwickelt. Dieser Fall kommt häufiger in der Praxis vor, und genau an diesem Beispiel kann man deutlich ablesen, wie erfolgreich eine neue Verpackung beim Verbraucher ankommt.

Werden Produkte immer mehr zum Accessoire ? Geht es dem Käufer darum, durch Design seiner Umwelt etwas zu kommunizieren, sich dementsprechend im Sozialbereich zu positionieren?
Ja, bei unserer heutigen Produktfülle muss man sich als Hersteller von z. B. Mobiltelefonen oder Computern am Markt trendsicher platzieren. Und wenn man dies so geschickt wie Apple angeht, hat der Kunde das Gefühl ‚so wie Apple zu sein‘ und zur großen Community dazu zu gehören – weil er diese Produkte hat und/oder benutzt. Der Kunde gibt damit ein Statement ab – und das ist beabsichtigt. Ein Produkt kann also in der Wertschöpfungskette vom rein ‚funktionalen Wert‘ über den ‚emotionalen Wert’ zum ,symbolischen Wert’ aufsteigen. Das bedeutet für das Unternehmen einen Imagegewin und natürlich auch eine Umsatzsteigerung.

Qualitativ gesehen: Wie viel Prozent des Produkts bildet das Design und wie viel das letztendlich konsumierbare Produkt?
Das kann man mit zwei Bildern im Kopf beantworten. Stellen Sie sich eine Eierverpackung vor und eine Parfümflakon. Beides verpackt ein Produkt und versetzt es in die Lage von der Produktion zum Endverbraucher zu gelangen. Die Eier haben dabei einen prozentual höheren Stellenwert als ihre Verpackung, bei dem Parfum hingegen ist die Verteilung antiproportional zu betrachten. Ergo entscheidet das Produkt selbst sowie sein Nutzen darüber, wie viel Design nötig ist, um es an den Mann zu bringen. Des weiteren spielt kollektiv Gelerntes auf der kognitiven Ebene des Endverbrauchers eine ebenso wichtige Rolle.

Wieweit kann sich das Design vom Produkt emanzipieren? Gibt es Käufe allein der Verpackung wegen, unabhängig vom Produkt?
Ja, unbedingt. Die Verbraucher sagen zwar immer, dass sie nach dem Preis kaufen, aber wenn das so wäre, hätten wir keine Markenartikel mehr im Regal.

Beeinflusst das Design der Verpackung unser Urteil über die Qualität des Produktes? Also: ästhetisch = gut?
Unbedingt beeinflusst das Design unser Urteil. Man nehme die No-Name-Produkte – auch die ‚Weißen‘ genannt – und vergleiche diese mit den Markenartikeln derselben Produktgruppe im Supermarkt. Die Unterscheidung findet im Design, im Markenbild und natürlich im Preis statt.

Viola Hofmann

Viola Hofmann, Dozentin am Institut für Kunst und materielle Kultur der TU Dortmund. Foto: Jasmin Assadsolimani

 

Der ethnologische Blick

Im Supermarkt finden wir das fertige Produkt als eine Einheit präsentierte Kumulation verschiedenster Elemente. Dr. Viola Hofmann, Dozentin am Institut für Kunst und Materielle Kultur der TU Dortmund demontiert einmal die Fassade und entzaubert den schönen Schein. Wieso kleidet sich das klebrig-braune Kultgetränk gerade in rot-weiß und wie kommt es, dass Club Mate das neue In-Getränk ist? Die Ethnologin erklärt, was uns ansprechen soll und wie uns die Verpackung verführt:

Beitragsbild: flickr.com/dylan_payne, bearbeitet von Jasmin Assadsolimani