Sehnsucht Heimat: Wo gehöre ich hin?

Über eine Frage wird viel diskutiert, lamentiert und manchmal auch gar nicht nachgedacht: Was ist (meine) Heimat? Antworten auf diese Frage gibt es wohl genauso viele, wie es Menschen gibt. Einen Einblick ins weite Feld der Heimatforschung liefert Danielle Pisechko, Doktorandin der German Studies an der University of Virginia. Sie erzählt, wie wir das Konzept unserer Heimat entstehen lassen und wieso amerikanische Suburbs die Hölle für Kinder sind.


Frau Pisechko, was ist Heimat für Sie?

Als Germanistin habe ich ein kompliziertes Verhältnis zum Begriff Heimat. Ich sehe ihn aus ganz vielen verschiedenen Perspektiven. Meine persönlich Definition lautet: Heimat ist eine Manifestation der persönlichen Identität, die man auf eine Gruppe übertragen kann.

Die Interviewpartnerin: Danielle Pisechko
Danielle Pisechko ist Germanistin und Doktorandin der German Studies an der University of Virginia, USA. Sie ist im zweiten Semester Gastdozentin am Insitut für Anglistik und Amerikanistik der TU Dortmund. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Heimat und Nationalismus im 20. und 21. Jahrhundert sowie Drama und Performance – Schwerpunkt Bertholt Brecht. Momentan lebt und arbeitet sie in Los Angeles.

Also ist Heimat in erster Linie gar kein Ort, an den man gehen kann?

Das kommt darauf an. Heimat ist zum einen ortsgebunden – das sind dann die Plätze, mit denen man etwas verbindet. Aber gleichzeitig definiert sich das eigene Heimatkonzept darüber, mit wem man sich einer Gruppe zugehörig fühlt. Das kann die eigene Familie sein, der Freundeskreis, oder ein Sportverein.

Nehmen wir den Fußballverein als Beispiel: Indem man ihm beitritt, wird man Teil einer bereits existierenden Gruppe. Dadurch findet man einen Zugangspunkt zu den sozialen Strukturen vor Ort und kann sich eine Community aufbauen. Dabei beeinflusst man mit seiner eigenen Identität die Gruppe, und gleichzeitig kann die Gruppenidentität auch auf einen selbst übertragen werden. Das eigene Heimatbild basiert nämlich auf der eigenen Vorstellung davon, mit wem man sich in einer Gruppe befindet, und wie diese Leute Heimat für einen herstellen.

Danielle Pisechkos Forschungsschwerpunkt ist Heimat und Nationalismus im 20. und 21. Jahrhundert. Foto: Daniel Weber

Beeinflusst Ihre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema die Art, wie Sie Heimat wahrnehmen?

Natürlich – da ist zum einen eben die akademische Sicht, wie Heimatkonzepte in der Forschung behandelt und diskutiert werden. Aber auch die Darstellung in der deutschen Literatur ist ein zusätzlicher Einfluss. Darum bedeutet für mich das Wort Heimat so viel. Vor allem habe ich auch das Gefühl, dass wir in Amerika nicht wirklich ein Heimatkonzept haben, das man mit dem deutschen vergleichen könnte.

In Deutschland ist das Heimatgefühl eher auf einen Ort bezogen, aber mittlerweile kommt etwas Bewegung ins Spiel. Gerade die Jüngeren ziehen vermehrt in andere Städte. Es wird sich zeigen, wie sich das deutsche Heimatkonzept in den, sagen wir mal nächsten 100 Jahren entwickeln wird.

Wie ist denn das Heimat-Verhältnis von Amerikanern?

Amerikaner haben da eine ganz andere kulturelle Herangehensweise als die Deutschen. Wir sind eher ein Volk, das ständig unterwegs ist, immer auf der Suche nach der Möglichkeit. Dort gibt es diese Art des „go and get it“ – die Idee des American Dream erlaubt es uns einfach nicht, so schnell sesshaft zu werden. Wenn es etwa dein persönlicher Traum ist, ein nettes Haus mit Lattenzaun zu besitzen, dann musst du erst einen Weg finden, wie du deinen Traum realisieren kannst.

In Deutschland kaufen sich Menschen doch aber auch Häuser, ohne viel umhergezogen zu sein. Manche ziehen ja auch wieder in die Orte zurück, in denen sie aufgewachsen sind.

Das stimmt. Aber gerade bei vielen Amerikanern ist es so, dass sie dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe nicht unbedingt da finden, wo sie geboren wurden und ihre Kindheit verbracht haben. Mittlerweile bestehen die USA zu einem Großteil aus Suburbs, also Vororten, wo man nichts anderes macht als zu wohnen.

Ich bin in einem Vorort aufgewachsen und mochte es überhaupt nicht, vor allem auch nicht den Lebensstil, der damit einhergeht. Als Kind habe ich mich dort geradezu gefangen gefühlt, weil man einfach nirgendwo hingehen und nichts machen konnte. Schon wenn man unerlaubt das Grundstück eines Nachbarn betreten hat, konnte man richtig Ärger bekommen. Und wenn ich mal raus wollte, ging das auch nicht so einfach: Es gibt dort keinen öffentlichen Personennahverkehr – und in meinem Vorort nicht einmal Bürgersteige. Amerikanische Suburbs sind die Hölle, vor allem für Kinder.

Ein typisch amerikanischer Vorort – hier mit Bürgersteig. Foto: pixabay/PublicCo lizenziert nach CC0.

Also sind Suburbs die Ursache dafür, dass Amerikaner immer auf Achse sind?

Naja, nicht unbedingt, aber es spielt da mit rein. Der Prototyp von Heimat ist in der Vorstellung vieler Leute ländlich. Aber das muss er nicht sein. Indem Menschen in Städte ziehen, hält die Stadt auch in die Menschen und ihr Denken Einzug. Im Grunde ist Heimat das, wo man sich zu Hause fühlt.

Zuhause – ist das etwas anderes als Heimat?

Die beiden Begriffe sind miteinander verbunden, aber doch verschieden. Das Wort „Heimat“ ruft andere Bilder hervor als es bei „Zuhause“ der Fall ist. Wenn man etwa in Düsseldorf ist und zurück in seine Dortmunder Wohnung möchte, dann wird man eher nicht sagen: „Ich fahre in die Heimat.“ Oder wenn man Einkaufstaschen sieht, auf denen steht: „Ein Stückchen Heimat“, dann wird damit eine ganze Palette an Vorstellungen und Ideen hervorgerufen, die das einfache „Zuhause“ nicht weckt. Deshalb ist es auch in der englischsprachigen Forschung so, dass der deutsche Begriff „Heimat“ benutzt wird – das englische Wort „home“ wird dem mehrschichtigen und emotionalen System hinter dem ausdrucksstarken „Heimat“ einfach nicht gerecht. So ist etwa „Heimweh“ ein deutsches Wort, das die tiefe Verbundenheit mit der eigenen Heimat und gleichzeitig den Schmerz ausdrückt, wenn sie für einen nicht mehr erreichbar ist.

Haben Amerikaner kein Heimweh?

Doch, wir leiden schon ein bisschen, wenn wir nicht wissen, wo wir dazugehören. Aber da wir sowieso immer auf der Suche nach dem Ort sind, an dem wir dazugehören, ist unser Heimweh einfach anders. Wir glauben, dass wir etwas finden können, was dieses Loch füllen und den Schmerz lindern kann – wenn nicht jetzt und hier, so glauben wir, dann können wir unsere Heimat irgendwo anders finden.


Campusumfrage: Was bedeutet Heimat für dich?
(52 TeilnehmerInnen, Mehrfachnennung möglich)

 


Sie haben jetzt das amerikanische Verständnis von Heimweh erklärt. Wie ist das mit dem deutschen Heimweh?

Wegen der eher stärkeren Ortsgebundenheit bei der Heimatvorstellung ist das in Deutschland etwas anders. Manche Leute können zum Beispiel nur sehr schwer damit umgehen, wenn die eigenen Eltern das Haus verkaufen, in dem man großgeworden ist. An sich ändert sich ja nicht unbedingt viel: Die Eltern ziehen vielleicht nur eine Straße weiter, aber sie bleiben im gleichen Ort wohnen. Trotzdem fühlt man sich, als hätte man einen wichtigen Teil seiner Heimat verloren. Man kann eben nicht einfach nach Hause fahren und in sein altes Zimmer gehen, wo alles so ist, wie es einmal war. Das persönliche Konzept von Heimat muss für einen selbst verloren gehen, damit man sich nach ihr sehnt.

Wäre eine Person, die oft umzieht und immer wieder woanders lebt, „heimatlos“ oder findet sie sich überall ihr Stückchen Heimat?

Das kommt ganz auf die Person an. Es ist so eine Persönlichkeitssache: Für manche Leute ist es total schwer, sich mit so einem rastlosen Leben nicht heimatlos zu fühlen. Das passiert gerade dann, wenn jemand in einer ungewissen Situation lebt. Gerade, wenn man beruflich viel unterwegs ist und einen nomadischen Lebensstil verfolgt, kann man sich schnell in der globalisierten Welt verloren fühlen. Im Vergleich zur nostalgischen Heimatidee wird die jeweils neue Situation dann als nicht gut genug empfunden – nichts kann da mithalten. Dabei kann man jeden neuen Ort als ein Puzzle sehen, in dem es eine freie Stelle gibt. Damit man sich an dem Ort wie zu Hause fühlt, muss man das Puzzle, also den Ort, ein wenig an sich anpassen – indem man etwa Plätze in der Stadt für sich entdeckt und einrichtet. Und dann muss man sich wiederum selbst an den Ort anpassen, zum Beispiel dadurch, dass man die Gepflogenheiten der Leute in der neuen Stadt teilweise übernimmt und dazulernt.

Wieso verlassen Leute dann überhaupt die Orte, die sie als ihre Heimat sehen?

Das liegt vor allem an der Verlockung, dass es irgendwo anders besser ist als da, wo ich gerade bin. Nur weil man weggeht, heißt das ja auch nicht, dass man die Verbindung zu seiner ortsbasierten Heimat verliert. Durch die Globalisierung und verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten ist es heute kein Problem, mit seiner Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. Man möchte einmal die Möglichkeit nutzen andere Lebensarten kennenzulernen und zum Beispiel mal nach Berlin ziehen. Wenn man dort schon einen Freund hat, der einen coolen Lebensstil führt, dann möchte man das vielleicht auch einmal ausprobieren.

Weg von zu Hause heißt nicht gleich auswandern. Noch häufiger als ins Ausland ziehen gerade junge Leute in Deutschland in Ballungsgebiete. Eine Umfrage auf dem TU-Campus (oben) zeigt ein klares Bild: Die meisten Antworten sind Gründe dafür, Deutschland zu verlassen. Johanna und Antonia jedoch haben dabei verschiedene Meinungen:

Das halten zwei unserer Studentinnen vom Auswandern
 Johanna Liedtke (20, links) studiert Raumplanung. Für sie kommt Auswandern nicht in Frage: „Ich will auf keinen Fall auswandern, weil ich meine Familie und Freunde nicht verlassen möchte.“

Antonia Ponikarov (21, rechts) studiert Angewandte Informatik. Sie hat nichts gegen das Auswandern: „Ich finde Japan total interessant und möchte das Land auf jeden Fall einmal besuchen. Am Schönsten wäre es aber, dort zu leben.

Teaserbild: pixabay/Foto-Rabe lizenziert nach CC0.

Beitragsbild: pixabay/unserekleinemaus lizenziert nach CC0.

Das Interview wurde auf Englisch geführt und im Nachhinein durch den Autor übersetzt.

1 Comment

  • StudHilfe sagt:

    Um ehrlich zu sein, klingt für mich total unverständlich, dass manche Leute praktisch kein Heimweh fühlen. Was mich betrifft, habe ich ein starkes Gefühl von Heimat – ich kann genau sagen, wo gehöre ich hin. Vielleicht ist es, wie Frau Pisechko bereits erwähnt, mit dem Lebensstil verbunden. Auch verwirrt mich die Campusumfrage. Ich habe nie gedacht, dass so wenige Menschen meine Sicht teilen.
    Vielen Dank für Ihre Beobachtung!

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