Ein runder Bau, in der Mitte ein Turm, der zu allen Seiten verglast ist. An der äußeren Gebäudewand sind rumherum Zellentrakte eingelassen. Sie sind ausgeleuchtet, wie Schauplätze – Bühnen, bei denen niemals der Vorhang fällt. Der Mann im Turm ist nicht sichtbar. Ein stiller Beobachter, der sieht aber nicht gesehen wird. Der Philosoph Michel Foucault entwickelt diese in Perfektion vollendete Vorstellung eines Gefängnisses. Architektonisch konstruiert wird eine allumfassende Sichtbarkeit, die zu permanentem Gehorsam führen soll.
Dieses Gefängnis existiert – in diesem Moment, unsichtbar, virtuell. Es begrüßt mich mit einem „Was machst du gerade“ und verabschiedet sich mit „Danke, dass du mal wieder vorbeigeschaut hast“. Ganz schön harmlos, diese Gefangenschaft. Auch Gefängnisdirektor Mark Zuckerberg scheint seinen Insassen wohlgesonnen. Und wenn er ein Bild von seiner kleinen Tochter Max postet, kann das doch alles nicht so schlimm sein.
Nicht ohne, sondern anders mit Facebook leben
Ich bin kein Technik-Feind. Ich sage nicht „früher war alles besser“ und auch nur selten „was für ein neumodischer Quatsch“. Ich bin auf Facebook aktiv, nutze auch Twitter – social media sind fest in meinem Alltag integriert. Ich fordere keinen Rückschritt zu einer Facebook-freien Kommunikation und glaube nicht an ein Revival des Briefverkehrs.

Foucault beschreibt ein Gefängnis, das Überwachung perfektioniert – Facebook setzt es um. Foto: Ralf Peter Reimann flickr.com
Doch trotzdem muss sich an der Art und Weise wie wir mit Facebook umgehen etwas ändern. Die Normalisierung und Alltäglichkeit, die mit den neuen Kommunikationswegen einhergehen, machen uns blind für ihre Begleiterscheinungen. Die rasante technische Entwicklung hängt die ethische Aufarbeitung ab. Der Wettlauf scheint ungerecht. Facebook ist der Hase, die Politik der Igel – nur ohne die List. Die Pointe bleibt aus, das Lachen bleibt im Halse stecken. Im Märchen ist es der Igel, der den Hasen mit den Worten „Ich bin schon da!“ begrüßt. In der Realität ist es der Hase, der den Igel schon mindestens zehn mal überrundet hat.
Virtuell auskunftbereit
Man nehme an, Herr Zuckerberg würde vor meiner Tür stehen. Er würde mich fragen wie ich heiße, wie alt ich bin, an welche Uni ich gehe, was meine politischen Ansichten sind oder ob ich in einer Beziehung bin. Würde ich ihm ohne Zögern seine Fragen beantworten? Wohl kaum. Das ist auch gar nicht nötig – er weiß dies alles längst über mich. Und nicht nur das. Er weiß viel mehr. Facebook erstellt komplexe Persönlichkeitsprofile. Gespeichert werden nicht nur die Angaben, die wir aktiv auf Facebook machen, sondern es werden auch neue Informationen generiert. Facebook zieht Schlüsse aus unserem Verhalten, analysiert jeden Mausklick und speichert ihn auf unbestimmte Zeit. Zusammengetragen werden Daten, die vom Einzelnen nicht mehr überschaut werden können.
Die List des Like-Buttons
Nicht nur auf der Facebook-Seite werden unsere Daten gesammelt. Auch auf externen Seiten – durch sogenannte Social Plug-ins. Der Facebook-Daumen soll für unsere Zustimmung stehen. Paradox, wenn man sich klar macht, dass er ohne unsere Zustimmung Daten weiterleitet. Jeder Besuch auf einer Internetseite mit dem Facebook-Daumen wird registriert – ohne, dass wir mit ihm in Interaktion treten müssen. Diese Like-Buttons gibt es auf Streaming-Seiten. Soll Facebook doch wissen, was ich für Filme schaue. Diese Like-Buttons gibt es jedoch auch auf politischen oder medizinischen Seiten. Soll Facebook auch wissen, welche politische Einstellung ich habe oder an welcher Krankheit ich leide? Dieses Wissen ist heikel. Vielleicht nicht in den Händen des gutmütigen Gefängnisdirektors Zuckerberg, der schlimmstenfalls auf Geld aus ist. Aber was wäre, wenn dieses Wissen in die falschen Hände gelangt? Wenn der nächste Gefängnisdirektor andere Ziele verfolgt?
Eine Gefahr, die nicht greifbar ist
Warum vertrauen wir dem virtuellen Zuckerberg Informationen an, die wir dem realen nie verraten würden? Was macht Facebook in unseren Augen ungefährlich und damit umso gefährlicher? Das Internet ist ein virtueller Raum, der diffus bleibt. Die konkrete Gefahr verliert sich in einer nicht greifbaren Anonymität. Wenn ich vor meinem Laptop auf der heimischen Couch sitze, scheint die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Es gibt nur mich und Facebook, den guten Freund, dem ich alles erzähle, der zuhört und bestimmt nichts weiter verrät. Es fehlt das konkrete Gegenüber. Hinzu kommt, dass der Umgang mit Facebook, mit sozialen Medien allgemein, immer alltäglicher wird. Wir gewöhnen uns an unser Gefängnis, sind uns der Gitterstäbe nicht einmal bewusst. Doch gerade das Bewusstsein der Gefahren ist das Einzige, was uns vor ihnen schützen kann. Wir sollten Facebooks Aufforderung in unserem Newsfeed ernst nehmen und uns öfter fragen: Was mache ich hier eigentlich gerade?
Beitragsbild: Master OSM 2001/ flickr.com