Freihandelsabkommen – Chance oder Risiko?

ULRIKE SCHMIDT / CAMPACT -  TTIP Flashmob Hamburg - TTIP Flashmob in Hamburg bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU (Fischmarkt, vor der Fischauktionshalle) mit Angela Merkel

Deutschland rebelliert gegen das Freihandelsabkommen – hier in Hamburg. Foto: Ulrike Schmidt

Bei einem Diskussionsabend zum geplanten Freihandelsabkommen in Dortmund glitt das Gesprächsklima auch schon mal in wütende Zwischenrufe ab. Der von der Europa-Union Deutschland organisierte Bürgerdialog wurde trotz des komplexen Themas lebhaft und mit vielen Emotionen ausgetragen.

Von Christoph Peters

„Hören sie doch mit dieser Gehirnwäsche auf!“, ruft eine Frau aus den hinteren Reihen den Rednern aus Wirtschaft und Politik zu. Die Stimmung ist angespannt, die Diskussion emotional. Einige Besucher des Bürgerdialogs können wohl keine konstruktiven Argumente gegen das viel diskutierte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA finden. Doch es gibt auch Kritiker, die sich sachlich beteiligten, so zum Beispiel zwei Aktivisten der Globalisierungskritiker von Attac. Dass die Publikumsbeteiligung wichtig ist, sieht man auch schon an dem Meinungsbild: sowohl vor als auch nach der Veranstaltung dürfen die Teilnehmer ihre eigene Meinung über TTIP auf einer Skala von „Chance“ bis „Risiko“ festhalten. Zu Beginn ist die Stimmung sehr gemischt.

Wir müssen reden!

Die Europa-Union Deutschland e.V. hatte zu einem weiteren Teil ihrer Bürgerdialogreihe „TTIP: Wir müssen reden!“ eingeladen, dieses Mal in Dortmund. Das Thema: Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Die EU-Kommission verhandelt schon seit 2013 mit Vertretern der US-Regierung. Das Freihandelsabkommen greift in eine Vielzahl an Lebensbereichen ein. Grundlegende Produktstandards und Regulierungsstrukturen sollen angeglichen werden. Kritiker sehen Gefahren für Umweltschutz und heimische Wirtschaftszweige. Und auch die stark kritisierten Schiedsgerichte zum Investorenschutz sind Teil der Verhandlungen. Und das alles für Handelszuwächse und mehr Wirtschaftswachstum.

„In Deutschland wird es kein Chlorhühnchen geben!“

Auch das viel zitierte Chlorhühnchen ist an diesem Abend Thema. CDU-Bundestagsabgeordneter Jürgen Hardt versucht zu beruhigen. „Weder Hormonfleisch noch Chlorhühnchen wird es in Deutschland geben. Auch nicht mit TTIP.“, sagt Hardt in der Diskussionsrunde. Dabei ist das Chlorhühnchen symptomatisch für all jene Bürger, die Angst für einer Überflutung der deutschen Märkte durch qualitativ schlechte Waren haben.

Podiumsdiskussion beim Bürgerdialog in Dortmund. (Foto: Christoph Peters)

Podiumsdiskussion beim Bürgerdialog in Dortmund. (Foto: Christoph Peters)

Hinter verschlossenen Türen

Im letzten Jahr gab es viel Kritik an der Art, wie das TTIP-Abkommen verhandelt wird. Kritiker beklagten das intransparente Vorgehen der EU, einige sahen die Demokratie gefährdet. Es gab Petitionen mit Millionen Unterschriften, tausende Leute gingen auf die Straße. Doch die EU-Kommission versuchte sich an Besserung, stellte Verhandlungstexte dann doch ins Netz. So transparente Verhandlungen wie bisher habe es noch nie bei einem solchen Abkommen gegeben, sagte Lutz Güllner, der selbst für die EU-Kommission mitverhandelt:

 

Erstaunlich jedoch, dass jetzt kaum jemand die Verhandlungstexte auf der Internetseite der EU liest. Die FAZ berichtete vor einigen Wochen, dass die (vorher geheimen) Positionspapiere der EU nur wenige Tausend Klicks über einen Zeitraum von mehreren Monaten aufweisen konnten.

Je mehr Freihandel, desto besser?

Das Freihandelsabkommen soll vor allem Handelshemmnisse wie Schutzzölle zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union abbauen. Schutzzölle sind ein Instrument der Wirtschaftspolitik, um unter anderem bestimmte Wirtschaftszweige vor dem internationalen Wettbewerbsdruck zu schützen. Ohne Schutzzölle könnte zum Beispiel der europäische Bauer nur schwer mit der amerikanischen Großfarm konkurrieren. Mögliche Folgen: Stellenabbau, Insolvenzen, Aussterben der regionalen Landwirtschaft, so beschreibt es Jürgen Maier vom Bündnis TTIP Unfairhandelbar:

 

Doch der Abbau von Handelshemmnissen kann auch beiden Seiten nützen, sowohl die USA als auch die EU würden Milliarden an Gewinnen machen, behaupten zumindest viele TTIP-Studien. Doch wie immer in der Wirtschaftsforschung gibt es verschiedene Rechenmodelle, andere Studien sehen nur geringe positive bis negative Effekte für Deutschland und Europa. Eine Studie des Global Development and Environment Institute aus den USA aus dem letzten Jahr behauptet zum Beispiel, dass TTIP in Deutschland bis zu 130.000 Arbeitsplätze vernichten könnte.

So manch besorgter Bürger fürchtet um seinen eigenen Job. Denn durch TTIP werden viele Unternehmen einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt, und in einem Wettbewerb gibt es auch immer Verlierer. Arndt Kirchhoff, Chef des gleichnamigen multinationalen Automobilzulieferers, sieht die deutsche Wirtschaft hingegen in einer guten Wettbewerbsposition:

 

Und auch kleinere und mittelständische Unternehmer seien seiner Meinung nach im Vorteil durch TTIP: weniger und unkompliziertere Bürokratie für den Warenexport nach Amerika. Er bekennt sich klar zum Freihandel.

Goldrausch in Deutschlands Exportindustrie

Arndt Kirchhoff sieht sogar schon goldene Zeiten für die Automobilindustrie anbrechen. Es sei doch Ressourcenverschwendung, wenn dasselbe Auto aufgrund unterschiedlicher Standards und Normen auf zwei verschiedene Arten produziert werden muss – einmal für den europäischen und einmal für den amerikanischen Markt. Eine zentrale Produktion würde Kosten und Ressourcen sparen, man hätte mehr Mittel für Innovationen und neue Produkte übrig. Und Stellenabbau? Ob die profitierende Industrie dann mit Expansion diese Stellen wieder besetzen wird, bleibt schwer abzuschätzen.

Gerade in Krisenzeiten haben die südeuropäischen Länder Probleme, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ob da ein stärkerer Wettbewerbsdruck durch amerikanische Unternehmen sinnvoll ist? Wie soll ein Land wie zum Beispiel Griechenland damit umgehen? Kirchhoffs Antwort: Erst mal Strukturreformen. Aber ein Verhandlungsende ist noch nicht in Sicht, sehr zur Freude von Jürgen Maier vom Bündnis TTIP Unfairhandelbar:

 

Die Sorgen der anderen

Auf dem Meinungsposter durfte am Ende jeder noch einen zweiten, dieses Mal roten Punkt ankleben. Das Meinungsbild: Gemischt. Viel Bewegung schien es nicht gegeben zu haben. Möglicherweise reicht eine knapp dreistündige Veranstaltung nicht aus, den besorgten Bürgern ihre Ängste und Skepsis gegenüber TTIP zu nehmen. Aber: Selbst eine nicht vollständige Diskussion ist in jedem Fall sinnvoller, als die Öffentlichkeit komplett auszuschließen.

Meinungsposter beim Bürgerdialog in Dortmund. Grüne vor, rote Punkte nach der Veranstaltung. Viel Bewegung ist nicht zu erkennen. (Foto: Europa-Union Deutschland)

Meinungsposter beim Bürgerdialog in Dortmund. Grüne vor, rote Punkte nach der Veranstaltung. Viel Bewegung ist nicht zu erkennen. (Foto: Europa-Union Deutschland)

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