Karneval: Klamauk oder Kulturgut?

DAS DUELL - Vorlage

 

Die fünfte Jahreszeit geht auf die Zielgerade und damit in die intensivsten Tage. Noch bis Aschermittwoch herrscht in einigen Teilen Deutschlands der Ausnahmezustand, wenn die Jecken auf der Straße und in den Kneipen ausgelassen feiern. Sollte man diese Festtage sogar zu gesetzlichen Feiertagen erklären? Ja, meint Pflichtlektüre-Autor Tim Esselmann. Denn der Karneval sei ein schützenswertes Kulturgut. Philipp Rentsch dagegen meint: Alles nur alberner Klamauk mit überholten Bräuchen.

 

Karneval ist Kulturgut

findet Tim Esselmann

Endlich wird wieder jeschunkelt, jesungen und jebützt. Wer die Begeisterung für die närrische Jahreszeit nicht versteht, hat Karneval wohl noch nie dort gefeiert, wo er insgeheim zu Hause ist: Im Rheinland.

Ich war auf einer Schule in der Düsseldorfer Altstadt, einem Zentrum des Straßenkarneval. Bei uns gab es jedes Jahr von Altweiber bis Karnevalsdienstag schulfrei – „Brauchtumsferien“ nannte sich das offiziell. Auch an anderen Schulen wird an Altweiber wenig gelernt und in den Büros der Karnevalshochburgen werden wohl mehr Krawatten abgeschnitten als Akten kopiert.

Warum also nicht gleich Altweiber und Rosenmontag zu gesetzlichen Feiertagen erklären? 

Der Karneval ist ein Kulturgut. Wer schon mal vom „rheinischen Frohsinn“ gehört hat, wird erst an Karneval wirklich verstehen, was das bedeutet. Denn an Karneval zeigen wir Rheinländer der ganzen Welt, wer wir wirklich sind: Ein humorvolles, offenes und herzliches Völkchen. Eigenschaften, von denen sich der miesepetrige Westfale ruhig mal eine Scheibe abschneiden könnte.

An Karneval spielen finanzielle und soziale Unterschiede unter den Jecken keine Rolle, die „Moral“ wird einfach mal vergessen.

Überlieferungen zufolge war das schon zu Zeiten der Ständegesellschaft im Mittelalter so. Die Utopie einer ständelosen Gesellschaft wird also an Karneval zumindest ein bisschen Realität. Niemand würde wohl behaupten, dass das ewig so gut gehen würde. Aber wenn wir es schon im Alltag nicht schaffen – im Karneval sind wir ehrlich, offen und zeigen unser wahres Ich. Wir bützen (freundschaftliches Küssen) fremde Menschen, lachen und schunkeln mit ihnen. Neue Leute lernen wir ohne die Fassaden des Alltags kennen. Ich selbst kenne allein fünf Pärchen, die sich an den Karnevalstagen kennengelernt haben (offen gestanden auch genauso viele, die sich in diesen Tagen getrennt haben).

Der Karneval macht uns ehrlich, glücklich und sorglos. Ein schönes Gefühl, dass man nicht nur im Rheinland genießen sollte. 

Um dieses Fest und seine schier magische Wirkung auf die Menschen zu würdigen, sollten die Karnevalstage endlich zu gesetzlichen Feiertagen erklärt werden. Die Jecken könnten endlich vollkommen sorglos feiern und wer sich vom jecken Virus wirklich nicht anstecken lassen will, der könnte sich tagelang in seiner Wohnung einsperren ohne auf dem Weg zur Arbeit auch nur einem einzigen Narren begegnen zu müssen. 

In diesem Sinne: Helau und Alaaf!

Karneval ist Klamauk

findet Philipp Rentsch

Ködern mit allen Methoden: Weil der Jecken-Nachwuchs ausgeht, wollen einige Karnevalisten nun ihre Tänze in den Schulsport eingliedern, titelte die „WAZ“ vor wenigen Tagen. Eine Idee, die weder praktikabel ist, noch den Prioritäten und Zielen der schulischen Bildung entspricht. 

Die Begeisterung unter Jugendlichen an Karnevalsorganisationen ist so gering, dass Werbungen in staatlichen Bildungseinheiten anscheinend das letzte Mittel sind, um die Nachwuchssorgen zu lindern. 

Nicht verwunderlich bei so vielen Bräuchen, die längst nicht mehr zeitgemäß sind.

So wird mitten im Ruhrgebiet, genauer gesagt in Wattenscheid, die alte, aber gewiss nicht gute Tradition des sogenannten Gänsereitens gepflegt. Wer der (toten) Gans als Erster den Kopf abreißt, darf sich als der neue Karnevalskönig feiern lassen.

Ein Brauch, der für Außenstehende ähnlich schräg anmutet: An Weiberfastnacht wird Jagd auf Krawatten und Schnürsenkel gemacht. Es werden Rathäuser unsicher gemacht und schließlich erobert. Parallel laufen im Fernsehen zur besten Sendezeit Übertragungen von langweiligen Karnevalssitzungen, um auch noch denjenigen altertümliche Trachten und peinliche Verkleidungen unter die Nase zu reiben, die von der narrenverseuchten Straße vor dem TV geflüchtet sind.

Selbst abseits dessen ist Karneval mehr Klamauk als Kulturgut.

Jugendlichen, die sich zumindest für den Straßenkarneval interessieren, ist der Rosenmontag oft nur ein willkommener Anlass, über die Stränge zu schlagen – Rausch oder Randale sind oft die Folge.

Dementsprechend darf nicht einmal daran gedacht werden, den Rosenmontag zu einem gesetzlichen Feiertag zu erheben – und damit die Zeit der guten Laune und des wilden Feierns qua Kalender zu verordnen. Schließlich gibt es hierzulande auch Regionen, in denen Karneval kaum oder gar keine Rolle spielt. Einer „Forsa“-Umfrage zufolge ist bundesweit ohnehin nur jeder Dritte ein Anhänger des närrischen Treibens.

Alle anderen sind froh, dass am Aschermittwoch wieder alles vorbei ist.

 

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann 
Screenshot Teaserfoto: twitter.com/TheEllenShow

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