Nicht jede Jacke eine Spende

Jacke in Waibstadt

 

Wer in einem Flüchtlingsheim einen Film dreht, der muss sich damit abfinden, dass nicht immer alles glatt läuft. Seit unserem Dreh in Waibstadt weiß ich: Gerade wenn etwas schiefgeht, lernt man am meisten.

Waibstadt im Dezember 2014, erste Drehwoche für den Film „Waibstadt – Ein Dorf hilft“. Ich betrete das Heim durch die Vordertüre, mittlerweile zum fünften, sechsten Mal in wenigen Tagen. Ich stehe in der Eingangshalle, rechts ist das Büro der Sozialarbeiterin, die ich bis jetzt noch nie gesehen habe. „Weil hier ja nichts ist, wofür die kommen müsste“, haben mir einige Waibstädter erzählt. Es ist brüllend heiß, zumindest hat man das Gefühl, wenn man gerade hereinkommt. Draußen liegt die Temperatur knapp unter Null. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie auf das Bord vor dem Büro.

Also hoch in die zweite Etage. Frau Zahid, die wir seit unserer ersten Begegnung gestern duzen, erwartet uns zum Kaffee. Ich klopfe, die Tür geht auf, und Kalsoom Zahid strahlt. „Welcome, come in please!“, sagt sie mit einem Akzent, der an Indien erinnert. Tatsächlich kommt sie aus Pakistan. Meine Kollegen Anjoulih, Tim und Jimmy sind schon da, sitzen in dem kleinen Zimmer zu dritt auf einer Couch. Kalsoom steht, obwohl noch ein Stuhl frei wäre. Ein wenig unschlüssig wohin mit mir, stehe ich kurz im Raum, bevor sie mich zielstrebig auf den verbleibenden Stuhl zulotst und einen Teller mit dampfendem Hackfleisch und einem Teigfladen vor mich stellt. Daher also der Geruch, der so gar nicht zur Einladung passte.

Nach zehn Minuten brennt mein Mund ein wenig, das Würzen beherrschen die Pakistani zur Genüge. Kalsoom hat das bemerkt und springt mir mit einer Flasche Cola zur Seite. „Mmh, Aldi-Limo, nicht so mein Fall“, denke ich – und möchte mich im nächsten Moment ohrfeigen. Eine Frau, die in ihrer Heimat alles verloren hat, bietet mir ein Glas Cola an, und mir ist das nicht gut genug. Erbärmlich.

Auch im Verlauf unseres Besuches bleibt Kalsoom stehen. „The guests will sit“, sagt sie. Wir unterhalten uns mit ihr über das Heim, ihr Leben in Pakistan, ihren Alltag in Deutschland. Sie mag dieses Haus lieber als das in Sinsheim, in dem sie vorher mit ihrem Mann und drei Kindern untergebracht war: „The people there always shout, fight, always hate everywhere.“ 500 Flüchtlinge lebten dort, alle in Container-Häusern, Kontakt zu den Sinsheimern gab es nicht. In Waibstadt dagegen werde sie gut aufgenommen, sagt Kalsoom, jeden Tag kämen Bürger, um nach den Flüchtlingen zu schauen und ihnen zu helfen. Ein Satz ist mir besonders im Kopf geblieben: „This is not Heim. This is Haus.“

Eingangstür Kalsoom Zahid

Die Zimmertür von Familie Zahid mit „Willkommen“-Schild

Von einer Einladung zur nächsten

Natürlich bleibt es nicht beim Mittagessen. Wenn sie Kaffee versprochen hat, dann muss es auch welchen geben. Und so bleiben wir fast eine Stunde bei Familie Zahid. Kalsooms Mann Qaiser gesellt sich zu uns, als er den Kaffee bringt. Wir verabschieden uns mit einer Umarmung.

Doch kaum hat sich die Tür hinter uns geschlossen, da spricht uns eine junge Frau in gebrochenem Englisch an und bittet uns in ihre „Wohnung“: zwei Zimmer am Ende des Ganges, die einen gemeinsamen Zugang haben. Wieder werden wir gebeten, uns auf Couch und Stühle zu setzen, unsere Gastgeber begnügen sich mit dem Bett. Natürlich erst nachdem sie jedem von uns vieren ein großes Glas Multivitaminsaft serviert haben.

Hier verabschieden wir uns nach etwa einer halben Stunde wieder, wir wollen noch zu den Eritreern. Die acht jungen Männer aus Ostafrika spielen in unserem Film eine wichtige Rolle, wir wollen mit ihnen noch einige Szenen im Waibstädter Schwimmbad drehen. Auch bei ihnen springen einige auf, um uns ihre Plätze anzubieten. Was noch in der Pfanne ist, teilen die acht Jungs mit uns. Ich lehne dankend ab, schließlich habe ich schon oben bei Kalsoom gegessen. Aber einen Tee dürften sie mir doch anbieten, fragt einer: „You are the guest!“ Na dann, einen nehme ich.

Wieder bleiben wir etwa eine halbe Stunde, dann brechen die Eritreer auf. Während die Jungs sich noch fertig machen, gehe ich schon mal in den Eingangsbereich, ich muss ja noch meine Jacke anziehen, die da unten liegt. Denke ich zumindest. Auf dem Bord vor dem Büro der Sozialarbeiterin liegt aber rein gar nichts. Ich schnappe mir direkt den ersten Heimbewohner, der mir über den Weg läuft, „where is my grey jacket?“ Keine Antwort, nur Schulterzucken. Noch zweimal das gleiche, ich werde langsam böse. Nummer vier weiß auch nichts, Nummer fünf hilft uns 20 Minuten lang bei der Suche.

Flüche und das Missverständnis

Wir finden sie nicht, und auf unserem Weg zu Hallenbad feuere ich eine Serie von Flüchen ab, wie sie Anjoulihs Auto sicher noch nicht gehört hat. Ich sage sogar – für einen kurzen Moment ist alle Gastfreundschaft der letzten Stunden vergessen – : „Die sollten mal froh sein, dass die überhaupt hier sein können. Dann auch noch die Jacke klauen!“ Heute schäme ich mich dafür.

Als wir nach einer Stunde Dreh wieder am Heim ankommen, ist die Jacke noch immer nicht aufgetaucht. Also ab nach Hause, wir essen zu Abend, sitzen danach vor dem Fernseher, die Jacke ist vergessen. Weg halt. Geklaut. Dann klingelt Anjoulihs Handy: „Was, echt? Klasse! Klar, wir kommen sofort“, sagt sie, wirft mir den Autoschlüssel zu und grinst: „Die haben die Jacke gefunden.“ Als ich wenig später durch die Vordertür des Heims trete, bietet sich mir ein komisches Bild: 10, vielleicht 15 der 80 Heimbewohner stehen im Halbkreis, Nummer fünf meine Jacke in der Hand. „Here is your jacket, we are so sorry“, versichert er mir aufgeregt. „No problem, everything’s fine. Thank you“, versuche ich ihn zu beruhigen, doch er sagt das Wort noch mindestens zehnmal: „Sorry“.

Nach etwas hin und her bekomme ich heraus, was los war: Viele Waibstädter legen ihre Kleiderspenden genau an die Stelle, wo auch meine Jacke ein paar Stunden auf mich warten sollte. Das hieß für die Flüchtlinge natürlich: Greift zu!

Auf dem Weg zurück denke ich über den Tag nach: Über die vielen Einladungen, über die drei Getränke, die ich nicht ablehnen konnte, und über die Hilfsbereitschaft von Nummer fünf, dessen Namen ich bis heute nicht kenne. Seitdem habe ich zwar immer noch vor vielem Angst, vor dem Islam im Abendland allerdings nicht mehr.

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