„Inflation trifft Studenten härter als Arbeitnehmer“

Wim Kösters ist Professor am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er hat sich sein Leben lang mit Inflation beschäftigt und hält es auch jetzt für möglich, dass es in einigen Jahren zu einer spürbaren Inflation kommt. Die würde dann auch Studenten hart treffen.

pflichtlektuere: Im September hat Bundesbank-Chef Jens Weidmann als einziger im EZB- Rat gegen die Pläne von Mario Draghi gestimmt, wonach die EZB unbegrenzt Staatsanleihen kaufen kann. Hätten Sie auch so entschieden?

Prof. Dr. Wim Kösters: Das war eine schwierige Entscheidung. Die Europäische Zentralbank musste so handeln, weil sie derzeit die einzig handlungsfähige Institution in der Europäischen Union ist, wenn es um die Lösung der Staatsschuldenkrise geht. Der Europäische Rat hat nicht viel zu Lösung der Krise beigetragen, die Staatschefs haben keine politische Lösung der Euro-Krise gefunden. Der EZB-Schritt war insofern verständlich. Gleichwohl bin ich in Sorge über den Beschluss, denn er kann zu Problemen führen: Die EZB hat nun die Möglichkeit, Staaten direkt zu finanzieren, was vertraglich eigentlich verboten ist.

Angesichts der Niedrig-Zins-Politik und der Anleihenkäufe fürchtet Weidmann, dass sich die Geldmenge unkontrolliert ausweitet. Für wie realistisch halten Sie es, dass es zu einer spürbaren Inflation kommen wird?

Es gab in der Geschichte keine Inflation, in der die Geldmenge nicht größer wurde. Aktuell bleibt die Geldmenge konstant. Die EZB musste die Zinsen niedrig halten, um die Liquidität im Bankensektor zu gewährleisten. Die Banken haben sich gegenseitig nicht mehr vertraut und kein Geld geliehen – dieser Mangel ist nun behoben.
Problematisch wird es, wenn die Wirtschaft anspringt und sich Unternehmen günstig Geld leihen. Dann würde die Geldmenge rasant steigen, falls die EZB nicht rasch die Schranken schließt. Ich habe Zweifel, ob die EZB schnell genug wieder die Zinsen anheben kannt. Falls nicht, hätten wir wohl binnen zwei bis drei Jahren eine spürbare Inflation. Insgesamt schließe ich nicht aus, dass wir in fünf bis sechs Jahren eine Inflation zwischen vier und sechs Prozent bekommen werden.
Es könnte allein schon deshalb zu einer Inflation kommen, wenn alle damit rechnen, dass die Preise steigen. Dann fordern die Gewerkschaften höhere Löhne, und die Arbeitgeber geben statt, weil sie damit rechnen, dies in den Preisen für ihre Güter überwälzen zu können. Die Reallöhne blieben dann konstant. Auch in diesem Fall würde die Geldmenge anschwellen. Aber aktuell gibt es diese Inflationsangst in der Bevölkerung aber nicht.

Könnte es sein, dass die Krisenstaaten in der Euro-Zone bewusst eine Inflation in Kauf nehmen, um damit ihre öffentlichen Haushalte zu entschulden?

Staaten haben vier Möglichkeiten, sich zu entschulden: Ausgaben senken, Einnahmen erhöhen, Wirtschaftswachstum generieren oder den Wert ihrer Schulden nominal zu senken – also eine Inflation in Kauf zu nehmen. Letzteres ist für die Krisenstaaten in Europa auf den ersten Blick ein weniger harter Weg.
Aber ganz klar ist: Entscheiden bzw. zulassen kann das nur die EZB, die unabhängig über die Geldwertstabilität wacht. Die Frage ist, ob die EZB dem politischen Druck der Süd-Staaten standhalten wird – und wie sich der EZB-Rat verhält, in dem die Süd-Staaten eine Mehrheit haben.

Wie würde eine Inflation den typischen Studenten treffen, der teilweise vom Elternhaus finanziert wird, Minijobs hat und/oder Bafög bezieht?

Kösters

Wim Kösters ist Inflationsexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

Wenn sein Minijob-Gehalt und die BAföG-Bezüge in gleichem Maß steigen wie die Preise, ist zunächst alles kein Problem. So wird es aber nicht kommen. Ein Minijobber ist gegenüber seinem Arbeitgeber in einer schlechten Verhandlungsposition, weil viele andere seinen Job machen könnten. Somit wird eine Inflation besonders Geringverdiener, also auch Studenten, härter treffen als Arbeitnehmer mit höherem Einkommen.
In Lateinamerika hat man während der Inflation zu Beginn des Jahrtausends beobachtet, dass Reiche ihr Geld einfach ins Ausland, vor allem in die USA, geschafft haben. Dort war der Dollar stabil, und ihr Geld wurde nicht weniger wert. Das können Geringverdiener natürlich nicht. Sie leiden besonders unter steigenden Preisen.

Trifft die Logik, dass eine Inflation verschuldeten Menschen eher hilft, auch auf einen Studenten zu, der durch BAföG rund 10.000 Euro Schulden hat?

Grundsätzlich hilft eine Inflation immer dem Schuldner und schadet dem Gläubiger. In den 1920er Jahre beispielsweise gab es eine Hyperinflation, als die Geldentwertung pro Monat bei mehreren tausend Prozent lag. Da wären 10.000 Euro Schulden in wenigen Tagen nichts mehr wert. Aber dazu wird es jetzt nicht kommen.
Der Student gewänne, wenn die Inflationsrate höher ist als die Zinsen, die er zahlen muss. Dann bekommt er real sogar Geld vom Gläubiger. Aber der Student zahlt auch höhere Preise. In summa dürfte ihm eine hohe Inflation schaden.

Wie handelt der Staat im Bereich der Sozialpolitik in einer Inflation?

Sozialpolitik ist Verteilungspolitik. Der Staat verteilt Geld um, damit sozial Benachteiligte ein angemessenes Leben führen können. Der Staat nimmt aber nur Geld ein, wenn die Wirtschaft läuft. Ab einer Rate von zehn bis 15 Prozent hemmt Inflation definitiv die Wirtschaft. In der Folge werden staatliche Leistungen gekürzt und gestrichen. Die beste Sozialpolitik ist es daher, Inflation zu vermeiden.

Aus Angst vor einer Inflation flüchten Reiche in Deutschland in Sachwerte wie Immobilien. Besteht die Gefahr, dass es in Deutschland zu einer Immobilien-Blase kommt? Und sind die Reichen damit für die steigenden Mietpreise verantwortlich?

Die Gefahr einer Immobilienblase besteht, aber wir sind wohl weit davon entfernt. In den 1970er Jahren war die „Flucht ins Betongold“ populär. Es entstanden während der Inflation von bis zu acht Prozent Miethalden – es gab also mehr Wohnungen als Mieter. Denselben Effekt dürfte es jetzt auch geben, sollten alle Reichen in Immobilien investieren.

Ist die Hyperinflation der 1920er Jahre in der Weimarer Republik noch ein „Angstmacher“ für die Deutschen? Unterscheiden sich die Deutschen in ihrer Inflationsangst wirklich von anderen Völkern?

In der Tat ist die Angst vor einer Inflation in Deutschland höher als in anderen Ländern. Aber das ist ganz eindeutig eine Generationenfrage: Nach dem ersten und zweiten Weltkrieg kam es jeweils zu einer Währungsreform, wobei die Deutschen jeweils 90 Prozent ihres Vermögens verloren wurden. Der Schock sitzt deshalb bei älteren Menschen tief.
Das merkte man auch bei den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag, als die Konditionen zur Euro-Einführung beschlossen wurden. Deutschland drängte intensiv darauf, die EZB unabhängig zu halten. Es gab das Versprechen, der Euro werde genauso stabil sein wie die D- Mark.
In der jüngeren Generation ist Inflation allerdings nicht mehr präsent. Sie hat nie erfahren, wie ihr Geld wertlos wird – zum Glück.

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