Craft Beer Brauen – so einfach wie Marmelade einkochen?

Eigentlich ist er durch einen Zufall zum Bierbrauen gekommen. Der Mikrobiologe Thomas Raphael hat unter einer alten Dortmunder Biermarke ein modernes Craft Beer entwickelt. In diesem Herbst will er es frisch gezapft auch in seiner neuen Stehbierhalle in Dortmund-Hörde verkaufen. Denn die Dortmunder Kneipen wollen es nicht anbieten.

Die Griffe der Eingangstüren an der neu gebauten Bergmann-Brauerei in Hörde sind noch mit dicker, weißer Plastikfolie umwickelt. Das schwarz glänzende, moderne Gebäude sieht aus wie ein rechteckiger Kubus und scheint so gar nicht zu dem Nachbargebäude passen, dem rotbraunen Ziegelbau einer alten Fabrikhalle und dem stillgelegten Hochofenwerk Phoenix West. In den nächsten Wochen sollen sich vor dem Kubus in der Sonne Menschen tummeln, quatschen und ein frisch gezapftes Craft Beer trinken. Zumindest stellt sich das Thomas Raphael so vor.

Was ist Craft Beer?
Craft Beer kennen die Verbraucher als deutlich teureres Bier mit eigenwilligen Geschmacksnoten wie Ananas, Banane, Grapefruit. Die meisten Craft Beer-Brauer verstehen sich im Wesentlichen als von den Konzernen unabhängige Brauer. Der Begriff stammt ursprünglich aus den USA. Craft bedeutet aufdeutsch erst einmal Handwerk. Also handwerkliches Bier. Der US-Brauerverband hat eine festgelegte Definitionen für das Craft Beer: Small, Independent, Traditional. Genauer beschrieben, muss das Bier aus Brauereien mit einer definierten maximalen Produktion stammen, nur 25% dürfen einem Konzern gehören und das Bier muss aus klassischen Brauzutaten wie Wasser, Malz, Hefe und Hopfen bestehen. In Deutschland wird der Begriff noch unbestimmt benutzt. Der unterschiedliche Geschmack wird meist durch unterschiedliche Hopfenkombinationen erzielt.

Thomas Raphael überprüft den Zuckergehalt der Stammwürze seines Bieres. Foto: Isabella Thiel

Er hat den Kubus so bauen lassen und zieht damit von seinem alten Standort aus dem Dortmunder Hafen mit seinem Brauequipment um. Aber der Baubeginn der Brauerei hat sich immer wieder verschoben. Innen im großen Vorraum des schwarzen Kubus stehen die rustikalen Barhocker noch umgedreht auf den hohen Holztischen der zukünftigen Stehbierhalle. „Hier wollen wir das Bier direkt aus der Produktion in unsere Kunden abzapfen“, scherzt Thomas Raphael. Er hat sich das Bierbrauen selbst beigebracht und findet, „das ist eigentlich so einfach wie Marmelade einkochen. Einen richtigen Bierbraumeister finden sie hier auch nicht“, sagt er über das Craft Beer-Brauen. Also alles ganz einfach?

Das Hobby zum zweiten Beruf gemacht

Thomas Raphael ist eigentlich promovierter Mikrobiologe. Abwasser ist früher seine Hauptarbeit gewesen: das, was am Ende aus einer Fabrik rauskommt. „Das Abwasser funktioniert nur dann gut, wenn die Mikrobiologie stimmt. Eigentlich waren die Kunden immer froh, wenn ich wieder weg bin“, sagt Raphael, „Ich bin derjenige, der Kosten verursachte, aber an dem eigentlichen Produkt, mit dem der Betrieb Geld verdiente, hatte ich ja direkt nichts zu tun, sondern mit dem, was Probleme machen kann, was stinken kann.“ Darum ist er jetzt auch so glücklich über das Bierbrauen. „Jetzt produziere ich etwas. Wenn man will, kann man das Hobby nennen, es sollte Spaß machen, aber es ist doch ganz schön viel Arbeit geworden und ohne ehrenamtliche Helfer hätten wir das nie geschafft.“

Angefangen hat alles vor einigen Jahren mit einer unscheinbaren Notiz in einer langen Liste. Durch Zufall stößt der Mikrobiologe Raphael auf eine alte Dortmunder Biermarke, das Bergmann Bier. Eine Brauerei, die es schon lange nicht mehr gibt. Und ein Bier, das schon lange keiner mehr braut. Aus Spaß kauft er die Markenrechte für 300 Euro und hängt sich die Urkunde über seinen Schreibtisch. Zwei Jahre freut er sich über seine Biermarke, eingerahmt an der Wand, bis ihn ein Bekannter darauf aufmerksam macht, wenn er nicht auch Bier braue, verfalle sein Markenrecht.

Wie Marmelade kochen – eigentlich.

Also bringt er sich das Brauen selbst bei und nutzt die Lizenz. Für eine Charge Bier steht er oft einen Tag lang in der Brauerei. Bis das erste Jungbier fertig ist, dauert es etwa eine Woche. „Meine Freundin sagt immer, Bierbrauen ist doch Klasse, einen Abend bist zu weg und dann eine Woche später gibt es Bier. Naja, ich gucke immer mal wieder nach und nach einer Woche gibt es das Jungbier. Die ganze Arbeit an einem Tag. Wie Marmelade kochen. Am Herd stehen und mit einem Topf kochen.“ Manchmal gibt es aber Probleme mit der richtigen Würzmischung. Thomas Raphael hat gelernt, dass es auf die Nuancen ankommt. „Wenn es schiefgeht und nicht der gewünschte Geschmack entstanden ist, rufen wir unsere Freunde zusammen – zum Wegtrinken.“

So funktioniert das Craft Beer-Brauen
Das Bierbrauen startet Thomas Raphael damit, dass er einen Brautag festlegt. Am Abend vorher muss er dann das heiße Wasser vorbereiten. Dann schrotet er das Malz, um es dann in einer großen Pfanne zu rösten. Stufenweise gießt er nach und nach Wasser dazu, während das Ganze immer mehr erhitzt wird. „So kommen wir an den Zucker vom Malz ran, der dann den Alkohol produziert.“ Er kocht so lange, bis er einen süßen Brei hat, den er in einen Läuterbottich durch einen Filter abgießen kann. Unten raus fließt heißes Zuckerwasser mit Würze. Die ganze Brühe kocht der Bierbrauer Raphael noch einmal sprudelnd auf, um auch alle Mikroorganismen abzutöten. Wenn alles abgekühlt ist, gibt er den Hopfen und ab 10 Grad Celsius auch die Hefe dazu. Jetzt muss das Bier im Gärtank nur noch verweilen. Das dauert etwa eine Woche.

Nicht an die Dortmunder Zapfhähne

„Jetzt beim Bierbrauen freuen sich alle über meine Arbeit. Besonders, dass ich eine alte Biermarke wieder belebe. Ich bekomme so viel Anerkennung – alle finden es toll“, sagt Raphael. Aber dennoch scheinen sich nicht alle zu freuen. An die Zapfhähne in Dortmunder Brauhäusern lassen ihn die Industriebierketten nicht. „Dabei sind meine Mengen ja eigentlich viel zu klein, um eine wirkliche Konkurrenz zu bedeuten.“ Aber das macht Raphael nichts aus. Er verkauft sein Bier bislang frisch gezapft an dem Kiosk am Hohen Wall. Die Menschen, die dort das Bier nach der Arbeit trinken, meinen, das Bier schmecke nicht nur süffig, sondern eigentlich auch nach Dortmund.

Raphael windet sich etwas bei dem Begriff Craft Beer. „Was ist denn Craft Beer? Das habe ich in den USA gesehen, das ist so eine Welle, da reiten alle drauf rum. Dass die nach Deutschland schwappt, habe ich schon früh gesehen.“ Raphael will ein regionales Bier brauen, eines, bei dem die Kunden die Produktion anfassen und ansehen können. „Es ist für uns wichtig, dass Menschen vorbeikommen können. Unser Craft Beer ist Handwerk.“ Die exotischen Geschmäcker wie Kiwi oder Grapefruit anderer Craftbiere sind nicht sein Hauptziel.

So finden die Dortmunder das Bergmann Bier

Detektivarbeit nach einem Bierrezept

Um einen Geschmack zu entwickeln, musste Raphael auf die Suche gehen. Er hatte zwar die Marke gekauft, aber ein Rezept gibt es für das Bier nicht mehr. Raphael findet alte Dortmunder, die den Geschmack des Bergmann Bieres mit „Gemüse, Sellerie und Zwiebeln“ beschreiben, aber was wie ein besonders ausgefallenes Craft Beer klingt, ist ein sogenanntes Fehlbier. Das lernt er, als er auf einem Bierbraukurs einige Biere zum Testen trinken soll, damit die Hobbybierbrauer wissen, wie ein misslungenes Bier schmeckt. Eines schmeckt nach „Gemüse, Sellerie, und Zwiebeln“. „Aber ich wollte ja keinen Bierfehler produzieren“, sagt Raphael und verwirft die Idee. Also testet er verschiedene Rezepte, bis einige ehemalige Biermitarbeiter bestätigen: Ja, so könnte es geschmeckt haben. „Naja und am Anfang ist uns einiges misslungen. Das erste Sudwerk, das wir komplett selber von Hand bedient haben, da haben wir gemerkt, dass das wahnsinnig viel Arbeit ist. Allein, wenn man während dem Brauen telefoniert, gibt es ein anderes Ergebnis und damit einen anderen Geschmack. Da haben wir dann alle Freunde zusammengerufen zum misslungenen Bier-Austrinken, das machen wir heute noch über Facebook. Also doch nicht ganz so einfach wie Marmelade-Einkochen? Inzwischen klappt es eigentlich fast immer. Raphael hat ein modernes Bier entwickelt – und das unter einer alten Traditionsmarke. So passt optisch der futuristisch aussehende, schwarz glänzende, moderne Kubus seiner neuen Brauerei in Hörde dann doch irgendwie neben die alten handwerklichen Ziegelgebäude der ehemaligen Hochöfen.

Beitragsbild und Kioskbild: Jared J. Myers

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