Kein Sport von der Stange


Mit Alkohol säubert Scarlett die Stange, die durch den Schweiß schnell rutschig wird. Dann schwingt sie sich hoch. Eine Drehung links, ein Schwung nach oben: Es sieht so einfach aus, wie sie in den „Lotussitz“ geht oder den „Python“ zeigt. Dabei erfordert Poledance viel Kraft, Ausdauer und eine hohe Körperbeherrschung. Nach außen hin zeigt sich Scarlett ganz entspannt. Dabei war es ein langer Weg, bis sie solche Figuren halten konnte. Auf Momente wie diesen arbeitet die 22-Jährige seit mehr als zwei Jahren hin.

Scarlett in ihrem Element – an der Pole-Stange.

 Scarlett entdeckte den Sport in einer TV-Castingshow – und war sofort fasziniert. „Das sah so einfach und so schön aus“, schwärmt sie. Bei einer Probestunde versuchte sie sich am Tanz an der Stange. „Da habe ich schnell gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist“, sagt die Informatik-Studentin. Gerade das motivierte sie dazu, immer weiter zu trainieren. Anfangs sechsmal in der Woche, sogar sonntags. Wie besessen sei sie von der Idee gewesen, bald so tanzen zu können wie die Frau im Fernsehen. „Erst sah es zwar überhaupt nicht schön aus“, sagt Scarlett, „aber ich wusste, dass es irgendwann so aussehen könnte.“ Trotzdem geht es ihr nicht darum, anderen zu gefallen: „Ich mache das nur für mich. Für diesen Moment, an der Stange zu hängen und zu wissen, dass ich es kann.“

Nach nur einem halben Jahr konnte Scarlett gut genug tanzen, um selbst Unterricht zu geben. Dadurch hatte sie weniger Zeit für ihr eigenes Training. Ihre sportliche Entwicklung blieb auf der Strecke. „Ich wollte wieder mehr an mir persönlich arbeiten“, sagt Scarlett. Also hörte sie als Poledance-Lehrerin auf. Um professioneller trainieren zu können, wechselte sie im vergangenen Sommer das Studio und ließ sich in ihrer eigenen Wohnung eine Stange anbringen. Voller Fokus aufs Training, auch zu Hause. Das brachte den Erfolg: Scarlett qualifizierte sich für das Finale der Deutschen Meisterschaften im Juni in Gießen.

Schmerzen statt Uni

Und Scarletts Ehrgeiz geht noch weiter, obwohl es ihre erste offizielle Meisterschaft ist: „Ich hoffe auf einen Platz auf dem Treppchen“, verrät sie. Bei der Qualifikation gehörte sie bereits zur Spitzengruppe. Die beste Teilnehmerin erreichte 76 Punkte, Scarlett kam auf 71,5 Punkte.

Das Tanzstudio „Pole Garage“ in Hagen.

 „Platzierungen wurden uns bei der Quali nicht genannt, aber das müsste der vierte Platz gewesen sein“, sagt Scarlett. Für ihr großes Ziel muss sie sich bis zum Finale also noch steigern. Sie weiß, worauf es bei den Wettkämpfen ankommt: „Die Juroren achten auf den Schwierigkeitsgrad der Tricks, auf Kraft und Flexibilität. Auch der künstlerische Ausdruck und das Kostüm spielen eine Rolle. Minuspunkte gibt es für nicht gestreckte Beine und Füße, für unabsichtliches Rutschen und natürlich, wenn man von der Stange fällt.“

Aber auch wenn sich die Tänzerin an der Stange halten kann, ist Poledance eine durchaus schmerzhafte Sportart. Das macht Scarlett aber nichts aus: „Wenn ich keine Lust mehr auf Uni habe, geht es ab ins Studio. Dann trainiere ich solange, bis ich solche Schmerzen habe, dass ich nicht mehr an die Uni denken kann.“ Neben den harten Trainingseinheiten studiert die Hagenerin Informatik an der TU Dortmund. Aktuell ist sie im sechsten Semester, bald steht ihre Bachelorarbeit an. Danach will sie den Master machen.

Vom Punk zum Tanz

Scarlett wandelte sich von einer Punkrockerin zur Pole-Tänzerin.

Scarletts Hobby ist für sie ein willkommener Ausgleich zum Studium. Anderen fällt es nicht so leicht, eine Verbindung zwischen Poledance und Informatik herzustellen. Oft hat Scarlett mit Vorurteilen zu kämpfen: „Da kommen schon mal solche Macho-Sprüche wie: ‚Na, willst du dir was dazu verdienen?‘“, erzählt Scarlett. „Dabei hat Poledance überhaupt nichts Anstößiges. Aber das wissen die natürlich auch, die wollen mich nur ein bisschen piesacken.“ Scarlett nimmt es mit Humor: „Wenn ich sie dann einlade, es selbst mal zu probieren, traut sich niemand.“

Mit Rotlichtmilieu oder Oben-ohne-Bars haben seriöse Poledance-Studios nichts zu tun. Scarlett wehrt sich gegen ein solches Image: „Das ist eine ernsthafte Sportart“, sagt sie. Die Entwicklung hin zum Trendsport habe mit der Fitnesswelle um Zumba und Co. zu tun gehabt. Das Vorurteil von extrem ernährungsbewussten Pole-Tänzerinnen lässt Scarlett aber nicht gelten. Auch sie selbst erfüllt solche Klischees nicht. In ihrer Schulzeit war sie sogar eher das genaue Gegenteil, färbte ihre Haare pink, spielte Bass und E-Gitarre in einer Punkband. Doch diese Zeiten sind vorbei. Jetzt konzentriert sich Scarlett vor allem auf ihren Sport und will weiter an sich arbeiten. Nicht nur für die Meisterschaft. Sondern auch, um irgendwann an der Stange so schön auszusehen wie die Frau in der Castingshow.

Fotos: Miriam Wendland

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