Jugger ist besonders. Es ist nicht allein die Tatsache, dass das Spielgerät ein nachgebildeter Hundeschädel ist. Da wären noch die Spieler, die sich mit gepolsterten Schaumstoffstäben, -Schildern und -Ketten bekämpfen und Folgendes: Die Sportart basiert auf einem australischen Endzeitfilm, in dem eine Gang durch die Dörfer zieht und eine brutale Version von Jugger spielt. Böse Zungen sprechen von einem Trash-Film. Doch Jugger ist weit weg von einer inszenierten Sportart, es ist in der Tat richtiger Sport.

Mann gegen Mann: Beim Juggern wird sich nichts geschenkt. Foto: Emmanuel Schneider / Teaserfoto: Thomas Jaszok
Nach und nach trudeln die Bochumer Jugger ein. Die meisten tragen ihr eigenes schwarz-rotes „Juggerhaufen Bochum“-Trikot. Auf den Trikot-Rückseiten prangen Spitznamen wie „Jumper“, sie lassen zwei actionreiche Trainingsstunden erwarten.
Jugger ist ein außergewöhnlicher Sport. Auf den ersten Blick martialisch und sonderbar. Wer die Scheu verliert und beim Training zuschaut, sieht dass mehr dahintersteckt: hartes Training, ein differenziertes Regelwerk, Strategie und Geschick.
REGELKUNDE:
Der Spielball ist der sogenannte „Jugg“, ursprünglich ein nachgebildeter Hundeschädel, oft aber nur ein zylinderförmiges Spielgerät. Ziel des Spiels: So viele Juggs wie möglich im gegnerischen Mal zu erzielen. Das Mal ist eine Art Tor, der Jugg muss dort platziert, nicht hineingeworfen werden. Ein Team besteht aus fünf Spielern: vier Kämpfern und einem Läufer. Nur der Läufer darf den Jugg aufnehmen und nur er kann den Jugg ins Mal bugsieren.
Die vier anderen Mitspieler sind mit unterschiedlichen Waffen ausgestattet, die „Pompfen“ heißen. Sie kämpfen gegen die gegnerischen Spieler. Sobald ein Spieler von einer Waffe getroffen wird (ausgenommen Kopf- oder Handtreffer), muss er sich hinknien. Er darf dann für eine bestimmte Zeit nicht am Spiel teilnehmen.
Die Läufer dürfen miteinander ringen (griechisch-römisch).
Als Zeiteinheit gelten sogennante „Steine“. Meistens wird hierfür eine Trommel oder ein Gong geschlagen. Ein Stein entspricht ungefähr 1,5 Sekunden. Ein Juggerspiel dauert zweimal 100 Steine. Ein getroffener Spieler muss sich für fünf Steine hinknien.
Thomas Jaszok, Spitzname TJay, ist der Spielertrainer des Juggerhaufens. Er hebt die Stimme: „Auf geht’s!“ Das Training hat begonnen.
Acht Jugger folgen ihm trabend und drehen ihre Runden in der Turnhalle. „Das Training unterscheidet sich eigentlich nicht wirklich von einem Fußball- oder Basketballtraining“, erklärt TJay.
Der Spielertrainer integriert viele verschiedene Sprungübungen im Aufwärmprogramm. Nach Mattenspringen und Kastenspringen folgen Bocksprünge in luftiger Höhe. Der erste Schweiß fließt.
Hier reinhören: TJay über Jugger
Den Bochumer Juggerverein gibt es seit Januar 2010. Bei einem Besuch bei einer Freundin in Jena hatte TJay die Sportart kennengelernt und kurzerhand in Bochum einen eigenen Ableger gegründet. „Wir waren zuerst vier Kumpels und haben uns dann eine Halle gesucht, Kumpels eingeladen und unsere Internetseite online gestellt. So wurden wir dann immer mehr“, erzählt er. Inzwischen hat der Juggerhaufen 25 Mitglieder, nach Geschlecht wird dabei nicht getrennt. „Die Mädels schlagen sich genauso gut wie die Männer“, sagt TJay.
WAFFENKUNDE:
Q-Tip: Der Q-Tip ist zwei Meter lang. Er erinnert ein wenig an ein Bootspaddel, denn er hat zwei Schlagflächen und in der Mitte eine große Grifffläche. Wichtig: Beim Schlagen muss der Q-Tip mit beiden Händen geführt werden, ansonsten ist der Schlag ungültig.
Stab: Der Stab sieht dem Q-Tip sehr ähnlich, ist aber nur 1,80 Meter lang und hat zwei Griffflächen. Auch er muss mit beiden Händen geführt werden.
Langpompfe: 1,40 Meter lang und mit beiden Händen zu führen. Mit der Langpompfe darf gestochen werden.
Kurzpompfe: Sie ist 85 Zentimeter lang und wird mit einer Hand geführt. Mit der Kurzpompfe
darf der Kämpfer stechen. In der anderen Hand hat er meist das Schild oder eine andere Kurzpompfe
Schild: Das Schild muss rund sein und hat einen Durchmesser von 60 Zentimetern
Kette: Hat eine Länge von 3,2 Metern, sie besteht aus einer Schlaufe, der Kette und dem Schwungkörper. Sie erinnert an einen Morgenstern.
Grundsätzlich gilt: Senkrecht von oben geführte Stöße sind verboten.
Diesesmal sind jedoch bevorzugt junge männliche Jugger anwesend. „Auf geht’s an die Pompfen“, sagt TJay laut. Die Pompfen sind die gepolsterten Waffen, die dem Jugger den Flair eines Gladiatorenkampfes verleihen. Alle acht schnappen sich einen der verschiedenen Pompfen. Ehe man sich versieht, geht es los: Überall heißt es Kampf – Mann gegen Mann. Die Pompfen klatschen dumpf gegeneinander und machen ihrem lautmalerischen Namen alle Ehre.
Hier reinhören: TJay über den „martialisch“-Vorwurf

Thomas Jaszok ist seit 2010 Spieltertrainer des Vereins und nebenbei auch Taekwando-Trainer. Foto:Emmanuel Schneider
1998 gab es die erste offizielle Jugger-Meisterschaft in Deutschland. Mittlerweile wird in 14 von 16 Bundesländern hochoffiziell gejuggert. Als Jugger-Hochburg gilt Berlin.
Seit 2003 gibt es sogar eine eigene Jugger-League. Die Mannschaften spielen auf mehreren Turnieren den Ligasieger aus. So weit sind die Bochum Jugger-Jungs noch nicht. „Es ist schon mal ein Ziel bei so einem Turnier teilzunehmen, aber momentan spielen wir einfach, weil es Spaß macht“, sagt TJay. Die ersten Turniere waren zufriedenstellend: „Wir sind nicht Erster, aber auch nicht Letzter geworden.“
Nun kommt es zum Höhepunkt des Trainings. Es wird gejuggert. TJay teilt zwei Mannschaften ein, die sich an den Grundlinien gegenüberstehen. Es gibt noch den ein oder anderen Spruch in Richtung der Teammitglieder, dann haben die beiden Zeitnehmer an der Seite das Sagen: „3,2,1, Jugger!“, schreit einer. Das ist das Zeichen für beide Teams. Nun gilt es, schnellstmöglich den Jugg zu erobern und zu punkten. Es geht hin und her. Kommandos peitschen durch die Turnhallen-Luft. Ein Spielzug folgt dem anderen. Besonders unter den Läufern geht es hart zur Sache. Die beiden Läufer geben vollen Köprereinsatz, um den jeweils anderen nicht punkten zu lassen. TJay relativiert: „Wir hatten noch keine großen Verletzungen, nicht juggerbedingt. Es ist auch nicht gefährlicher als Rugby oder Football.“
Nach der Jugger-Einheit fließt noch mehr Schweiß, vielen sieht man die Anstrengung an. Richard Daseking, 20, atmet durch und sagt: „Ich bin richtig geschafft, man glaubt es nicht, es ist richtiger Sport.“
Beim Abschlussdehnen ist der Weg von der Rand- zur Mainstreamsportart kurz: „Heute spielt noch der BVB“, schallt es aus der Ecke. Genug gejuggert.
Hier reinhören: Jugger-Beitrag auf eldoradio*
web: Offizielle Homepage Juggerhaufen Bochum