Freihandelsabkommen mit Indien – Chance oder Risiko?

Es ist die größte Demokratie der Welt, die drittgrößte Volkswirtschaft und hat eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen: Indien ist dabei, sich zu einer wirtschaftlichen Großmacht zu entwickeln. Das hat auch die Europäische Union mitbekommen und verhandelt seit 2007 mit dem Land über ein Freihandelsabkommen − bis heute jedoch ohne Ergebnis. 

Vier Jahre liegt die letzte Verhandlungsrunde zwischen Indien und der EU jetzt schon zurück. Bei den Gesprächen zum Freihandelsabkommen mit der aufstrebenden Volkswirtschaft dominiert Stillstand statt Fortschritt. Grund dafür sind ständig wiederkehrende Streitereien aus der Vergangenheit, beispielsweise zu hohe Zölle auf indischer Seite, erschwerte Visa-Bedingungen auf europäischer − und nachgeben kommt für keinen der Verhandlungspartner infrage. Die Ansprüche an ein Freihandelsabkommen seien einfach zu unterschiedlich gewesen, erklärte die EU damals die erneute Verhandlungspause.

Was ist ein Freihandelsabkommen?
Ein Freihandelsabkommen ist eine Vereinbarung zwischen zwei (bilateral) oder mehreren (multilateral) Staaten. Ziel ist es, den Handel zwischen den Parteien zu erleichtern und so das Wirtschaftswachstum zu fördern. Dafür werden beispielsweise Zölle abgeschafft oder Ein- und Ausfuhrverbote aufgehoben. Gegenüber Drittstaaten bleiben diese Handelseinschränkungen allerdings häufig bestehen. Der Erfolg eines Freihandelsabkommens ist abhängig vom Entwicklungsgrad der beteiligten Staaten.

Nun scheinen sich die Chancen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, allerdings zu verbessern. Bei den 4. Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen in Berlin Ende Mai drängte Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf, die Gespräche fortzuführen. Auch Indiens Premierminister Narendra Modi bekannte sich zum freien Handel, sprach sich allerdings nicht explizit dafür aus, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Das Engagement Indiens beim Klimaschutz und die Zusammenarbeit mit Deutschland im Bereich erneuerbare Energien, Umwelt- und Ressourcenschutz sprechen ebenfalls für eine Fortsetzung der Gespräche. Bei früheren Verhandlungen war die fehlende Bereitschaft Indiens, das Klima zu schützen, häufig kritisiert worden.

Indien und die EU sind aufeinander angewiesen

Die EU ist schon jetzt der größte und einer der wichtigsten Handelspartner Indiens. Doch auch die Europäische Union ist auf die wachsenden Märkte im asiatischen Raum angewiesen, gerade jetzt, da Trump die USA immer weiter isoliert. „Angesichts der augenblicklichen Situation gibt es nochmal mehr Gründe, dass wir unser Schicksal in Europa auch alleine in die Hand nehmen müssen“, sagte Angela Merkel beim Treffen mit Modi.

Ein Freihandelsabkommen mit Indien hätte für Deutschland viele Vorteile. Laut einer Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung würde das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands jährlich um 4,6 Milliarden Euro steigen. Zudem käme es der exportorientierten deutschen Wirtschaft zugute: Der deutsche Außenhandel mit Indien wächst bereits seit 2004 stetig. Profitieren würden insbesondere Hersteller von Kraftfahrzeugen und Maschinen. Allein 2016 haben deutsche Hersteller mit dem Export von Maschinen nach Indien etwa 3 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Benachteiligt wäre durch das Abkommen unter anderem die Textilindustrie: Aus diesem Bereich wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von etwa 1,5 Milliarden Euro aus Indien importiert.

Deutscher Außenhandel mit Indien 2016, erstellt mit piktochart, Quelle: Statista

Was fordern die Vertragspartner vom jeweils anderen?

Die Europäische Union fordert, dass Indien die hohen Einfuhrzölle für europäische Autos senkt. Derzeit müssen die Autohersteller Zollgebühren von etwa 60 Prozent des Produktwertes bezahlen. Indien wiederum befürchtet, dadurch die eigene Produktion zu bedrohen.

Ein anderes Streitthema sind landwirtschaftliche Produkte. Europa subventioniert diesen Wirtschaftsbereich stark, Indien hingegen kaum. Das Land befürchtet, viele heimische Bauern in den Ruin zu treiben, würde es die Märkte für europäische Erzeugnisse öffnen. Ein Konzept, das die Bauern in diesem Falle unterstützen würde, gibt es in Indien nicht.

Indien fordert, dass Europa den Arbeitsmarkt indischen Fachkräften, vor allem aus dem Software- und IT-Bereich, zugänglich macht. Für diese ist es oft schwer, ein Visum zu bekommen. Insbesondere Großbritannien weigerte sich zuletzt, die Visa-Beschränkungen für indische Fachkräfte zu ändern.

Ohne Kompromisse kein Freihandelsabkommen

Wenn es zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien kommen würde, wäre es an der Bevölkerung gemessen mit 1,8 Milliarden Menschen die größte Freihandelszone der Welt. Aber selbst, wenn die Gespräche wieder aufgenommen werden: An den zentralen Streitpunkten hat sich seit dem Beginn der Verhandlungen vor zehn Jahren wenig geändert. Trotzdem ist Indien ein wichtiger und vor allem schnell wachsender Zukunftsmarkt, der der Europäischen Union viele Möglichkeiten bieten kann. Kompromisse sind dafür aber auf beiden Seiten unerlässlich.

Die aktuellen Freihandelsabkommen der EU im Überblick

Die EU hat aktuell Abkommen mit 34 Ländern geschlossen, um den freien Handel sichern. Zuletzt ist eine Vereinbarung mit Ecuador hinzugekommen: Das Land hat sich dem „Handelsübereinkommen der Andengemeinschaft“ angeschlossen, das bislang Kolumbien und Peru umfasste. Zusätzlich ist die EU Teil der Welthandelsorganisation (WTO). Diese versucht, den weltweiten Handel so flüssig und frei wie möglich zu gestalten.

Europäische Freihandelsabkommen weltweit. Quelle: Europäische Kommission, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Beitragsbild: Lena Zaubzer

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