Jogi Löw hat den Absprung verpasst

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Joachim Löw bleibt mindestens bis zur Fußballweltmeisterschaft 2018 Bundestrainer. Dabei hätte genau jetzt der Nationalmannschaft und ihm selbst eine Veränderung gut getan. Ein Kommentar.

Jogi Löw ist das Gesicht der DFB-Elf. Stehen im Sport Einzelpersonen über der Mannschaft – sportlich und medial – geht das auf Dauer nicht gut. Wie lange hat es gedauert bis nach Löws Griff in die Hose wieder über den eigentlichen Sport diskutiert wurde? Die Personifizierung einer Mannschaft funktioniert nur im Erfolgsfall. Jürgen Klopp hat den Absprung beim BVB nach siebeneinhalb erfolgreichen Jahren geschafft – auch wenn das für alle Beteiligten außerordentlich hart war. Das Projekt Tuchel läuft seitdem mehr als gut. Auch für Klopp ging es nach kurzer Auszeit wieder bergauf. Er verbessert derzeit beim FC Liverpool seinen ohnehin schon guten Ruf auf der Insel.

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Heiner Brand.

Im Handball konnte sich bis 2011 niemand eine DHB-Auswahl ohne Heiner Brand vorstellen. Auch hier haben sich Verband und Bundestrainer darauf geeinigt, dass Veränderungen her müssen. Der Europameistertitel mit einer neuen goldenen Generation im Januar war der erste große Erfolg nach Brands Rücktritt.

Kritik ist ein Tabuthema

Der Schwarzwälder Löw ist innerhalb des DFB unumstritten. Seit geraumer Zeit hat allerdings eine Entwicklung Einzug gehalten, die überhaupt nicht konstruktiv ist: Tabuisierung von Kritik. Die neueste Qualität: Fußball-Experten und verdiente Nationalspieler wie Mehmet Scholl oder Michael Ballack müssen sich öffentlich für ihre Meinung entschuldigen; werden in den Medien sogar an den Pranger gestellt. Über taktische Fehler wie im EM-Halbfinale 2012 ist lange weggelächelt worden. Das darf nicht sein.

Aus diesem Grund scheinen Personalentscheidungen nicht mehr hinterfragt zu werden: Mit Spielern, die im Verein überzeugten, wie Schmelzer, Bellarabi, Castro oder Volland wäre Deutschland bei dieser EM sicherlich auch ins Halbfinale gekommen. Stattdessen hält Löw an Podolski, Götze und Schürrle, die zuletzt im Verein unterirdische Leistungen brachten, oder am langzeitverletzten Bastian Schweinsteiger fest. Ein richtiger Schritt waren die Nominierungen von Weigl oder Sané, die aber so gut wie gar nicht zum Einsatz kamen. Verrückt ist, dass der scheinbar ausgebotete Mario Gomez zum Hoffnungsträger der Fußballnation avancierte.

Guardiola-Kopie reicht nicht

Joachim Löw hat es nach der WM verpasst, ein neues, schlagfertiges Team zu schaffen, weil er unabhängig von den individuellen Leistungen der Spieler an seinen Lieblingen festgehalten hat. Statt junge Talente auszuprobieren, hat der Bundestrainer einfach Guardiolas Bayern kopiert. Das Ergebnis: konzeptloser „Offensiv“-Fußball wie gegen Frankreich, wenn Plan A – Ballbesitz- und Kurzpassspiel – nicht aufgeht.  Sanés oder Bellarabis Tempo hätten hier gut getan. Löw muss jetzt bei Null anfangen und sich von Spielern wie Lukas Podolski trennen – aber bitte stilvoll. Neben der öffentlichen Kritik von Löw, zum Beispiel an Marcel Schmelzer, war auch die Art und Weise des Ausbotens verdienter Spieler wie Torsten Frings oder Michael Ballack eine Frechheit. 

Löw-Befürwörter werden die Personaldebatte für zweitrangig halten und an dieser Stelle das Argument „Wir sind ja Weltmeister“ nennen. Das ist allerdings völlig unseriös, weil überhaupt kein kausaler Zusammenhang zu zukünftigen Titeln besteht. Mit einem neuen Trainer wäre so ein Neuanfang sicherlich einfacher. Für Löw persönlich hätte eine Trennung ebenfalls Vorteile gehabt: Persönliche und berufliche Weiterentwicklung findet außerhalb der Komfortzone statt. Beim DFB sitzt er im gemachten Nest. In einer anderen Fußballnation wie England könnte Löw beweisen, dass er wirklich der Coach von Weltformat ist, für den ihn viele halten. Dann müsste er allerdings über den Tellerrand hinaus schauen – unabhängig der bisherigen Verdienste in der Nationalelf. Offenbar ist genau das beim DFB nicht möglich. Immerhin scheinen Verträge für Joachim Löw noch eine Bedeutung zu haben. Das ist schließlich im Profifußball schon lange nicht mehr selbstverständlich.

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