Student zum Schein

Foto: Stephan Bachmann / pixelio.de

Geschafft, Abitur! Doch was kommt danach? Bei manchen Abiturienten macht sich Verzweiflung breit, wenn sie sich nach vielen Jahren in der Schule plötzlich mitten im Leben befinden und Entscheidungen treffen müssen, die ihre gesamte Zukunft beeinflussen können. Bei Lara*, die 2013 ihr Abitur bestand, sah es ähnlich aus. Genau diese Verzweiflung war für sie der Grund ein Scheinstudium zu beginnen.

Die heute 21-Jährige plante nach dem Abitur zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr einzulegen. Als sie dafür keine Zusage erhielt, spielte sie mit dem Gedanken Sozialpädagogik zu studieren. Denn schon zu Schulzeiten sei Pädagogik eines ihrer Lieblingsfächer gewesen und auch die Arbeit mit Menschen würde ihr Spaß machen. Der Numerus Clausus (NC) lag allerdings unter ihrem Abiturschnitt. Deshalb machte sie sich Gedanken um einen Plan B, als sie die ersten Absagen erhielt. „Mein größtes Problem war dabei mein Lebenslauf. Ich hatte Angst, dass sich eine Lücke einschleicht und ich ein falsches Bild bei späteren Arbeitgebern abgebe, falls ich in diesem Jahr nichts bekommen hätte“, sagt Lara.

Mit Kunst und Mathe zu Sozialpädagogik?

Auch die Unsicherheit habe bei ihrer Entscheidung ein Scheinstudium zu beginnen eine große Rolle gespielt. Laras große Angst war – nach jahrelanger Warterei auf einen Studienplatz in Sozialpädagogik – vielleicht irgendwann zu merken, dass das Fach doch nicht das richtige für sie sein würde und am Ende ohne etwas Handfestes dazustehen. Da sie sich nicht anders zu helfen wusste, schrieb sie sich also für zwei NC-freie Fächer ein: Kunst und Mathematik. Kunst lag ihr zu Schulzeiten schon gut, Mathe jedoch war noch nie ihr Ding.

Die Hoffnung so in ihr Wunschstudium reinrutschen zu können oder an den Fächern, für die sie nun eingeschrieben war, Gefallen zu finden, hätten sie zu diesem Schritt angetrieben. Zwei Semester blieb Lara immatrikuliert. Einen Monat lang habe sie zunächst Vorlesungen besucht und versucht sich mit ihrem Studiengang anzufreunden. Doch der Funke sei nicht übergesprungen; Lara hat früh gemerkt, dass ein Studium sogar grundsätzlich nichts für sie ist.

Durch das Scheinstudium das Richtige für sich gefunden

 „In der Zeit des Scheinstudiums habe ich für mich entdeckt, dass mir ein Studium nach dem Abitur zu unsicher ist. Somit habe ich mich für eine Ausbildung entschieden. Während der zwei Semester, die ich an der Uni eingeschrieben war, hatte ich genügend Zeit mich um Bewerbungen und Bewerbungsgespräche zu kümmern und mich vorzubereiten“, sagt Lara.

Weitere Vorteile durch die Immatrikulation: „Zunächst einmal hatte ich die Lücke im Lebenslauf gedeckt und die innere Ruhe gewonnen, um mir genauere Gedanken über meine Zukunft machen zu können. Ich hatte diesen inneren Druck nicht mehr und konnte mit einem freien Kopf Entscheidungen fällen. Zusätzlich war das Studententicket sehr vorteilhaft, weil man fast überall damit hinkommt.“ Das Semesterticket war dabei nur ein Vorteil: Krankenversicherung für Studierende, Vergünstigungen im Kino oder im Theater zählten ebenso zu den Vorzügen, die sie als Studentin genoss.

Scheinstudent auf Kosten anderer?

Ob der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) finanzielle Nachteile durch solche Scheinstudenten hat, könne man nicht genau bestimmen, berichtet Holger Finke vom VRR. „Jeder, der als ordentlich Studierender immatrikuliert ist, bekommt ein Semesterticket zur Verfügung gestellt. Was diese Person mit ihrem Studium macht oder ob sie wirklich studiert lässt sich gar nicht festhalten“, sagt Finke.

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Jedem Studenten steht ein Semesterticket zur Verfügung, mit dem er im VRR-Gebiet frei reisen kann. Foto: Feyza Bicakci

Lara sei es allerdings ohnehin nicht in erster Linie um Geld gegangen, da sie nebenbei gearbeitet und ihr eigenes Geld verdient habe. Sie erfüllt also nicht die prototypische Vorstellung eines Scheinstudierenden, der einzig und allein darauf aus ist die finanziellen Vorteile abzusahnen. Bei Lara stand vielmehr die berufliche Orientierung im Fokus. Familie und Freunde hätten sie während des Jahres, in dem sie an der Universität eingeschrieben war, immer bei ihren Plänen unterstützt. Sie hätten ihr vertraut und sich schließlich für sie gefreut, dass sie durch das Scheinstudium herausgefunden habe, dass sie lieber eine Ausbildung absolvieren möchte.

Rechtlich gesehen hätten Scheinstudenten grundsätzlich zunächst nicht viel zu befürchten, berichtet Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund. Wie ernst jemand sein Studium nehme und wie lang er dafür brauche, sei grundsätzlich erstmal jedem selbst überlassen. Auch ein ernsthaft Studierender könne eine Orientierungsphase im Studium brauchen oder feststellen, dass die getroffene Studienwahl falsch war. Allerdings würde das Hochschulgesetz NRW klar regeln, wer wann exmatrikuliert werden könne (§ 51 Abs. 3 S1.). Dies sei unter anderem der Fall, wenn Studierende ihr Studium nicht aufnehmen. Hintergrund dieser Regelung sei, dass sich Studierende nicht aus studienfremden Motiven einschreiben sollten, also etwa um ein Semesterticket zu erhalten.

Allerdings würde auch die Gesetzesbegründung zu dieser Regelung einräumen, dass „das Land bei einer Einschreibung aus studienfremden Motiven nicht hinreichend  belastbar die erforderlichen Informationen über das tatsächliche Studierverhalten  gewinnen“ kann. Eine Studierpflicht werde also nicht gefordert, es solle allein dem offensichtlichen Missbrauch vorgebeugt werden. Entsprechend dazu liegen beim Bundesamt für Statistik keine Zahlen von Studenten vor, die zwar an einer Hochschule eingeschrieben sind, aber nicht studieren.

Scheinstudium – eine gute Tat?

Ob Lara je Gewissensbisse oder den Gedanken hatte, jemandem den Studienplatz weggenommen und sich Vorteile erschlichen zu haben? Nein. Zum einen wählte Lara Studiengänge, die nicht zulassungsbeschränkt waren. Zum anderen können Scheinstudenten sogar von Vorteil sein, sagt sie. Immerhin würden auch sie ihren Semesterbeitrag zahlen und – weil sie nicht in Vorlesungen auftauchten – dafür sorgen, dass Lehrkräfte nicht belastet würden. So könnten diese sich intensiver um die ‚echten‘ Studenten kümmern.

Dennoch rät Lara, im Rückblick auf ihre eigenen Erfahrungen, niemandem zu einem Scheinstudium: „Man sollte rechtzeitig anfangen, sich mit Studiengängen zu befassen und vielleicht auch mal Vorlesungen besuchen und reinschnuppern. Auch wenn ich keine direkten Nachteile durch das Scheinstudium hatte, habe ich trotzdem ein Jahr verloren, was nicht passiert wäre, wenn ich mich von vornherein für eine Ausbildung beworben hätte.“

Derzeit macht Lara eine Ausbildung zur Industriekauffrau.

*Name geändert

Teaserfoto: Stephan Bachmann / pixelio.de

1 Comment

  • Leo78 sagt:

    Ich finde das nicht so schlimm, wenn das jemand mal für 1 – 2 Semester macht. Warum sollen junge Leute nach der Schule nicht mal ein bisschen experimentieren dürfen? Woher soll denn ein Schulabgänger sofort wissen, was das richtige für ihn ist? Lara hat die Zeit an der Uni ja genutzt, um aktiv ihre berufliche Zukunft zu planen. Hätte sie sich gleich abgemeldet, hätte sie eine Lücke von einem Jahr im Lebenlauf gehabt. Problematischer sehe ich es dagegen, wenn jemand, der einen festen Job hat, jahrelang an der Uni eingeschrieben ist, nur um günstig Bahn fahren zu können. Das ist dann schon eine Vergeudung von Ressourcen, die von Steuergeldern finanziert werden und auch ein Betrug an der Gesellschaft.

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