Der Breitmaulfrosch: Hört auf, euch schlechte Musik zu wünschen!

Ob Poetry-Invasion oder die hipsten Hipster-Klamotten – über Kunst, Lifestyle, Mode und Kultur lässt sich gut das Maul zerreißen. Ein chronischer Maulzerreißer ist der Breitmaulfrosch, der in dieser Kolumne kein Seerosenblatt vor den Mund nimmt. Dieses Mal geht’s um Musikwünsche auf Partys.

Spielt mal Rock!

brüllt ein Typ, während seit zwei Stunden Disco und House läuft. Noch lässt er sich mit einem kurzen Kopfschütteln abwimmeln. Es soll aber nicht das letzte Mal gewesen sein, dass dieses Gesicht mit dem dazugehörigen „Spielt mal Rock!“ vor mir auftaucht. Absender solcher obskuren Wünsche werden nämlich mit ansteigendem Pegel penetranter. Irgendwann steht „Spielt Mal Rock!“ hinter dem DJ-Pult und durchsucht unsere Platten nach Musik, die die Party seiner Meinung nach noch retten könnte. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits erhebliche Probleme mit der Koordination. Auch die Artikulation der eigenen Muttersprache fällt schwer. Im Grunde wäre für ihn jetzt egal, ob Rock oder House läuft. An Tanzen ist in diesem Zustand sowieso nicht mehr zu denken. 

„Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was“, DJ Breitmaulfrosch. Bild: pixabay.com

Als DJ hat man es nicht immer leicht. Manchmal möchten einem die Partygäste am liebsten die Arbeit ganz abnehmen. Sich einen Song zu wünschen, ist ja erst mal keine Missetat. Bevor man so einen Musikwunsch äußert, sollte einem aber klar sein, auf was für einer Art von Party man ist. Es gibt da die klassische Pop- oder Trashparty. Hier steht DJ Abrissbirne an seinem Laptop und versucht mit Songs von Die immer lacht bis Atemlos durch die Nacht, den Bierabsatz ins Astronomische zu treiben. Hier könnt ihr euch wünschen, was ihr wollt. Gleiches gilt auch für Großraumdiscos, die sich musikalisch irgendwo zwischen Rihanna und David Guetta bewegen. Sollten am DJ-Pult aber Typen stehen, die versuchen ein musikalisch stimmiges Set zu spielen, ist es vielleicht besser, die Klappe zu halten. 

Für „Spielt mal Rock“ gibt es leider die Note 6 – Thema verfehlt. Er ist ein gutes Beispiel, warum Basisdemokratie auf Partys nicht funktionieren kann. Keine fünf Minuten später wünschte sich übrigens ein Mädchen was von Vivaldi. Zweifellos hat Antonio Vivaldi tolle Musik geschrieben. Trotzdem gibt es in diesem Kontext auch Aspekte, die gegen den venezianischen Geigenvirtuosen sprechen. Also überlasst solche Entscheidungen doch einfach eurem ausgebildeten Schallplattenunterhalter! Das Auflegen ist nämlich ein althergebrachtes und ehrwürdiges Handwerk: 

Gerade auf Studipartys stammen die Lieblingshits der Partygäste meistens aus den aktuellen Smash!-Hits Vol. 1 bis 7. 

Spielt mal Hip-Hop! 

schreit ein Bengel mit ärmelloser „Kay-One-Style“-Daunenjacke und roten Turnschuhen. Verdutzt schaue ich ihn an. Es ist noch früh am Abend und auf dem Plattenspieler dreht sich Low End Theory von A Tribe Called Quest. Das Album wurde vom Musikmagazin Spex in die Top 10 der wichtigsten Hip-Hop-Alben aller Zeiten aufgenommen. Für mich ist es der Inbegriff von Hip-Hop. Ich bin sprachlos und starre ihn so lange an, bis er wieder verschwindet. 

Dieser Wünscher hat einen der folgenden beiden Fehler begangen. Entweder hat er keine Ahnung, oder er hat keinen Geschmack. Mit Grauen denke ich daran, welche Art Hip-Hop der kleine Kay One gerne gehört hätte. 

Spielt mal Discofox!

Auch wenn sich Discofox extrem funky anhört, kann dieser Wunsch einen wahren Discjockey echt traurig machen. Es liegt nicht einmal daran, dass man dem seitengescheitelten Jungen im Chordhemd nicht seinen Wunsch erfüllen möchte – Discofox kann man bloß einfach auf so ziemlich jeden Song im Viervierteltakt tanzen.

 

Der Discofox-Junge will eigentlich ja nichts Böses. Meistens ist er nüchtern und weniger hartnäckig als „Spielt mal Rock“. Er will nur mit seiner Angebeteten eine flotte Sohle aufs Parkett legen. Das Problem ist, dass er eine grundlegend andere Vorstellung einer gelungenen Tanzveranstaltung hat. Naja, wenigstens kann er tanzen. Auffällig ist: je schlechter das Publikum tanzt, desto mehr Wünsche kommen. Am liebsten irgendein Poptrash zum Mitträllern. Da kann man seine unbeholfenen Moves mit Textsicherheit ausgleichen und dabei irgendwie ironisch abzappeln. Wenn das nicht läuft, kommt meistens folgender Spruch:

Spielt mal was Aktuelles!

Grundsätzlich ist dem Wünscher – in diesem Fall meistens der Wünscherin – vollkommen egal, dass gerade eine Technoplatte läuft, die erst im vergangenen Monat erschienen ist. Es geht um Charts. Der Wunsch wird alternativ auch als „Spielt mal was zum Mitgrölen“ geäußert. Ob Helene Fischer, Avicii oder Nicki Minaj, das sind die Songwünsche, die einem DJ wirklich das Herz brechen. Man ist keine menschliche Jukebox. Ein guter DJ verbringt seine Tage damit, zu Hause zu sitzen und Musik zu suchen, die sonst keiner kennt. Er gibt sein letztes Geld dafür aus, die seltensten Platten aus den entferntesten Ecken der Welt zu ordern. Das Album von Justin Bieber gehört nicht dazu.

Viele haben offenbar vergessen, was die Aufgabe eines Discjockeys ist. Er ist – oder vielleicht war er es – eine Art Musikvermittler. Wenn man so will, die Schaltstelle zwischen Plattenindustrie und Endverbraucher. Also denkt bitte das nächste Mal noch einmal kurz nach, bevor ihr im Club fragt, ob man nicht einfach euer Handy anschließen könne. Es ist manchmal ganz gut, sich auf neue Dinge einzulassen. Dazu gehört es auch, Musik zu genießen, die man noch nicht auswendig mitgrölen kann.

Beitragsbild: Pflichtlektüre

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