Überflieger mit Ängsten

 

Hannes Schöttler beim Wettkampf Foto: Lisa Posorske

Hannes Schöttler beim Wettkampf Foto: Lisa Posorske

Mit 16 Jahren ist Hannes Schöttler in seiner Altersklasse unter den besten Hochspringern Deutschlands. Es fehlt ihm nur noch ein kleines Stück bis zu seinem großen und vor allem hohen Ziel: den zwei Metern. Das hält ihn aber nicht davon ab, zum Parkourtraining zu gehen, Freunde zu treffen und die elfte Klasse zu meistern. Er ist ein sportlicher Allrounder, auch wenn ihm in der Leichtathletik längst nicht alles Spaß macht.

Er ist nervös, das kann man ihm leicht ansehen – er setzt sich auf den grünen Hallenboden, zappelt mit den Beinen und streicht sich immer wieder durch die kurzen blonden Haare. Das kommt sonst nur sehr selten vor, eigentlich ist Hannes Schöttler nie nervös vor einem Wettkampf. Sich warmlaufen war er schon, jetzt wartet er nur noch darauf, dass sein Name aufgerufen wird und er den Lauf so schnell wie möglich hinter sich bringen kann.

200 Meter auf der Rundbahn – das sind genau 200 Meter mehr als sonst, denn er ist kein Läufer. Hannes ist Hochspringer, einer der Besten in NRW. Er ist in der elften Klasse und mit seinen 16 Jahren eigentlich sogar einer der Besten in Deutschland, bis jetzt hatte er nur noch nicht die Möglichkeit, sich bei den deutschen Meisterschaften zu beweisen.

Heute ist kein Hochsprung

sagt er – deshalb läuft er auf Wunsch der Trainerin die 200 Meter und steht dann wieder auf, wandert hin und her und setzt sich wieder hin. Beim Hochsprung hätte er viel mehr Zeit und jeweils drei Versuche pro Höhe. Deshalb sei er da weniger aufgeregt als beim Sprint. Da sei das ganz anders. Da müsse er auf Punkt liefern. Da habe er nur einen Versuch und der muss klappen. „Sobald ich im Block sitze, ist es total schlimm“, sagt er, „ich weiß echt nicht, ob das so eine gute Idee war.“ Viel lieber würde er jetzt gerade in seine weißen, glänzenden Hochsprungspikes schlüpfen und seinen Anlauf ausmessen: 14,5 Füße nach links, 52,5 Füße nach hinten. Viel lieber würde er ein paar Testsprünge machen, um dann auf die weiche, grüne Hochsprungmatte zu fallen, die ihn sonst nach jedem Fall abfedert.

In Gedanken bei der Klausur

Hannes Schöttler Foto: Lisa Posorske

Hannes Schöttler
Foto: Lisa Posorske

Aber darüber will er gerade lieber nicht nachdenken, heute ist ja auch kein Hochsprung. Er lenkt sich mit anderen Gedanken ab. Denkt über Dinge nach, über die man eben so nachdenkt, kurz vor einem Lauf. Wie über die Schule zum Beispiel. „Oh nein, ich schreib Dienstag Mathe“, platzt er schockiert heraus. Dafür gelernt habe er allerdings noch nicht. Und das, obwohl Mathe sein Leistungskurs sei.

Trainerin Wiebke Malow kommt dazu. „Hast du schon Abläufe gemacht?“, fragt sie, und nimmt ein Nicken als Antwort hin. Zusammen mit ihrem Vater Peter Henschel kümmert sie sich um Hannes und die Gruppe, in der er trainiert. Mit Adleraugen korrigiert sie jeden noch so kleinen Fehler.Für den guten Zuspruch ist ihr Vater zuständig. Beide zusammen haben Hannes vor zwei Jahren dazu bewegt, sein Talent für den Hochsprung zu vertiefen.

Hannes und Trainer Peter Henschel beim Training Foto: Lisa Posorske

Hannes und Trainer Peter Henschel beim Training
Foto: Lisa Posorske

„Aber morgen ist ja kein Training, ne? Dann kann ich auch noch lernen“, hakt Hannes nach . Er ist sichtlich erleichtert als seine Trainerin ihm zustimmt. Auch wenn ihm die Matheklausur weitaus weniger Sorgen zu bereiten scheint, als sein bevorstehender Lauf. 

Schon ist die Trainerin wieder weg und Hannes auf sich alleine gestellt. Sie muss zum Weitsprung der jüngeren Athleten, denn der findet parallel  statt. Aber das stört Hannes nicht. Das ist er gewohnt, Leichtathletik macht er inzwischen schon seit Jahren.

Talentiert, aber bescheiden

Schnell hat er einen neuen Gesprächspartner gefunden, ein Junge gleichen Alters, der gleich mit ihm laufen wird. Er weiß, dass Hannes ein Hochspringer ist, wie gut Hannes wirklich ist, weiß er jedoch nicht. „Und wie hoch springst du so beim Hochsprung?“, will er wissen. Hannes zögert einen Moment – als würde er sich fragen: Will ich ihm sagen, wie hoch ich wirklich springe? Was hält er dann von mir? „1,94 Meter“, sagt er dann, und versucht dabei möglichst gleichgültig zu klingen. Sein Gegenüber hakt völlig fassungslos nach „Oh Gott, 1,94 Meter?“ Darauf antwortet Hannes nur mit einem Schulterzucken. Er ist bescheiden und gibt nur selten zu, wenn er sich über seine eigene Leistung freut. Dabei springt er damit wortwörtlich über sich hinaus, rund 15 Zentimeter höher, als er groß ist. Beim Springen wirkt er leicht wie eine Feder, weil er bei seiner Größe nur 57 Kilogramm wiegt.

Bei den Stadtmeisterschaften ist er über 1,94 Meter gesprungen. Da das aber keiner der offiziellen Wettkämpfe ist, zählt die Leistung nur für ihn persönlich. Offiziell ist er bis jetzt „nur“ 1,90 Meter gesprungen. Im Training hat er mit 1,97 Metern an der Zwei-Meter-Marke gekratzt, seinem großen Ziel. Mit 1,97 Metern wäre er deutschlandweit Vierter. Bis zu den Deutschen Meisterschaften hat er es verletzungsbedingt jedoch nie geschafft. In diesem Jahr ist er bei den Westfälischen Meisterschaften auf einen zweiten Platz gesprungen. Mit seiner Leistung hätte er bei den Westdeutschen antreten sollen, da war er aber krank.

Das letzte Mal hat er sich beim Parkour verletzt, seiner zweiten großen Leideschaft. Die hat ihn schon viele Verletzungen und dadurch auch viele bedeutsame Wettkämpfe gekostet. Von Rippenprellungen über Verletzungen an der Hand bis hin zu Bänderdehnungen im Knie und Verstauchungen im Fußbereich, da war alles dabei. Nur Knochenbrüche hat er noch nicht davongetragen. Das alles hält ihn allerdings nicht davon ab, weiterhin zu trainieren, denn Parkour mache ihm „wahrscheinlich noch mehr Spaß als Leichtathletik“.

Die Zwei-Meter-Marke knacken

Den Hochsprung will er trotzdem nicht aufgeben, denn er hat ein Ziel. Er will die Zwei-Meter-Marke knacken und das nicht nur beim Training. Im Moment ist er von diesem Ziel jedoch weiter entfernt, als ihm lieb ist.

Sein Name wird aufgerufen. Im zweiten Lauf muss er starten. Die Anspannung wird immer größer. Er betritt die Bahn, stellt seinen Startblock ein und macht einen Probestart. Dann der Startschuss. Für 100 Meter kann er sein Tempo halten, dann werden seine Beine schwach. Seine Teamkollegen rufen: „Lauf Hannes, lauf!“ Das wäre beim Hochsprung nicht möglich, denn da ist Ruhe geboten. Eigentlich mag er es auch gar nicht, wenn ihm die Leute beim Wettkampf zugucken, sagt er. Aber irgendwie scheint er doch Gefallen daran zu finden. Er kann nicht ernst bleiben, schon gar nicht bei einem 200-Meter-Lauf, und für einen kurzen Moment blitzt ein Lächeln über sein Gesicht. Dann fängt er sich wieder und bringt den Lauf zu Ende.

Nach 24,74 Sekunden kommt er ins Ziel. Das ist für einen Jugendlichen seines Alters nicht schlecht. Spürbar erleichtert stützt er sich auf seinen Knien ab. Er ist Zweiter in seinem Lauf. Insgesamt belegt er damit den dritten Platz. Beim Hochsprung wäre er vermutlich Erster, das ist er meistens.

Hannes Schöttler mit Trainerin Wiebke Malow. Foto: Lisa Posorske

Hannes Schöttler mit Trainerin Wiebke Malow. Foto: Lisa Posorske

Drei mal die Woche trainiert er jeweils für anderthalb Stunden Leichtathletik – aber das bedeutet nicht automatisch auch, dass er für den Hochsprung trainiert. Sprint, Weitsprung, Zirkeltraining: Hannes trainiert in der Mannschaft und die ist nicht auf den Hochsprung spezialisiert. Einzeltraining hat er aber zwischendurch auch, mit seinen beiden Trainern.

Zeit für andere Hobbys bleibt zwischen der Schule und Freunden kaum. Das wisse er selbst, sagt er. Trotzdem habe er sich für den Sport entschieden und das vor allem „weil’s Spaß macht, weil’s anspruchsvoll ist“.

Und weil er gut ist in dem, was er macht. Weil er höher springen kann, als die meisten anderen in seinem Alter. Weil er Ziele hat, die er erreichen will. Und weil er weiß, dass er es schaffen kann, wenn er nur will.

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