Hate Poetry: Leserbriefe voller Hass

Kommentare, Mails und Leserbriefe voller Beleidigungen. Die freie Journalistin Mely Kiyak, Yassin Musharbash (Die Zeit) und Deniz Yücel (taz) kriegen sie massenhaft zugeschickt. Beim Hate Poetry tragen sie diese Zuschriften vor – und wollen die Zuschauer damit zum Lachen bringen. Denn am Ende küren die Zuschauer per Applaus den Sieger der verschiedenen Kategorien.

„Na, Deniz? Schmeckt dir das Mousse au Chocolat aus dem Arsch der Arier, wenn du ihnen täglich ihre fetten Nazi-Ärsche ausleckst?“ taz-Redakteur Deniz Yücel liest gerade aus einer Mail vor, die er als Reaktion auf eine Kolumne erhalten hat. Im Publikum sorgt das für lautes Gelächter. Und genau darauf zielen die Journalisten beim Hate Poetry auch ab. Denn mit der Veranstaltung wollen sie seit zweieinhalb Jahren unter dem Motto „Fremdenhass gemeinsam weglachen“ ein Zeichen gegen Rassismus setzen.

 

Am 11. Mai war die Veranstaltung nun im Prinz-Regent-Theater in Bochum zu Gast. Dabei war Hate Poetry, das zum ersten Mal im Januar 2012 im Berliner taz-Café stattfand, nur als einmalige Aktion gedacht. Die Idee kam von der taz-Redakteurin Ebru Tasdemir, die selbst regelmäßig mit rassistischen Kommentaren konfrontiert wird. „Sie hat damals die Frage an uns herangetragen: Muss man das der Öffentlichkeit nicht mal in irgendeiner Art und Weise vorführen? Wir haben alle gesagt: Ja, das können wir uns vorstellen“, erklärt Yassin Musharbash von der Zeitung „Die Zeit“. „Aber das wäre ziemlich öde, wenn wir daraus eine reine Betroffenen-Veranstaltung machen. Wir wollten den Spieß umdrehen und das Ganze zu unserem Abend machen. Wir wollen nicht rumheulen, wir wollen feiern.“ Die Veranstaltung kam hervorragend an, so dass sich in den nächsten zweieinhalb Jahren immer mehr Journalisten beteiligten und fünf weitere Städte angepeilt wurden. 

Deniz Yücel, Yassin Musharbash, Mely Kiyak und Moderatorin Doris Akrap (v.l.) beim Hate Poetry in Bochum.

Deniz Yücel, Yassin Musharbash, Mely Kiyak und Moderatorin Doris Akrap (v.l.) beim Hate Poetry in Bochum.

Unterteilt ist die Veranstaltung in verschiedene Kategorien, den Anfang macht die Kategorie „Sehr geehrter Herr Arschloch, sehr geehrte Frau Fotze“. Bei den „Abokündigungen“ tragen die Journalisten Texte vor, mit denen Leser drohen, ihr Abo kündigen zu wollen. Die „Große Oper“ bietet Platz für besonders lange Texte der unzufriedenen Leserschaft. In der letzten Kategorie „Kurz und schmutzig“ werfen die Journalisten dann mit Beleidigungen um sich, die sie in ihrer Laufbahn zugeschickt bekommen haben. Sieger ist in dieser Kategorie derjenige, dem als letztes die Beleidigungen ausgehen. In den anderen Kategorien entscheidet Moderatorin Doris Akrap (taz), die als „Applausometer“ fungiert, welcher Journalist den lautesten Applaus bekommen hat.

 

 

Neben dem Format ist beim Hate Poetry vor allem die Atmosphäre außergewöhnlich. Die Journalisten bieten den Zuschauern Snacks aus ihren Heimatländern an, werfen Süßigkeiten ins Publikum und erzählen lustige Anekdoten aus ihrem Berufsleben. So werden Beschwerdebriefe über Mely Kiyak an das Satiremagazin Titanic geschickt, obwohl Kiyak nie für Titanic gearbeitet hat. Die Veranstaltung hilft also auch den Journalisten im Umgang mit ihren Erlebnissen. „Es ist was ganz anderes, ob Sie mit so einem Brief abends alleine aus der Redaktion nach Hause laufen und sich nach der 700. Mail fragen: Haben die vielleicht recht? Bin ich ein Idiot? Oder, ob Sie das vortragen und merken: Wenn ich das vortrage, offenbart sich was“, sagt Musharbash.

 

Ein fader Beigeschmack bleibt bei der Veranstaltung jedoch, denn um mangelndes Material müssen sich die Journalisten keine Sorgen machen. Dabei kommt es aber auch darauf an, worüber die Journalisten schreiben. Musharbash: „Wenn Sie mal in einem deutschen Medium einen Anti-Sarrazin-Kommentar schreiben, bekommen Sie schon mal 700 Mails pro Stunde. Und in den allermeisten wird auf Sie eingeprügelt. Online sind die Leser eben nur einen Klick von einem Kommentar entfernt. Die schiere Masse ist schon erdrückend.“ Hate Poetry ist dann eine Art Therapie, die hervorragend funktioniert, wenn alle Beteiligten Rassismus verachten.

 

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